Ansprache zur Beerdigung - Plötzlicher Tod eines 40jährigen Ps. 25,17+18 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Wir wollen immer gern wissen, warum etwas geschieht? Wir meinen, wenn wir sagen können, warum und weshalb, dann hätten wir die Dinge im Griff. So ist es auch bei diesem Abschied. So ein wenig ist in uns allen der Wahn, wenn wir erklären könnten, warum dieser noch so junge Mann hat sterben müssen, dann wäre es nicht mehr so schlimm, nicht mehr so hart für uns, die zurückbleiben. Aber hilft das wirklich, wenn wir etwa eine medizinische Erklärung geben können? Liegt ein Trost darin, wenn wir von seiner Gesundheit hören, daß sie nicht die beste war? Nicht alle von uns haben das gewußt: Aber dieser noch junge Mann hat eine schwere Beeinträch- tigung am Herzen gehabt - und das von Kindheit an. Er selbst hat nicht gern davon geredet. Ja, er hat es wohl verdrängt, wollte es nicht wahrhaben. Wo wir davon wußten, werden wir in den letzten Tagen gewiß zu uns und anderen gesprochen haben: Deswegen also. Oder: Sicher hat das mitgespielt, daß er so früh sterben mußte. Ich möchte mich nicht an diesen Überlegungen beteiligen. Ich möchte nur aussprechen, was wir vor dem Hintergrund solcher Gedanken jetzt wohl alle empfinden: Es liegt kein Trost darin! Das kann nicht helfen. Das führt uns nicht über die Trauer oder auch nur unseren Schrecken hinaus, wenn wir jetzt vielleicht sagen können: Ach, darum! Deshalb ging das so rasch mit ihm. Im Gegenteil. Wir blei- ben bei all diesen Mutmaßungen ungetröstet, ja trostlos zurück: Er war erst 40. Kein Alter zum Ster- ben. - Was aber könnte uns trösten in dieser Stunde? Wenn wir jetzt ein Schriftwort hören, ein Losungswort aus diesen Tagen, das ich ihm und uns widmen möchte, dann werden wir es gewiß zuerst auf den so jung Verstorbenen beziehen: "Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich aus meinen Nöten! Sieh an meinen Jammer und mein Elend und vergib mir alle meine Sünden!" "Angst des Herzens", "Nöte", "Jammer" und "Elend"... Wie gesagt: Wir denken an den Verstorbenen, wir versuchen uns vorzustellen, wie schlimm es wohl für ihn war, mit der ständigen Bedrohung seines Lebens, wie sie von seiner Krankheit ausgegangen ist, umzugehen - und wir können es doch nicht! Kein Mensch kann sich das wirklich ausmalen, wie sehr ein anderer leidet, wie groß die Angst sein mag, die er spürt. Jeder ist hier mit sich und seinem Gott allein. Darum: Wenden wir uns jetzt uns selbst zu. Denn dieses Wort ist auch ein Wort an uns, vielleicht gerade an uns?! "Angst des Herzens", genau das empfinden wir ja doch alle! Da ist ein Mann gestor- ben, der erst 40 Jahre alt war. Einige von uns hier sind noch jünger. Einige sind in diesem Alter. Viele sind schon weit darüber. Es ist und bleibt unbegreiflich, daß wir heute schon hinter seinem Sarg her- gehen müssen. Das ist und bleibt anders, als wenn ein Mensch "alt und lebenssatt" gestorben ist. Und wir alle empfinden das und uns allen macht das Gedanken: "Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich aus meinen Nöten!" Was könnte uns trösten? - Sicher nicht, wenn wir das nun verdrängen, was uns dieser Tod besonders deutlich vor Augen stellt: Nämlich, daß unser Leben kein gewisses Maß hat! Immer wieder müssen Menschen gehen, die keinen geruhsamen Lebensabend haben konnten. Immer wieder nimmt uns der Tod - vor der Zeit - Menschen, an denen wir so gehangen, die wir noch so ge- braucht hätten, Menschen, die unsere Kinder, Freunde, gute Kameraden waren. Und schon gar nichts wird es uns helfen, wenn wir in unseren Köpfen und Herzen nun gar nach re- ligiösen Gründen suchen, warum der eine so früh sterben muß und dem anderen ein langes, gesundes Alter beschert wird. Darüber wissen wir nun schon überhaupt nichts! Und in diesen Dingen bleibe ein jeder auch fein bei sich selbst! Keiner schaut in die Seele des anderen! Keiner kann die Beziehung des anderen zu seinem Gott beurteilen. Keiner weiß, ob der Mitmensch im Glauben steht, ob sein Verhält- nis zu seinem Gott lebendig ist. Wir sehen unserem Nächsten nur vor die Stirn. Gott sieht das Herz an. Er allein weiß auch, wie er mit einem Menschen dran ist. Und das ist gut so. Und außerdem haben wir durch Jesus Christus von diesem Gott erfahren, daß er kein Rechenmeister ist, der jedem das zu- mißt, was seine Lebenstaten wert sind: Gottes Gerechtigkeit ist ganz und gar anders als unsere. Seine Gerechtigkeit heißt Güte! Das Maß, mit dem Gott uns Menschen mißt, ist ganz und gar anders als das, mit dem wir einander messen. Gottes Maß ist die Liebe! So können wir keine Schlüsse ziehen vom Schicksal eines Menschen darauf, wie er's wohl mit seinem Gott hält. Vielmehr meint es unser Gott oft anscheinend gerade böse mit denen, die seine Güte - nach unserem Denken - besonders ver- dient haben und er beschenkt überreich die Unwürdigen. Sehen wir uns selbst an! Aber noch einmal: Was könnte uns helfen angesichts dieses frühen Todes? Liebe Trauergemeinde, wir haben jetzt so viel darüber gesprochen, was wir nicht verstehen und nicht wissen. Reden wir jetzt davon, was wir wissen, was wir als Christen wissen - und das ist doch auch einiges. Wir wissen: Unser Gott hat seinen Sohn Jesus Christus in diese Welt gesandt. Der hat das Le- ben eines einfachen Menschen geführt, nur noch ein bißchen ärmer als der Ärmste von uns. Damit wollte er uns sagen: Kein Mensch, so elend er auch sein mag, ist bei Gott vergessen. Kein Leben, so unwichtig oder bedeutungslos es uns auch erscheint, ist bei Gott ohne Sinn. Der Weg Jesu in dieser Welt hat jedem Menschen einen unendlichen Wert gegeben. Sein Leben als einer von uns, zeigt uns den Sinn des Lebens für uns alle: Gott hat jeden, der über diese Erde geht, unter seinen gütigen Augen. Er sieht nach uns, er fragt nach uns, er sucht uns - auch wenn wir nicht mehr nach ihm suchen. Wir fehlen ihm, wenn wir unsere Wege allein gehen. Und - auch das wissen wir, seit Jesus für uns ans Kreuz ging - er will sogar die für sich gewinnen, die seine Feinde sind, die ihn verachten und verhöh- nen. Für alle soll schließlich der Tod nicht das Ende sein. Kein Leben eines Menschen soll in Ewigkeit verloren gehen. Wie Jesus Christus am Ende auferstanden ist, so sollen auch wir auferstehen. Für diese herrliche Zukunft will Gott alle haben. Er läßt nicht ab, uns zu rufen. Bei allen Gelegenheiten legt er uns seine Sache vor. Immer wieder will er uns überwinden, immer wieder setzt er unserem menschlichen Denken und Dünken, seine Liebe und Güte entgegen. Immer wieder lenkt er unseren Blick über dieses kleine Leben hinaus - auf die ewige Zukunft - und vielleicht tut er das auch heute, da wir über das frühe Ende eines Lebens ins Nachdenken geraten sind. Und vielleicht geht uns das ja jetzt allen auf: Vor der Aussicht, die uns Gott in Jesus Christus eröffnet hat, gibt es eigentlich kein zu frühes Sterben mehr. Wenn in ihm und durch ihn das Leben in dieser Welt in ein ewiges Leben eingebettet ist, dann ist das Sterben des Kindes, des Menschen in der Mitte und der Tod des Greises dasselbe: Ein Übergang, eine Schwelle, hinter der es mit uns in Ewigkeit weitergeht. Und noch etwas wissen wir im Glauben - und das ist vielleicht das wichtigste: Es gibt kein "zu spät" für das Hören auf den Ruf Gottes - solange wir leben. Wir sollen die Berufung auf eigene Verdienste, eigene Leistung aufgeben. Wir sollen in unserem Leben endlich einmal zu unserem Gott sprechen: Ich verlasse mich nicht mehr auf mich selbst. Ich lege mein Denken ab, daß ich mich selbst retten könnte. Ich gebe meinen Dünkel auf, daß ich vor dir, mein Gott, doch eigentlich recht und moralisch sauber dastehe. Nein, ich verlasse mich von heute an allein auf Jesus Christus, der alles, was mich vor Gott belastet und beschwert, ans Kreuz getragen hat. Liebe Gemeinde, dort vorn auf den Schultern des Mannes am Kreuz, liegt all unsere Schuld. Und von ihm, dem Mann dort am Kreuz geht uns Verge- bung und Neuanfang aus. Wenn wir das wissen, wenn wir das glauben, dann empfangen wir den Trost, der allein heute trösten kann. Und davon spricht unsere Widmung für diese Stunde ja auch: "Sieh an meinen Jammer und mein Elend und vergib mir alle meine Sünden!" Wer ehrlichen Herzens so sprechen kann, der muß nicht zweifeln, daß er vom Tod ins Leben hinübergegangen ist. Für einen solchen Menschen verliert das Sterben viel von seinem Schrecken: Das Sterben, das er bei einem an- deren miterleben muß - und auch das eigene. Liebe Trauergemeinde, wir wissen wenig vom Warum dieses Todes, den wir heute betrauern. Und wenn wir mehr wüßten, so könnte uns das nicht trösten. Aber wir wissen viel von unserem Gott! Daß er uns unmäßig liebt. Daß er nach uns sieht. Daß er vielleicht schon lange nach uns ruft. Daß Jesus Christus diesen Ruf in die Welt gebracht hat. Daß er uns das ewige Leben verdient hat. Daß es eine Vergebung gibt - solange wir atmen. Daß uns diese Vergebung dadurch geschenkt wird, daß wir bek- ennen: Ich verlasse mich einzig auf diesen Jesus Christus.Vielleicht kann es heilsam sein, wenn wir heute für uns sprechen müssen: Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich aus meinen Nöten! Es wird bei Gott nicht unerhört bleiben, wenn wir so zu ihm rufen: Sieh an meinen Jammer und mein Elend und vergib mir alle meine Sünden!