Ansprache zur Beerdigung – Plötzlicher Tod eines 69jährigen Mk. 14,36 / Mt. 6,10 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! So viele ungelöste Fragen und widersprüchliche Gedanken bewegen uns an diesem Tag, an dem wir H. A. begraben müssen. Persönliche Gedanken, die jeder und jede nur für sich hat. Aber auch Fra- gen, die uns allen jetzt durch den Sinn gehen. Die persönlichen Gedanken kennt jeder nur selbst, darüber kann ich hier nicht reden. Aber die Fragen, die dieses Sterben uns allen gestellt hat, die will ich und die kann ich ansprechen: Warum nur mußte das so rasch gehen? "Am morgen habe ich noch mit ihm telefoniert", so hat einer berichtet, "nur zwei Stunden später habe ich dann erfahren, was geschehen ist." - "Wir sind alle sehr betroffen", so haben wir es aus der Hausgemeinschaft gehört, "wer hätte denn so etwas gedacht!" Und die Angehörigen sind bestürzt, daß ein Mensch, der immer da war, so im Nu aus ihrem Leben getreten ist. Keine Zeit mehr, Dinge zu besprechen und zu regeln, keine Möglichkeit, Abschied zu nehmen, zu danken... Von einem Moment auf den anderen allein. Ohne Wort, ohne Gruß. Liebe Trauergemeinde, das ist schrecklich, wenn es so schnell geht mit dem Abschied! Und ich hatte und habe schon immer meine Vorbehalte, wenn ich dann höre: Das war aber ein schöner Tod! Min- destens das müßten wir hinzufügen: Es war ein schöner Tod...für ihn, der gestorben ist. Für die An- gehörigen, für alle, die ihn liebhatten und denen er jetzt so fehlt, war dieses Sterben nicht schön, vielmehr grausam und hart. Denn es ist gut, wenn Menschen Abschied nehmen dürfen, wenn sie sich noch einmal in den Arm nehmen und sich letzte liebe Worte sagen können. Ein solches Sterben ist leichter, eine Trauer, die so beginnt, ist besser zu bewältigen und liegt uns nicht jahrelang auf der Schulter und auf dem Herzen wie eine schwere Last, die uns keiner mehr abnimmt. Eine zweite Frage, die uns alle heute beschäftigt, ist sicher diese: Warum mußte hier - nach einigen Abschieden von um die 70jährigen in den letzten Wochen - schon wieder ein Mann gehen, der erst 69 Jahre alt war. Gerade hatte er sich ein Heim geschaffen, in dem er seine älteren Jahre verbringen wollte. Und er, der ja doch nie so recht ruhen konnte, hatte doch auch noch so viel vor! Und so meinen wir, daß dieses Leben, das da so jäh an sein Ende kam, eigentlich noch nicht vollendet und rund gewesen ist. Der Abschluß fehlt, die Bereitschaft auch, alles aus den Händen zu legen, der Wil- le, nach einem langen Leben nun auch gern "heimzugehen"... Denn das ist es doch, was wir bei an- deren Abschieden dann preisen, wenn wir sagen: "Der Lauf war vollendet, er war alt und lebenssatt, er hat es zuletzt selbst gesagt: Ich möchte gern zu Hause sein." Nein, so war es hier nicht, wir wol- len uns da nichts vormachen. Liebe Trauergemeinde, was tun wir jetzt mit diesen Fragen nach dem Warum dieses raschen und doch auch noch so frühen Abschieds? Und vor allem, wie reimen sich diese Fragen mit unserem Wunsch, hinter diesem Sterben doch auch die gnädige Hand Gottes zu sehen und von seiner Güte und seiner Gnade zu sprechen? Wir wollen an dieser Stelle auf ein Bibelwort hören. Es steht in der Geschichte, die wir in zwei Ta- gen, am Gründonnerstag in unseren Kirchen hören und bedenken. Und dieses Wort hat auch im Ge- bet der Christen, dem Vaterunser seinen Niederschlag gefunden. Es ist Jesus, der dieses Wort in der größten Verzweiflung und Not vor seiner Gefangennahme im Garten Gethsemane gesagt hat. Als er dort mit der Todesangst ringt, sagt er am Ende: "Mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!" Und im Gebet unseres Herrn, in der dritten Bitte des Vaterunsers hat dieser Gedanke den kurzen aber gewaltigen Ausdruck gefunden, an dem wir Christen wohl unser ganzes Leben lang herumbuchstabieren müssen: "Dein Wille gesche- he!" - Aber was hat das mit dem raschen Abschied von H. A. zu tun? Liebe Gemeinde, ich denke, wir sind bisher bei unserem Willen stehen geblieben, wenn wir über die- ses Sterben nachgedacht haben. Es hätte noch dauern sollen! Wir hätten gern noch dies und das mit ihm gesprochen, ihm noch für manches danken wollen. Es gibt da aber eine ganz andere Seite dieses Abschieds, die hat mit dem Willen Gottes zu tun, glaube ich. Vielleicht kommen wir diesem Willen Gottes auf die Spur, wenn wir einmal da weiterdenken, wo das Sterben dieses Menschen unser Wünschen und Wollen so plötzlich abgeschnitten hat. Wir wissen das ja nicht, wie es weitergegan- gen wäre, aber hätten wir H. A. ein langes - aber vielleicht durch Krankheit und Leiden behindertes - Leben gewünscht? Ja, hätten wir es uns bei diesem Mann auch nur vorstellen können, daß er nicht mehr jeden Tag hätte hinausgehen oder -fahren können an irgendeine Baustelle, eine Arbeit, die er tun oder betreuen konnte, an einen Ort, wo er gebraucht wurde? Wie wichtig war das doch für ihn, daß er etwas zu schaffen hatte, eine Aufgabe, einen Auftrag... Ich glaube, da sind wir uns alle einig: Das wäre für ihn wie Sterben vor dem Tod gewesen! Und bei der anderen Frage gibt es auch eine andere Sicht. Wir sagen: Es hätte nicht so schnell gehen sollen mit diesem Abschied, weil vielleicht ja noch dies oder das zu regeln gewesen wäre? - Manch- mal können wir die Probleme, die uns umtreiben ja nicht lösen. Manchmal gibt es keine Möglichkeit, die in unserer Macht liegt, unsere Dinge zu ordnen. Vielleicht weil uns Kinder versagt geblieben sind? Vielleicht weil das Leben ungewöhnliche Wege für uns bereitgehalten und uns in schwierige Lebensumstände geführt hat. Dann kann der Tod auch das Ende aller Sorgen bedeuten, die Erlösung von allen Gedanken, die uns vielleicht Tag und Nacht beschäftigt haben. - Wir wissen nicht, wie das hier gewesen ist, aber wir wollen es glauben, daß es auch diese andere, gute Seite gibt. Wir erkennen sie dann, wenn wir uns darauf einlassen und sprechen: Gott, dein Wille geschehe. Liebe Trauergemeinde, ich glaube, wir alle können aus diesem Gedanken heute etwas mitnehmen in unser Leben. Geschieht uns nicht tagtäglich, was uns nicht gefällt? Kennen wir nicht auch alle die Frage, warum muß ich da jetzt hindurch? Und wenn wir Christen sein wollen, stellt sich diese Frage dann nicht so: "Warum, Gott, legst du mir das auf?" - "Warum muß ich so krank sein? Warum hast du mich nicht bewahrt, warum ist dieses Unglück über mich gekommen?" Und - auch dazu dürfen wir uns bekennen - haben wir nicht auch alle schon mit Gott gehadert in unserem Leben? Und wenn es noch nicht so war, kann uns nicht schon morgen etwas begegnen, was wir nicht mehr mit Gottes Liebe und Güte und damit, daß er doch unser "Vater" ist, reimen können? Es wäre sicher gut, wenn wir dann ehrlichen Herzens so sprechen könnten: Gott, dein Wille geschehe! Gewiß, das verlangt Vertrauen. Aber gibt es nicht auch für uns alle gute Gründe, dieses Vertrauen aufzubringen? Wie oft haben wir es doch schon erlebt, daß auch noch aus dem schwersten Schicksalsschlag am Ende etwas Gutes geworden ist, zu dem wir ja sagen konnten. Zuerst haben wir vielleicht geweint, haben uns zerschlagen und ohnmächtig gefühlt, zuletzt aber konnten wir wieder lachen, haben viel- leicht sogar einen im Leid oder Unglück verborgenen Sinn erkannt. In solchen Zeiten konnten wir das mit voller Überzeugung mitsprechen: Gott, dein Wille geschehe! Oder unsere Lebenspläne haben sich zerschlagen: Wir wären so gern dies oder das geworden, hätten gern mehr erreicht oder es weitergebracht im Beruf. Gab es aber nicht auch Tage - gerade wenn wir inzwischen etwas älter sind - an denen wir gespürt und vielleicht gedacht haben: Es war doch alles gut, so wie es gekommen ist. Und mancher wird in seinem Herzen noch einen Dank hinzugefügt ha- ben: Danke, Gott, daß nicht mein Wille, sondern deiner geschehen ist. Eigentlich bin ich im Rück- blick ganz zufrieden, wie du es mit mir gemacht hast! Gewiß gibt es auch die unter uns, die bis heute nicht verstehen, warum sie ein solch hartes Geschick von Gott auferlegt bekommen haben. Aber kann man nicht auch, wenn man Gottes guten Willen ü- ber sich noch nicht erkannt hat, glauben, daß es diesen guten Willen gibt? Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde, die Fragen um dieses rasche, frühe Sterben sind jetzt si- cher nicht gelöst. Sie werden uns noch lange begleiten und vielleicht viele Monate jeden Morgen neu sein. Aber vielleicht geht auch dieser Gedanke von heute mit ihnen allen: Es gibt hinter diesem Ab- schied die andere Seite, die andere Sicht: Es ist Gottes Wille gewesen, der hier geschehen ist. Und Gottes Wille ist immer gut für uns, auch wo er uns zuerst nicht gefällt. Und vielleicht deuten wir in der Zukunft auch alles, was uns widerfährt, ein wenig anders - und wenn es nur das wäre, daß wir nicht vorschnell urteilen über alles, was uns geschieht. Denken wir dann, es gibt hinter allem, noch hinter dem schwersten Geschick und dem größten Leid diesen tröstlichen Gedanken: Es ist Gottes Wille, der geschieht. Und Gottes Wille ist gut! Wir wollen jetzt auch H. A. für immer loslassen in der festen Gewißheit, daß es Gottes Wille war, der ihn so früh und so rasch aus diesem Leben gerufen hat. Und geben wir auch in allem, was jetzt geschieht, an uns persönlich und in der Gemeinschaft seines Hauses, dem Willen Gottes Raum. Wir werden ihm gerecht, wenn wir aus Liebe das Gute und Hilfreiche tun und fördern.