Ansprache zur Bestattung - Unfalltod einer 20jährigen Matth. 28,20 Liebe Familie E., liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Was das wohl heißt, für die Eltern, den Freund, den Bruder, für alle, die sie liebhatten: Sie hergeben müssen, alle Pläne begraben, alle Hoffnung dahin... 20 Jahre erst, so viele Wünsche ans Leben, so viele Träume ... Wie soll man das verkraften? Was wäre dazu Tröstliches zu sagen? Wie kann man je darüber hinwegkommen? Wir anderen hier spüren das genau: Worte versagen. Wir möchten von Trost sprechen - es gelingt uns nicht. Viele von uns waren schon bei den Eltern, den nächsten Angehörigen, viele haben schon versucht, ein "Herzliches Beileid" über die Lippen zu bringen, aber es ging nicht, oder es hörte sich so schal an, so unangemessen, so kraftlos. Mir ist das genauso gegangen. Ich wollte auch von meinem Mitgefühl reden, auch einen tröstlichen Gedanken sagen ... und es war ja auch ehrlich gemeint, wie bei vielen anderen von uns auch. Aber alle Worte erscheinen auf einmal so schwach. Sie sollen wohl helfen, aber sie können es nicht. Sie sind dem, was da Schreckliches geschehen ist.. nicht mächtig. Ja, das ist es: Worte sind ohnmächtig vor diesem Unglück. Wir sind ohnmächtig. Das ist es, was wir fühlen. Wir haben uns dann zu Gesten geflüchtet: Vielleicht haben wir den Arm um die Schulter der Mutter gelegt, vielleicht die Hand des Vaters ergriffen und länger gehalten, als es uns die Nähe der Beziehung sonst gestattet ... Auch da war es dasselbe: Es reicht nicht. Es wird dem Schmerz dieser Menschen einfach nicht gerecht. Wir mußten unsere Ohnmacht spüren. Und auch jetzt - für mich - ist es das gleiche: Ich würde so gern starke tröstende Worte sagen! Ich denke seit Tagen darüber nach, wie ich sprechen soll, daß es helfen kann, daß Sie, liebe Angehörige, von hier wenigstens einen Gedanken des Trostes mitnehmen können, eine leise Ahnung von Sinn ... Es geht nicht. Ich kann es nicht - und ich glaube, kein Mensch! Wir fühlen unsere Ohnmacht. Wir müssen die Grenzen erkennen, die unserer Begreifen gesetzt sind unseren Worten auch: Wir möchten trösten, helfen und sind nicht fähig dazu. Das tut weh. Sicher hängt dieser Schmerz damit zusammen, daß wir unsere Grenzen sonst überall immer mehr hinausschieben. Überall Fortschritt, oder was wir dafür halten, in Wissenschaft und Technik. Immer mehr rühren wir an mit unserem suchenden Verstand und unseren forschenden Händen. Welche Rätsel halten noch stand? Was werden wir nicht einmal wissen und beherrschen? Alles erscheint machbar. - Nur der Tod entzieht sich unserem Verstehen. Nur ihm können wir keinen Sinn geben - schon gar nicht diesem frühen Sterben, so weit vor der Zeit, so mitten im blühenden Leben... Vor dem Tod sind wir ohnmächtig, hilflos und klein. Aber vielleicht ist es ja das, was wir begreifen sollen: Es gibt Grenzen! Es gibt Bereiche der Welt und des Lebens, wo wir nichts "machen" können.. wo unser Verstand versagt und unsere Suche ins Leere tastet. Der Tod ist so eine Grenze. Er markiert einen Bereich,' in den unser Wissen und Verstehen kein Licht bringen kann. Aus eigener Kraft und durch den eigenen Geist werden wir die Todeslinie nicht überschreiten können. Vielleicht ist es das, was wir jetzt so schmerzhaft lernen müssen, lernen sollen ... ? Unsere "eigene" Kraft versagt. Unser "eigener" Verstand kommt an seine Grenze. Wir sind ohnmächtig. - Muß das aber heißen, daß der Tod in niemandes Macht steht? Gibt es keine andere Kraft.. die auch ihn beherrscht und bestimmt? Und das wichtigste vielleicht: Kann der Trost, den wir jetzt so nötig brauchen, nicht auch woandersher kommen, als von Menschen? Ich muß an den Mann am Kreuz denken, den Herrn.. nach dem wir heißen: Hatte er nicht die gleichen Fragen wie wir? "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?"- "Warum muß ich sterben? Warum dieser Tod, was ist sein Sinn?" Hat nicht auch er gerade am Tod die entsetzliche Ohnmacht erfahren" die auch wir heute so schmerzlich spüren? - Was hat ihn getröstet, damals? Ich kann nur glauben, daß er am Ende seiner Kraft, die Kraft Gottes gefühlt hat. Ich kann nur das aus seinen Worten lesen: "Vater, dein Wille geschehe!" Es muß also hinter allem menschlichen Begreifen, einen Sinn geben - auch einen Sinn für den Tod. Und es gibt offenbar einen Trost.. dessen wir nicht mächtig sind,' der aber dort anfängt, wo unser Verstand und unsere Worte an ihre Grenze kommen. Wie sonst soll einer, der am Kreuz den schändlichsten Tod stirbt, sagen können: "Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist"!? Er - der Herr der Christen - muß die Hände Gottes auch dort noch gespürt haben, wo Menschenhände und Menschengeist nicht mehr hinreichen. Ich glaube von daher fest, daß auch der Tod in der Macht Gottes steht, daß es Sinn gibt auch da, wo wir ihn nicht mehr sehen können, daß Trost und Hilfe von dort kommen, wohin menschliches Begreifen nicht vordringen kann. Wo unsere Ohnmacht beginnt, zeigt sich Gott mächtig. Ich habe A. vor 6 Jahren konfirmiert. Als ich von dem Unglück erfuhr, habe ich ihren Konfirmationsvers nachgeschlagen. Inzwischen weiß ich, daß dieser Vers schon über Generationen Tradition in der Familie hat. Zuerst schien er mir unpassend, nicht geeignet für diese Stunde. "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende", heißt dieser Spruch, ein Wort Jesu, bevor er in der Himmelfahrt zu seinem Vater zurückkehrt. Den Jüngern hat er das zugesagt und uns - seinen Leuten - auch! Aber vor diesem Sterben, diesem frühen unbegreiflichen Tod eines jungen Mädchens? Wie gesagt, mir schien er auch nicht zu passen: War Gott denn nicht ganz augenscheinlich nicht bei ihr, als es geschah? Und ist Gott nicht auch jetzt den Eltern und Angehörigen fern mit seiner Hilfe und seinem Trost? Und hat er nicht auch uns andere verlassen, wenn es uns nicht gelingen will, tröstliche Worte zu sagen? Wenn ich da nun das Beispiel unseres Herrn am Kreuz sehe, wenn ich seine Worte höre und daran begreife, daß Gott erst da anfängt, wo wir aufhören zu verstehen und zu "machen"...dann wird mir auf einmal ein anderer Sinn dieses Verses deutlich: Siehe, ich bin bei euch...! Er ist bei uns hinter der Grenze dessen, was unser Geist begreifen kann. Er ist bei uns, wo unsere Kraft zuende geht. Er ist bei uns, wo wir aufhören machen" zu wollen, verstehen zu wollen, auch trösten zu wollen. Wir können das nicht. Wir müssen das erkennen und uns drein schicken. Wir sind schwach. Wir sind klein. Aus eigener Macht können wir gar nichts. Gott ist die Macht. Er hat die Kraft. Er kann! Wo wir das sehen und uns drunter beugen, da beginnt auch der Sinn dieses Wortes: Siehe, ich bin bei euch! Nein, sie war nicht von Gott verlassen, als es geschehen ist! Auch wenn unser Verstand das nicht faßt, aber jeder Tod, auch das frühe Sterben, ist in Gottes Macht! Er weiß auch einen Sinn - und er schenkt in der Auferstehung auch ein Ziel! Und Gott ist jetzt auch bei Ihnen, liebe Eltern und Angehörige! Auch Ihnen sagt er das zu: Siehe, ich bin bei euch alle Tage... Auch in diesen schwersten und dunkelsten Tagen Ihres Lebens ist Gott Ihnen nahe. Nur ist er das auf seine, unbegreifliche Weise, nicht in irgendeinem Sinn, den wir diesem Unglück geben könnten. Sie werden seine tröstende Hand fühlen - und vielleicht haben sie diese Hand in den vergangenen Tagen schon gespürt, wo sie gefaßt wurden und wußten gar nicht warum, wo sie ohne Tränen den Namen "A." aussprechen konnten, und wußten nicht, wer sie so stark machte. Und schließlich ist Gott auch bei uns anderen allen! Nein, wir können diesen geschlagenen Menschen keinen Trost geben, wir nicht! Er entzieht sich unserem Zugriff, läßt sich nicht machen und weitergeben wie ein Ding. Aber vertrauen wir darauf,' daß Gott diese Menschen jetzt nicht alleinläßt und daß er - wenn er das will - auch aus unseren ehrlich gemeinten Worten Trost und Hilfe werden lassen kann. Er kann, was wir nicht können. Denken wir daran, wenn wir nachher die Hand der Angehörigen drücken und von unserer Anteilnahme sprechen. Wir können nicht trösten - Gott kann es! Siehe, ich bin bei euch alle Tage... Ich wünsche das unserer so früh verstorbenen A., daß Gott auch jetzt bei ihr ist und sie bei ihm, daß er ihr die Auferstehung und das ewige Leben schenkt. Ich wünsche das den Eltern und Angehörigen, daß sie's glauben können und fühlen können - wo unser Begreifen und Trösten aufhören. Und ich wünsche das uns allen: Alles ist in Gottes Macht. Seine Kraft reicht überallhin, auch dorthin wo unser kleiner Verstand an seine Grenze stößt. So wünsche ich uns, daß auch wir von solchen Worten, "Mein Gott, warum hast du mich verlassen".. zu diesem Vertrauen gelangen: "Vater, in deine Hände befehlen wir ihren Geist!" AMEN