Ansprache zur Beerdigung - Unfalltod eines 45jährigen Mannes Mt. 28,20b Liebe Familie G., liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Was haben wir heute mitgebracht in die Kirche? - Einige Rätsel um dieses Unglück, Gedanken, Mutmaßungen, viele Fragen: Warum hat das geschehen müssen, warum er, warum schon so früh? Und was erwarten wir von dieser Stunde? - Daß sich die Rätsel lösen oder wenigstens erhellen. Daß wir das eine oder andere verstehen und unsere Fragen Antwort finden. Aber was werden wir mitnehmen, wenn wir nach dieser Beerdigung nach Hause gehen? - Ich fürch- te, wir bekommen hier nichts von dem, was wir uns erhofft haben. Die Rätsel bleiben, die Gedanken werden uns weiter beschäftigen und vielleicht bedrängen. Die Fragen gehen weiter mit uns - viel- leicht solange wir leben. Warum das so ist? - Ich glaube und ich will es aussprechen, auch wenn es hart klingt, weil wir unse- ren Blick, unsere Gedanken und unsere Fragen in die falsche Richtung wenden! Wir schauen nach hinten - aber dort ist keine Antwort. Wir wollen wissen, warum es geschehen ist - aber wer soll es uns denn sagen? Wir hängen an diesem Unglück, was ja ganz verständlich ist - aber wir können doch nichts mehr daran ändern. Es ist geschehen. Wir können nicht mehr dahinter zurück. Wir müssen damit fertigwerden, darüber hinaus kommen - und das kann nur in der Zukunft liegen. Darum lassen sie uns in die andere Richtung schauen, nach vorn. Dort liegt Verheißung, dort ist - wenn Gott will - Trost, dort werden wir vielleicht sogar Antwort finden. Ein alter, lebenserfahrener Mensch hat mir einmal gesagt: Herr Pfarrer, immer fragen die Leute, war- um dies oder das geschehen ist. Ich frage ganz anders, ich will wissen, wozu etwas geschieht. Am "Warum" kann ich ja nichts mehr ändern, es ist so, wie es ist. Beim "Wozu", da bin ich mit gefragt und kann auch selbst beitragen, daß etwas daraus wird. Sogar noch aus dem schlimmsten Unglück, aus dem bösesten Geschick. Liebe Trauergemeinde, lassen sie uns das heute auch so machen. Lassen sie uns bei allem, was uns heute beschwert und bedrückt, ängstigt, Gedanken und Rätsel aufgibt, nach vorn schauen und fra- gen, was daraus werden kann. Und wir wollen dabei von einem ausgehen, was Gott uns allen gesagt hat und täglich neu vor Augen, Ohren und Herzen stellt: Siehe ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende. Liebe Trauergemeinde, ein Mann ist sehr früh durch einen schlimmen Unfall ums Leben gekommen. Zwei noch junge Söhne haben keinen Vater mehr. Hier spüren wir es besonders deutlich: Das War- um führt uns nicht weiter. Da warten nur Zweifel auf uns, ja, vielleicht Verzweiflung. Hinter dem Wozu aber öffnet sich ein Weg: Die beiden Jungen haben Patinnen und Paten. Ob es nicht möglich wäre, daß die jetzt nach Kräften dort mit einstehen, wo der Vater fehlt? Und - sicher versteht das jetzt keine Patin falsch - aber vielleicht brauchen die beiden Jungen ja besonders die männlichen Pa- ten? Und gewiß werden sich da viele Ideen einstellen, wie man das ganz praktisch werden lassen kann, dieses für die Jungen da sein, ihnen so weit das möglich ist, Vater sein, für sie einstehen. Eins ist gewiß: Gottes Segen wird euch dabei begleiten: Siehe ich bin bei euch alle Tage... Ja, auch eine noch junge Frau ist allein. Niemand kann ihr den Ehepartner ersetzen, gewiß. Aber da ist die große Familie, da sind die Verwandten und Freunde. Ob die nicht alle sozusagen zusammen- rücken können, daß sie eine große bergende Mauer bilden? Daß sie die Frau, die jetzt allein ist, so lange vor dem neuen, sicher beängstigenden Leben schützen, bis sie selbst heraustreten und es wie- der in die eigenen Hände nehmen kann. Und vielleicht finden sich in der Familie ja Menschen, die sich in der näheren Zukunft mehr Zeit nehmen, die ein wenig für die Frau und ihre Kinder mitdenken, mitfühlen und Verantwortung übernehmen, so viel und so lange das nötig erscheint? Dabei wird auch mit euch Gottes Segen sein: Siehe ich bin bei euch alle Tage... Wir wollen aber auch die Freunde und Kollegen des Verstorbenen nicht vergessen: Da fehlt jetzt der Kamerad, der Mitarbeiter, der Partner bei der Arbeit. Auch hier hilft ja kein Blick zurück, wie schön es doch war und warum das so enden mußte! Aber wozu könnte es führen, daß er nun nicht mehr bei euch ist? Vielleicht dazu: Daß sich jeder neu besinnt, daß es auf ihn persönlich ankommt, daß er ge- braucht wird, daß einander Freund zu sein, auch bedeutet, etwas füreinander zu tun, daß die gemein- same Arbeit nie nur heißt, sein Geld zu verdienen und Zeit miteinander zu verbringen, sondern auch ein Stück Leben zu teilen und am Leben des anderen teilzunehmen, seine Sorgen zu kennen, seine Art, sein Wesen zu achten, einander vertraut zu sein und darum auch ein Stück weit verantwortlich für den anderen. Vielleicht wird es ja möglich sein - nicht den so früh Verstorbenen zu ersetzen, das kann keiner - aber doch den Freundschaften zu denen er gehört hat und dem Kollegenkreis, in dem er seinen Platz hatte, eine neue Tiefe zu geben, und allen, die dazu gehören, das Gefühl, wir sind gut miteinander verbunden, alle sind füreinander da und wir können einander auch vertrauen und uns aufeinander verlassen? Seid gewiß, auch euch gilt: Siehe ich bin bei euch alle Tage... Auch an uns andere wollen wir denken, an uns, die heute hier mitgehen, Abschied nehmen, traurig sind, bestürzt über den Unfall und betroffen vom schweren Schicksal der Familie. Wir wollen die Fragen, die uns bewegen, fallenlassen. Wir wollen nicht mehr darüber nachdenken, wie es denn pas- sieren konnte. Darin liegt keine Hilfe. Laßt auch uns fragen, wozu uns die Erfahrung, die wir machen mußten, führen kann, führen will: Vielleicht daß wir vor dem Hintergrund eines so frühen Endes, un- ser Leben wieder mehr achten, mehr schätzen lernen? Daß wir behutsam und sehr vorsichtig mit ihm umgehen. Daß wir neu begreifen, welch großes Geschenk uns mit unserem Leben anvertraut ist. Wir haben Zeit, wir können unsere Tage gestalten, ihnen Sinn geben durch unser Tun. Wir haben Men- schen in unserer Nähe, die uns lieben, uns brauchen, die sich ein Leben ohne uns gar nicht ausmalen können und denen wir wichtig sind. Wir haben es in unserer Hand, ihnen zu erfüllen, was sie sich von uns wünschen - oder sie zu enttäuschen. Wir dürfen planen, können sagen, dies und das will ich er- reichen - und dann gibt uns Gott auch noch die Gelegenheit und die Kraft, daß wir unsere Pläne wirklich werden lassen können. Noch einmal: Welches Geschenk ist das doch! Heute, am Tag eines so frühen Abschieds, kann uns das deutlicher werden als sonst. Lassen wir uns das dazu dienen, un- ser Leben zu überdenken und nach Kräften neu zu füllen. Gott verspricht uns: Siehe ich bin bei euch alle Tage... Nun fehlen noch Gedanken nach dem Wozu... Vielleicht haben manche ja schon darauf gewartet. Und wir wollen uns auch nicht darum herumdrücken, auch noch so zu fragen: Wozu wird unseren Verstorbenen führen, was da geschehen ist? Das sind besonders zerbrechliche Gedanken. Und sie sind auch sehr persönlich. Sie betreffen heute ihn, um den wir trauern. Und morgen wird das einer für uns fragen. Darum wollen wir uns auch hier sehr sorgsam und mit großer Vorsicht nähern. Aber eins können wir ganz getrost auch hierzu sagen: Siehe ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende! Da ist am vergangenen Freitag in der Nacht nicht zuende gegangen, was Gott mit diesem Menschen verbunden hat. Da ist keine Lebensgeschichte für immer abgebrochen. Da ist ein Mensch aus diesem Leben in ein anderes gegangen - und hier wie dort hat er es mit demselben Gott zu tun, den uns Jesus Christus bekannt gemacht hat. Im Hintergrund unseres Lebens, wenn wir über die Schwelle nach drüben gehen, öffnet sich für uns nicht das Nichts, das ewige Vergessen oder das Dunkel... Hinter diesem Leben - ganz gleich wie es an sein Ende kommt - öffnet sich die Tür zum Vater und der hat uns versprochen: Siehe ich bin bei euch alle Tage... Mehr können wir nicht, dürfen wir nicht sagen. Aber dies muß auch gesagt werden: Wir sind nicht für den Tod bestimmt, sondern für das Leben! Sage keiner, das zu wissen wäre wenig, zu wenig. Das zu wissen ist alles! Vielleicht ziehen wir aus diesem Wissen neuen Mut für unser eigenes Leben. Vielleicht hilft es uns, das Leben neu zu lieben. Vielleicht bringt es uns gar auf einen neuen Weg, vielleicht näher zu Gott? So würden wir jeder und jede für sich auf die Spur dieser Wahrheit kommen, die ich dem alten, er- fahrenen Menschen verdanke, der mir einmal gesagt hat: Herr Pfarrer, immer fragen die Leute, war- um dies oder das geschehen ist. Ich frage anders, ich will wissen, wozu etwas geschieht. Am "War- um" kann ich nichts mehr ändern, es ist so, wie es ist. Beim "Wozu", da bin ich mit gefragt und kann auch selbst beitragen, daß etwas daraus wird. Sogar noch aus dem schlimmsten Unglück, aus dem bösesten Geschick. Lassen sie uns diese Gedanken in die Zeit der Trauer mitnehmen. Versuchen wir sie in unserem Le- ben zu bewähren, als Patinnen und Paten der beiden Kinder, als Familie und Verwandte, als Freunde und Kollegen, als Mittrauernde und Glieder der Christengemeinde hier im Ort und nicht zuletzt als Mitmenschen der Angehörigen, die durch diesen Tod so geschlagen sind. Vergessen wir, bei allem, was wir tun, dieses Wort Gottes nicht, es wird uns die Kraft und den Segen schenken, die wir jetzt brauchen: Siehe ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende!