Ansprache zur Beerdigung - Plötzlicher Tod einer sehr alten Frau Psalm 23 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Je länger ich Pfarrer bin, um so deutlicher wird mir das: Jedes Sterben hat seine besonderen Fragen und seinen ganz eigenen Charakter. Jeder Tod ist immer wieder eine sehr persönliche Sache! Nicht nur, weil es uns von Menschen trennt, die ihr ganz eigenes Wesen und ihre unverwechselbare Per- sönlichkeit hatten; auch der Abschied selbst ist immer wieder besonders und einzigartig. Der eine Mensch muß lange leiden und kann sich vielleicht viele Jahre nicht mehr allein helfen. Der andere ist kerngesund bis ins Alter und muß oder darf dann von einem Augenblick zum anderen, vielleicht mit- ten bei seinem Tagwerk gehen. Ein dritter stirbt viel zu früh, noch bevor er 60 ist. Ein vierter ist in seinen letzten Jahren so einsam, daß er sich den Tod herbeiwünscht und er kann doch nicht sterben. Immer ist es anders, einzig und unvergleichbar. Und immer stellt uns der Tod Fragen, denen wir nicht ausweichen können. Vielleicht solche: "Warum mußte sie so lange leiden? Warum mußte er so früh gehen? Weshalb kam der Tod auf diese Weise?" So ist es auch angesichts des Sterbens von E. P.; auch da vernehmen wir jetzt in unserem Inneren Fragen, auch dieser Abschied war besonders wie kein Abschied sonst, auch hier sind es ganz eigene Gedanken, die uns durch den Kopf gehen. E. P. hat ein letzte leidvolle Zeit gehabt. Die körperliche Schwäche nahm immer mehr zu. Nun ist sie aber doch noch gestürzt, mußte ins Krankenhaus, wo sie dann operiert wurde - um dann noch am selben Abend zu sterben. Da kommen schon Gedanken und Fragen! Vielleicht solche: Hätte sie nicht zu Hause, dort wo sie immer gelebt hat, in Frieden einschlafen können? Und warum mußte es so kurz vor Weihnachten geschehen, wenn die Gefühle ohnedies so bloßliegen und wir diesen Men- schen wenn die Trauer noch so frisch ist, über die Feiertage, noch viel schmerzlicher vermissen. - Ich glaube, nicht nur den Angehörigen gehen heute solche Gedanken durch den Kopf. Gewiß, die Ver- storbene war 95, da muß man mit dem Abschied rechnen. Und doch, wir hätten es uns ein bißchen anders gewünscht. - Ist das so unbescheiden? Andere unter uns sehen es vielleicht nüchterner: Es ist doch jetzt vorbei, sagen sie. Sie ist ja nun er- löst, Gott sei Dank! - Das stimmt, aber es muß doch erst bewältigt werden! Und es ist eben beileibe nicht vorbei für alle, die E. P. in ihrer Leidenszeit nahe waren. Über den Erfahrungen, die sie ge- macht haben, muß man erst wieder einmal Gott, das Vertrauen, seine Liebe und den Glauben an sei- ne Güte buchstabieren lernen! Denn da mußte wirklich ein Mensch lange Zeit des Leidens ertragen, und da mußten Angehörige eine lange, aufreibende Zeit der Pflege bestehen! - Das will erst verarbei- tet sein! Doch, es ist schon so: Jedes Sterben stellt seine Fragen. Und der Abschied, den wir heute betrauern, vielleicht ganz besonders laut. Vielleicht hören wir diese Fragen heute so: Wie sehen wir unseren Gott? Hat in unserem Glauben auch das schwere Geschick seinen Raum? Können wir auch ertragen, daß Gottes Wille uns sehr Schweres auferlegt? Vielleicht für uns selbst, vielleicht in der Pflege für andere, daß wir am Leid mitragen müssen, ohne Gott zu verlieren? Wie lange wird unser persönliches Vertrauen halten: ein paar Wochen, einige Monate, ein Jahr... Auch wenn uns das jetzt unangenehm wird, aber ist es nicht besser, diese Fragen einmal zu stellen, als sie von vornherein zu unterdrücken. Ängstliches Verdrängen hilft ja nicht wirklich. Sich blind und taub zu geben, schafft ja die Angst nicht aus unserem Herzen. Diese Fragen bleiben, ob wir sie hören wollen oder nicht. Lassen wir uns in diese Fragen hinein Worte aus dem Psalm 23 sagen, die sich unsere Verstorbene für diese Stunde gewünscht hat, daß wir sie bedenken: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln...und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. Und ich will diese Verse, die wir gewiß so gut kennen, wie kaum andere aus der Bibel, doch noch einmal sagen: --- Spüren sie das nicht auch? Wie doch schon das Hören, der Klang dieser Worte ru- higer macht! Wie diese Worte doch wie Balsam sind für unsere erschreckten, aufgescheuchten See- len. Diese Psalmverse haben etwas Wunderbares: Noch bevor wir ihren Inhalt mit unserem Verstand erfassen, da trösten sie schon, ermutigen, stärken, helfen. Menschen in großer Not, auf dem Kran- kenlager oder am Ende, mit dem Schwersten vor Augen..., solche Worte dann gesprochen oder vor- gebetet...da ist eine Kraft im Raum, ein Zuspruch, eine Macht, die wir kaum erklären können, die aber doch da ist: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln... Und wieviel liegt erst im Sinn dieses Wortes!: Wir wissen ja alle, wer dieser "Herr" ist, der Gott des Himmels und der Erde, der Vater aller Menschen, der auch uns geschaffen hat, gewollt hat, mit al- lem, was uns ausmacht. Im Mutterleib hat er dich und mich gebildet. In der Taufe hat er uns seinen Segen versprochen. Und er hat sein Versprechen gehalten, selbst in den ganz dunklen Zeiten unseres Lebens. Er hat uns Schweres nicht erspart, aber er hat uns hindurchgeführt. Er hat uns vielleicht so- gar einmal fallengelassen, aber er half uns wieder auf! So mußten uns immer wieder selbst die Not und das Leid zum Besten dienen. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln... Wir haben allen Grund, ihm zu vertrauen. Er ist unser guter Hirte, auch wenn das manche von uns heute nur schwer glauben können. Er wird uns durch die Zeit der Trauer führen, ohne daß wir im Leid ver- zweifeln und vergehen. ...und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar! So geht dieser Psalm zu Ende und das ist das zweite: Er ist ja gar nicht bloß der Herr dieser Welt und dieses Le- bens! Seit Jesus gestorben und auferstanden ist, wissen wir von einem anderen Leben und einer neu- en Welt. Dieser Jesus hat sie uns verdient, erworben mit seinem Blut, bezahlt mit seinem Leid. Uns erwartet dieses Leben, wenn wir ihm vertrauen und uns von seiner Art zu leben und zu lieben anste- cken lassen. ...ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar! Für manche ist dieser Glaube gar nicht so leicht, ich weiß. Sie haben es versucht, wieder und wieder: "Ich will ja glauben, ich will ja hoffen!" Aber vor schlimmen Lebenserfahrungen brach der Glaube wieder zusammen. Der Atem unserer Hoffnung erwies sich als zu kurz: Die Angst vor dem Verhängnis des Todes hat sie besiegt. Und dennoch wird uns das heute, an diesem Tag, in dieser Stunde wieder einmal zugemutet und zu- getraut: Glaube das: Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar! Vertraue Gott, der mehr mit dir vorhat als dieses Leben in dieser Zeit! Nimm doch wieder einmal wahr, was deine Erfahrun- gen sagen wollen: Du wurdest zwar in Kummer und Schmerz geführt, aber du gingst doch nicht dar- in unter! Die Erlebnisse, die du hattest, die schlimmen Bilder deiner Erinnerung, es waren vielleicht Stunden dabei, in denen du keinen Gott mehr erkennen konntest, und doch hat er dich nicht losge- lassen. Er hat dir auch wieder andere Zeiten, glücklichere Stunden geschenkt. Sieh doch auch das! Und lerne daraus: Wie schon so oft in deinem Leben aus Dunkel wieder Licht wurde, so wird einmal aus der Nacht des Todes ewiger Tag werden. Du wirst bleiben im Hause des Herrn immerdar! Vertraue dich Gott an, auch wenn du ihn nicht ganz verstehst. - Wer wollte Gott immer ganz begrei- fen können? Du wirst bleiben im Hause des Herrn immerdar! Das ist eine Verheißung für jeden von uns und ganz besonders für die Angehörigen von E. P.: Auch wenn Ihr es heute nicht für möglich haltet, es werden auch wieder andere Tage für Euch kommen. Aus Tränen der Trauer werden Tränen der Freude werden. Ja, es mag vielleicht noch zu früh sein für solche Gedanken, aber die schweren Er- fahrungen, die wir bei diesem Abschied haben machen müssen, werden wir nicht nur verkraften, nicht nur schweren Herzens bewältigen... Unserem Gott wird sogar das, was wir in der letzten Zeit mitgetragen, gelitten und geleistet haben, zum Segen für uns dienen! Wenn wir jetzt vor diesem Sterben vielleicht unseren persönlichen Glauben neu buchstabieren. Wenn unsere Beziehung zu Gott auch Raum für ein hartes Geschick bekommt. Wenn wir auch in schweren Stunden das Vertrauen festhalten lernen. - Gott, unser guter Hirte, kann noch aus den schwersten Erfahrungen etwas Gutes, etwas Wertvolles für seine Menschen machen! Es muß unserem Gott ja alles dienen, alles, noch das schwerste Schicksal, noch die dunkelste Erfahrung. Es möchte uns alles näher an das Ziel bringen, das er mit uns erreichen will, seine EwigkeitLiebe Angehörige, liebe Trauergemeinde, jeder Tod stellt seine eigenen Fragen. Schenke uns Gott, daß wir über der Antwort, die uns dieses Psalmwort sagt, ruhig und getrost werden: Der Herr ist mein Hirte mir wird nichts mangeln...und ich wer- de bleiben im Hause des Herrn immerdar!