Ansprache zur Beerdigung - Tod nach mehrwöchigem Koma Ps. 73, 23f Liebe Frau F., liebe Angehörige und Freunde! Das ist nie leicht, etwas wirklich Tröstliches zu sagen. Heute - angesichts dieses Todes - scheint es mir noch einmal so schwer: Das Unglück vor drei Wochen am 2. Advent, mit seinen schrecklichen Folgen, und dann - er schien doch alles so gut überstanden zu haben - wir hatten so viel Hoffnung und es sah doch am 2. Feiertag so aus, als würde er bald wieder zu sich kommen. Gewiß dachten sie: Wir dürfen jetzt noch ein paar schöne Jahre haben. Nach alledem noch ein bißchen erfüllte Zeit Seite an Seite... Es sollte nicht mehr sein. Ich glaube, wir alle spüren, wie das ist: Da hat man sich noch ein wenig Leben gewünscht, erhofft und ersehnt - das soll jetzt aus sein? Da fragt man schon: Warum dann die vielen Tage zwischen Leben und Tod, warum die lange Zeit bangen Wartens, warum dann all die Hoffnung, der Kampf und das Ringen ums Leben...von H. F. selbst und von ihnen, liebe Angehörige. Für was hat man sich solche Hoffnung gemacht - wenn dann doch alles vergeblich war? Warum wurde uns vorgegaukelt, alles würde wieder gut, wenn das nun der Schluß ist? Wir sind enttäuscht, unendlich enttäuscht. Wünsche haben sich zerschlagen - waren sie denn so vermessen? Alles kam anders, als wir dachten. Wie sollen wir darüber hinwegkommen? Und ich denke mir: Wir fragen auch Gott, warum, warum hat das so kommen müssen? Wir haben den Verstorbenen so geliebt. Wir haben, gerade in der letzten Zeit, so gespürt, wie lieb wir ihn haben und wie wir ihn brauchen - bei den täglichen Besuchen an seinem Krankenbett. Und sie, liebe Ange- hörige, was hat sie sein Krankenlager Mühe und Kraft gekostet: Täglich nach Gießen, viele Stunden bei ihm, immer wieder der Versuch, mit ihm Kontakt aufzunehmen, der Zuspruch, der doch nicht erwidert wurde, die unzähligen Gebete für ihn, und dann Zuhause, die Angst in der Nacht, es könnte der Anruf kommen, vor dem sie sich so gefürchtet haben... Und das alles, um ihn heute doch herge- ben zu müssen? - Konnten ihm denn nicht noch ein paar Jahre geschenkt werden? Ja, so fragen wir. Und - so möchten wir Gott fragen; es fehlt nicht viel, daß wir mit ihm zu hadern beginnen. Und wirklich: Wie reimt sich das zu Barmherzigkeit und Güte? Wie bringen wir den Tod, der uns betroffen hat, zusammen mit der Liebe Gottes, daß ohne seinen Willen kein Haar von unse- rem Haupte fällt? Wo war Gott, als wir diesen geliebten Menschen verloren haben? War das sein Wille? Was könnte hier Trost heißen? Und ich will auch das aussprechen: Wie kann ich hier hinein ein Wort sagen, das ihnen hilft? Sie ringen doch mit der Enttäuschung. Sie können nicht begreifen, warum das geschehen mußte und warum so. Und sie fragen Gott: War das dein Wille? - Aber auf der anderen Seite, ist das nicht schon ein wenig Hilfe: Zu dieser Enttäuschung stehen dür- fen. Hier und heute - bei diesem traurigen Abschied sagen dürfen: Wir begreifen es nicht. Und schließlich: Wird uns nicht schon leichter, wenn wir diese Frage auch vor Gott bringen: Warum, Gott, mußte das - schon - sein? Und wir wollen auch das nicht zurückhalten: Ja, der Wille Gottes kann furchtbar wehtun. Der 'gute' Gott kann sehr hart mit uns umgehen. Aber wir dürfen dann auch weinen und sagen: Ja, es tut weh! Wir dürfen es dann auch hinausschreien: Gott, wir verstehen dich nicht mehr! Und wenn es nur das ist, was wir heute tun - drei Tage nachdem uns Gottes Wille ge- troffen hat. Es braucht Zeit, darüber hinwegzukommen. Sie vor allem, liebe Angehörige, brauchen diese Zeit. Ihre Trauer braucht sie. Vielleicht in ein paar Wochen, vielleicht in ein paar Monaten - kann wieder ein Wort des Trostes mit ihnen sprechen und ihnen Mut machen. Sie haben es mir überlassen ein solches Wort auszusuchen, daß wir in dieser Stunde darüber nach- denken. Ich habe das getan. Vielleicht behalten sie - was sie jetzt hören - für die Zeit, da sie sich dem Wort Gottes wieder öffnen können. Wir lesen im Psalm 73 die Verse: Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei mei- ner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Der erste Beter dieses Psalmworts hat wohl auch etwas mit der Härte Gottes erlebt. Zuvor klagt er in diesem Psalm: Täglich bin ich geplagt, meine Züchtigung ist alle Morgen neu, es tut mir weh im Herzen und es sticht mich in meinen Nieren... Haben wir in den vergangenen Wochen nicht Ähnliches erfahren? Haben wir nicht genauso gefühlt? Und der Verstorbene selbst? Was wissen wir davon, wie er selbst seinen Zustand erlebt hat, was in ihm vorging, der sich doch nur nach außen nicht äußern konnte? Uns jedenfalls tat das Herz weh, sehen zu müssen, wie er durch so lange Leidenszeit hindurchmußte, daß es uns doch immer wieder so schien, als wolle er Kontakt mit uns aufnehmen - und er konnte es doch nicht. Und es hat uns im Innersten verletzt, daß nun doch alles umsonst gewesen sein soll. Dennoch bleibe ich stets an dir! Wie kann der Psalmist so reden? Was gibt ihm denn Anlaß zu die- sem mutigen, ja trotzigen "Dennoch"? Er sagt es selbst: Denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Nicht: Du hast mich gehalten, früher, als es mir besser ging... Und nicht: Du wirst mich später wieder einmal halten, wenn ich hier hindurch bin... Du hältst mich bei meiner rechten Hand! Jetzt, im Leid, in Kummer, in Not... Jetzt, wo ich solche Anfechtungen habe, jetzt während du mich plagst und züchtigst, Gott, hältst du mich auch! Ich glaube fest, das hat ihr lieber Verstorbener, auch erfahren! Er war nicht allein in diesen stillen Wochen, in denen er uns kaum ein Lebenszeichen hat geben können. Gott hat ihn gehalten. Er hat darüber ja nicht reden können, aber vielleicht haben sie es ja doch an ihm gespürt: Daß in ihm nicht Auflehnung und Kampf war, sondern Frieden und so etwas wie Geborgenheit...vielleicht... Aber Gott hält die Leidenden auch noch anders: Er stellt ihnen Menschen zur Seite, die für sie da sind, die sie besuchen, für sie beten, die ihre Hand halten, die ihre Stirn kühlen. Sie, liebe Angehörige durften für den Verstorbenen besonders in der letzten Zeit der Halt sein. Er hat das gewiß gefühlt und es war unendlich wichtig für ihn, auch wenn er das nicht hat aussprechen können! Und wie war das bei ihnen selbst?: Haben sie nicht auch immer wieder gespürt, Gottes rechte Hand hält auch uns! Woher kam denn ihre Kraft - täglich neu - aus der heraus sie wieder die Fahrt nach Gießen antreten und viele Stunden bei ihm sein konnten? Mußten sie sich nicht manchesmal wun- dern, wer sie stärkte, das - jeden Morgen neu - tapfer, und sogar freudig, auf sich zu nehmen, und immer wieder auch die seelischen Belastungen eines Tages am Bett des Kranken zu ertragen? Das alles löst nicht die Frage: Warum? Wir finden darin nicht die Antwort, warum H. F. - nach solch langer Zeit bangen Hoffens nun doch hat gehen müssen. Wir sehen darin auch nicht den Sinn des Leids überhaupt. Eines aber können wir gewiß erkennen: Der Gott, der Schmerzen, Krankheit und Leid auferlegt - hilft uns auch tragen. Der Gott, der uns in Kummer und Not führt - führt auch hindurch und geht mit uns. Der Gott, der uns auch Schweres nicht erspart - hält uns mit seiner Rechten. Menschen, die wirklich hartes Geschick tragen müssen, können uns oft auch dafür einstehen: Der Gott, der Plage und Züchtigung sendet, der uns wehtut und uns oft unverständlich hart hernimmt, der hilft dann auch in der schweren Zeit auf mannigfaltige Weise. Ich glaube, aus solchen Erfahrungen heraus können Menschen so sprechen: Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Und wir müssen uns den Vers auch noch weiter anhören: Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Wenn uns auch vieles unbegreiflich und dunkel bleibt, wenn wir auch nicht verstehen können, warum wir leiden müssen, warum viele Menschen - warum unser Verstorbener - diese schlimme letzte Zeit ertragen mußte - es geschieht alles nach dem Rat Gottes! Wie gesagt: Wir werden den Sinn vielleicht nicht erhellen, vielleicht nie solange wir leben - und doch: Es gibt diesen Sinn. Es steht ein Plan - Gottes Plan - dahinter. Dieser Plan ist gut. Da dürfen wir gewiß sein. Es war von da- her gut, wie es kam - für unseren Verstorbenen und für uns. Wir wollen nicht spekulieren, aber wie wäre es vielleicht gewesen, wenn er nach diesen drei Wochen wieder ins Leben zurückgekehrt wäre? Ob wir ihn noch erkannt hätten? Ob es ein Leben gewesen wäre - für ihn, für uns? So aber ist gewiß: Er ist nun dort, wo wir das wirkliche Leben haben sollen, wo uns eine Herrlich- keit erwartet, gegen die alles, was diese Welt zu bieten hat, nur ein schwacher Abglanz ist. Und wir? Was wird aus uns, die traurig zurückbleiben? Auch für uns wird dieses Leben noch Aufgaben und Ziele haben, für die es sich zu leben lohnt. Vertrauen wir Gott - und seinem Willen. Liebe Angehörige, vielleicht ist das alles noch zu früh, heute... Solche Worte können wohl noch nicht trösten... Bewahren sie auf, was sie gehört haben, bis sie solche Worte von Herzen wieder nachsprechen können: Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Und gerade dieses letzte wollen wir für unseren Verstorbenen erbitten: Gott nehme ihn nun in Ehren an, er schenke ihm - nach einer Zeit der Plage und des Leidens - ewiges Leben in seinem Reich.