Ansprache zur Bestattung - Unfalltod zweier Töchter einer Familie Wir nennen die wenigen Daten dieser beiden kurzen Leben, die da vor drei Tagen so jäh an ihr Ende kamen: M. G., geboren am 26. Februar 1969, getauft am 20. April 1969, konfirmiert am 1. Mai 1983...gestorben am 15. Dezember, 18 Jahre jung. C. G., geboren am 14. August 1971, getauft am 26. September 1971, konfirmiert am 27. April 1986...gestorben am 15. Dezember, 16 Jahre jung. Hinter diesen Zahlen steht so viel mehr: Unsäglicher Schmerz einer Familie, 1000 Hoffnungen, die wir nun begraben müssen, ein Meer von Leid und Tränen, zerschlagene Pläne, verlorene Zukunft, das echte Mitgefühl von so vielen Menschen hier im Dorf und weit darüber hinaus... Und wir erfahren unsere ganze Ohnmacht: Wir suchen Worte, die fähig sind, diesen Schmerz zu fassen. Und bleiben stumm. Wir versuchen den Eltern der Mädchen irgendeinen Trost zu sagen, und es kommt nichts über unsere Lippen. Gesten der Anteilnahme wirken leer. Selbst unsere Klage hat keine Stimme. Dieses Leid ist einfach zu groß. Zu schwer für eine Familie, zu viel für die Eltern. Da ist geschehen, was nicht hätte geschehen dürfen ... weil es keiner tragen kann! "Gott legt nicht mehr auf, als einer verkraften kann", so heißt es. Er hat es getan. Wir wissen nicht wie das weitergehen soll. Da ist kein Lebensmut mehr, kein Sinn und kein Funke Hoffnung. Zu schwer... Wir wollten Weihnachten feiern. Nur noch wenige Tage, dann sollte in unseren Stuben die Freude einziehen. Da ist nun kein Platz mehr. Die Trauer hat sich dort verbreitet, kaum haben wir noch Luft zum Atmen. Wir wollten die alten frohen Weisen singen, die Botschaft von der Liebe und Güte Gottes hören; unser Mund wird verschlossen sein und unsere Ohren werden es nicht aufnehmen. Wir wollten uns am Kind in der Krippe freuen, uns den Gefühlen und Gedanken des Festes überlassen, Kerzen voll Wärme und Zuversicht entzünden; es wird für uns alle nicht so sein, wie es einmal gewesen ist. Weihnachten von heute an, kann wohl nie mehr sein, wie es war. Es ist, als hätte uns einer vor die Krippe das Kreuz gestellt, zwei Kreuze. Sie versperren uns die Sicht. So groß und gewaltig sind die Kreuzesbalken, daß wir nichts mehr erkennen können vom Geschehen um die Geburt im Stall. Wir mühen uns, an diesen Kreuzen vorbeizugehen, noch ein wenig Licht im Hintergrund zu entdecken - aber da ist alles dunkel. Wir mögen uns anstrengen, wie wir wollen. Da ist nur Kreuz, nur Trauer und Leid. Unser Weihnachten ist der Passion ähnlich geworden. Uns ist kein Kind geboren. Uns wurden zwei Kinder genommen. Vor der Krippe - zwei Kreuze. Wo nur ist ein Lichtstrahl? Unser Weihnachten ist wie die Passion... So viele Bilder drängen sich da auf, so viele Vergleiche. Nichts, das irgendetwas erklären könnte oder begreifen, aber Ahnungen, Gedanken... Haben unsere Augen vielleicht schon immer die Härte des Heiligen Abends übersehen? Warum nur meinten wir, diese Geburt im Stall wäre froh oder gar schön? Haben wir nie die grausame Wirklichkeit bemerkt: Zwei arme Leute wurden in einen Viehstall geschickt. Alleingelassen mit der Sorge um das neue Leben, das geboren werden sollte. Allein in einem zugigen Verschlag, wo die Tiere mit den Hufen stampfen, denn sie teilen ihr Lager nicht gern mit Menschen. Haben wir nie gefühlt, wie hart das Holz dieser Krippe ist? Wie unwürdig das Lager im Stroh für ein Kind? Haben wir nie verstanden, was uns die ersten Besucher bei diesem Kind sagen wollen: Die hergelaufenen Habenichtse von Bethlehem und das Lumpenpack der Hirten? Ist diesem Kind da nicht schon sein ganzes zukünftiges Leben begegnet? Ist ihm nicht - eben seine Passion - vorgezeichnet? Sehen wir nicht die Schatten, die über ihm liegen? Ist nicht hinter dem Neugeborenen schon das Kreuz aufgerichtet? Ja, ist nicht die Krippe und das Kreuz aus demselben Holz gemacht? Es sind nur Ahnungen, Bilder und Vergleiche... Ich verstehe es auch nicht, aber in diesem Kind, das wir Gottes Sohn nennen, ist Gott selbst offenbar in diese Welt und ihre grausame Härte hinabgestiegen. Er legt sich selbst in den Futtertrog. Er wählt sich selbst diesen Ort und diese Stunde der Geburt, da sie keine Herberge mehr hatten. Und er will da schon unseren Blick auf den dunklen Hintergrund richten, dorthin, wo das Kreuz steht, schwarz und finster. Gott selbst ist in diesem düsteren Geschehen dieser Geburt, das wir an jedem Weihnachtsfest wieder aufhellen und mit Goldglanz versehen. Aber es ist schrecklich, schon eines Menschenkindes unwürdig. Dort hinein geht Gott. In dieser grausamen Wirklichkeit hält er aus. Bis zum Kreuz. Bis zum Tod. Wir fragen heute dies: Wo war Gott, als das vor drei Tagen geschah? Und ich kann - wenn ich das Kreuz hinter der Krippe sehe - nicht mehr so sprechen: Gott war nicht dort. Gott war fern, abwesend - in seinem Himmel vielleicht. Ich kann dann nur sagen: Gott war dabei! Er hat auch hier teilgenommen und mit gelitten. Das alles ist für unseren Verstand zu hoch und vielleicht für einen Trost zu klein. Aber ich muß - wenn ich Gott in der Krippe und am Kreuz gegenwärtig weiß - ihn auch in diesem Unglück gegenwärtig glauben! Er war keinen Augenblick fern. Wir begreifen nicht das Leid, das da so schreckliche Wirklichkeit geworden ist - aber müssen es doch nicht als Abwesenheit Gottes deuten. Er ist auch da wieder mit-gestorben, wie in dem Mann, der aus dem Kind in der Krippe wurde. Und auch im Leid der Eltern, die jetzt nur noch Dunkel sehen, ist Gott dabei. Er hat alle Tränen mitgeweint, allen Schmerz mitempfunden, war keinen Augenblick abwesend und hat alle Worte der Verzweiflung gehört - auch die unausgesprochenen. Er hat neben uns gestanden, als wir die Nachricht bekamen, er hat mit uns aufgeschrieben im Entsetzen, er hat das Schwert gespürt, das uns durchs Herz ging. Wir waren keine Sekunde allein in den letzten Tagen, auch nicht, als wir gestern meinten, es an den offenen Särgen der Mädchen nicht mehr aushalten zu können und wünschten, der Boden möge sich auftun und alles habe ein Ende. Nein, erklären können wir nichts, nicht einmal verkraften. Das alles wird seinen Preis haben in unserem Glauben und unserem Vertrauen. Wir sind nicht mehr dieselben, die wir noch vor Tagen waren. Aber wir wollen uns an diesem Gedanken festhalten, ja anklammern: Gott selbst war und ist dabei in allem, was uns begegnet ist und uns noch geschieht. Es ist derselbe Gott, der sich Krippe und Kreuz nicht erspart hat. Das "Warum" wird uns bleiben, solange wir leben. Lassen wir nicht ab, es vor Gott zu bringen in Klage und Weinen, in Frage und Schreien. Aber gehen wir diese Geschichte von der Krippe zum Kreuz, von der Weihnacht zur Passion noch ganz zuende oder besser: bis zum neuen Anfang! Der Gott, der da im Holz der Krippe beginnt und am Holz des Kreuzes stirbt, hat hinter der grausamen Wirklichkeit dieser Welt ein neues Leben eröffnet! Das Kreuz und das Dunkel ist eben nicht das letzte geblieben, auf das er uns schauen läßt. Dahinter bricht der Glanz einer neuen Welt an. Dahinter wird es hell. Das ist vielleicht das größte Rätsel, warum das wohl nur so sein konnte; warum vor der Freude dieses grenzenlose Leid Gottes und seiner Menschen gelitten werden muß...? Aber es heißt eben auch für euch, liebe Eltern, der Gott, der euch und sich selbst diesen furchtbaren Schmerz auferlegt hat, der führt auf diese Weise zum Leben. Nein, wir ahnen hier nicht einmal, warum das so sein soll, warum es nur diesen Weg zur Erlösung und zum Leben geben soll... Aber es ist der Weg und er führt ins ewige Leben. Unser Weihnachten ist zur Passion geworden. Nichts kann in diesem Jahr so werden wie es immer war. Zu schwer, was da geschehen ist, zu grausam. Eine Familie allein wird es nicht tragen können. Liebe Trauergemeinde, ich weiß, Sie alle fühlen zutiefst mit diesen Menschen. Sie suchen - genau wie ich - nach Worten, die an dieses Leid heranreichen. Und sie erfahren - genau wie ich - daß jeder Trost versagt, noch ehe er ausgesprochen ist. Wir haben die Sprache verloren. Unsere Stimme versagt und unsere Gesten auch. Unser Weihnachten ist Passion. Ich muß an Jesus denken, als er im Garten Gethsemane mit der Todesangst ringt. Als Tränen und Blut zur Erde fallen. Als ihm auch das Leid, das ihn erwartet, zu groß ist. Es heißt, die Jünger, die er gebeten hatte, zu wachen, seien eingeschlafen. Es war ihnen zu schwer, auch nur eine Stunde mit Jesus zu wachen und zu beten. Liebe Trauergemeinde, wir wollen nicht sein, wie diese Jünger waren. Wir wollen in der Zeit, die nun beginnt, mit dieser unglücklichen Familie wachen und beten! Wir wollen das wirklich tun, Fürbitte üben in den nächsten Wochen, täglich die Hände falten und zu dem Gott, den wir nicht begreifen, sprechen: "Gott, hilf dieser Familie über diesen furchtbaren Schmerz hinaus! Bleibe bei ihnen!" Wir wollen so ein Netz unter diese Menschen spannen, das sie auffängt, daß sie nicht zu tief fallen. Liebe Trauergemeinde, es wird an uns liegen, ob diese Menschen irgendwann einmal wieder einen Lichtstrahl sehen können, ob irgendwann wieder ein Fünkchen Hoffnung aufglimmt. Ich bitte Euch alle, betet für diese Familie. Die Fürbitte ist eine Macht, die einzige, die uns vor diesem Unglück geblieben ist. Fürbitte kann tragen, wo Worte und Gesten versagen. Fürbitte kann Kraft geben, wo Trost und Hilfe der Menschen zerfällt. Fürbitte ist stark - die Menschen, für die wir beten, werden ihre Kraft spüren, wie ich selbst heute spüre, daß viele für mich gebetet haben...vor dieser Aufgabe, diesem Dienst. Wo wir nichts mehr sagen können, wollen wir beten. Bitte, laßt in der nächsten Zeit nicht ab, die Hände zu falten, für die Eltern, für diese Familie. Wir wollen, so gut wir das können, diese Menschen mit unseren gefalteten Händen durch das Dunkel tragen. Wir wollen sie hindurchbeten. AMEN