Ansprache zur Beerdigung - Plötzl. Tod eines 44-jährigen Matthäus 28,20 Liebe Frau B., lieber J., liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Sie haben es mir freigestellt, über welches Bibelwort ich heute sprechen möchte. So schreiben wir über diese Stunde des Abschieds schweren Herzens die Jahreslosung für dieses gerade begonnene Jahr 1999, ein Wort aus Matthäus im 28. Kapitel: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende! Ein Wort Jesu, bevor er zu seinem himmlischen Vater ging. Ein Wort an die Menschen, die er allein zurückließ; ein Versprechen nach Beistand und Begleitung, auch wenn er selbst nicht mehr bei sei- nen Leuten war. Und eine Antwort auf die Frage: Was wird jetzt aus uns? Eine Verheißung an die Menschen mit den ratlosen Mienen, den verängstigten Gesichtern: Ich verlasse euch nicht, auch wenn ihr mich von nun an nicht mehr seht: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt En- de! Liebe Angehörige, ich glaube, Sie spüren das jetzt: Wie genau dieses Wort doch auch in Ihre Ge- danken und Gefühle hineinspricht, jetzt, da das Leben von V. B. so plötzlich zuende gegangen ist. So fragen sie doch auch: Was wird jetzt aus uns? - Wie soll das nun weitergehen - ohne ihn? - Wie werden wir das ertragen, die Leere zu Hause, das Alleinsein, all die Dinge und Orte, die wir mit ihm verbinden... Und dann: so kurz vor Weihnachten ist das geschehen? In der Zeit, in der unsere Ge- fühle doch ohnedies so bloßliegen und unser Herz so verletzlich ist. Darum werden sie auch diese Frage stellen, stellen müssen: Wo war Gott an seinem letzten Tag? Wo war Jesus - als dieser Mensch so rasch davon und sterben mußte? Ja, ist es denn überhaupt wahr, dieses Wort, für uns und unseren Verstorbenen: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende! Das sind sehr empfindliche Gedanken, sehr zerbrechlich. Wenn wir sie jetzt zu grob anfassen, kön- nen sie uns entzweigehen. Dann werden sie uns auch nicht helfen. Eine zu grobe Berührung dieses Wortes wäre es, wenn wir jetzt sagten: "Wir haben doch dieses rasche Sterben miterlebt. Da war keiner sonst da als der Arzt und die Rot-Kreuz-Helfer, als sie sich vergeblich um ihn gemüht haben. Da war kein "Jesus", keine Kraft von oben, keine Hilfe...und wir hätten uns das doch so gewünscht, daß Gott ihm noch einmal Gelegenheit zum Leben gibt - er war doch erst 44! - So müßte uns dieses Wort unter den Händen zerbrechen: Siehe, ich bin bei euch... Eine andere Sicht aber blickt tiefer, sie schaut sozusagen hindurch...durch das Äußere dieses plötzlichen Ab- schieds, sie schaut hinter die Umstände dieses Sterbens...und sieht...die andere Seite. Und ich traue mich jetzt, davon zu sprechen, weil Sie, liebe Angehörige, auch davon gesprochen haben, daß es nämlich von Gott so bestimmt, daß es sein Wille war. Wenn wir einmal von daher denken: Wie wäre das denn gewesen, wenn sie ihn nun noch zurückge- holt hätten, der Arzt, die Rot-Kreuz-Sanitäter? Ganz gewiß wäre das nicht ohne starke gesundheitli- che Beeinträchtigungen, ja, Behinderungen abgegangen. Und da frage ich: Wer hätte sich diesen Mann, der doch immer so stark war, in lebenslänglicher Hinfälligkeit und Schwäche vorstellen mö- gen, und wer erst hätte ihm das wünschen wollen? Nein, für ihn, um den wir trauern, wenn es denn nach Gottes Willen schon hat sein sollen, für ihn war es gut und gnädig so! Hadern können wir nur darüber, daß er schon mit 44 hat gehen müssen. Aber selbst da gibt es eine andere Seite: Wenn wir einmal davon herkommen, daß wir Christen ja nach diesem Leben nicht ins Nichts fallen, sondern in Gottes gute Hände, dann dürfen wir jetzt doch sagen: V. B. ist am Ziel des Lebens, das Gott all sei- nen Menschen verheißt. Angesichts der herrlichen Zukunft, die uns versprochen ist, dürfen wir nicht denken: Jetzt wäre alles aus für ihn. Jetzt hat er das Leben verloren. Jetzt ist aller Glaube, alle Hoff- nung am Ende. Nein: Alles fängt jetzt an!, liebe Angehörige! Er hat jetzt das Leben gewonnen, das wahre Leben! Jetzt beginnt für ihn, woran er glaubte und wo hinein er seine Hoffnung setzte! Jetzt erfährt er auch die Wahrheit dieses Wortes - in Ewigkeit: Siehe, ich bin bei euch alle Tage... Das gilt jetzt für V.B. - in einem neuen, für ihn gewiß wunderbaren und beglückenden Sinn! - Wollen wir von daher immer noch sagen: Er war doch erst 44? Und Sie selbst, liebe Angehörige, haben sie nicht auch in diesen letzten drei Wochen erlebt, was wir grob und äußerlich eigentlich nicht erklären können: Einerseits ganz gewiß den furchtbaren Schmerz über diesen raschen, frühen Abschied - aber doch auch viel Hilfe durch ihre Lieben, Freunde und Nachbarn, die bei ihnen waren. Da war einmal die Katastrophe dieses so plötzlichen Todes - und doch tief drinnen das Gefühl, auch jetzt nicht allein zu sein. Wie sehr wird doch Anteil genommen an ihrem schlimmen Geschick und wie viele sind doch zu mehr bereit gewesen und gewiß auch weiter zu mehr bereit als zu ein paar Worten des Beileids! Und noch etwas bewegen Sie jetzt gewiß in Ihren Herzen: Auf der einen Seite ist da zwar die Ver- lassenheit und die Angst, was nun ohne ihn werden soll - dann aber auch wieder dies: Daß sie sich nämlich nicht vorwerfen müssen, an ihm irgend etwas versäumt zu haben, daß die Verhältnisse und Beziehungen im Haus gut und freundlich waren und ihnen jetzt keine belastenden Gedanken noch zu ihrer Trauer aufgegeben sind. Ich bin sicher, auch hier wirkt diese Verheißung - und da wirkt sie jetzt an ihnen, liebe Angehörige: Siehe, ich bin bei euch alle Tage... Ich bin gewiß, sie hatten Jesu Beistand, gerade in diesen letzten, furchtbar schweren Tagen. Sie haben ihn erfahren, und sie werden ihn weiter erfahren, wenn jetzt die vielleicht langen, dunklen Tage der Trauer kommen, die ja heute nicht vorbei sind, ja, die vielleicht ein Leben lang mit ihnen gehen werden. Vergessen sie aber nie: Siehe, ich bin bei euch alle Tage...! Aber dieser Vers weckt ja auch Fragen bei uns allen hier: Stimmt denn das? Ist das denn wahr - auch für mich? Ist dieser Jesus auch bei mir - in allen Zeiten, an allen Tagen meines Lebens? Ganz unterschiedlich sind die Herzen, aus denen heraus wir diese Fragen stellen: Der eine fragt mit felsenfestem Vertrauen zu seinem Herrn, eine andere mit oft angefochtenem Glauben, ein dritter ist gerade über diesem Sterben ganz unsicher geworden, eine vierte schon immer voller Zweifel... Aber fragen wir! Wir dürfen Gott diese Fragen vorlegen, ja, wir müssen es - als denkende Men- schen. Manchmal meine ich, um diese Fragen ginge es überhaupt in unserem Leben. Sie sind die Mitte, um die sich alles dreht: Stimmt das - auch für mich: Siehe, ich bin bei dir alle Tage bis an der Welt Ende? Aber wir sollten auch für uns selbst vorsichtig herangehen: Leicht zerbricht uns, was doch helfen will, wenn wir allzu plump danach greifen! Vielleicht eignet sich ein Bild, das schwer Beschreibliche zu beschreiben: Denken wir uns einmal ein Zimmer, mehr oder weniger groß, unser Lebens-raum, sozusagen. Das Zimmer hat viele Türen, durch die man nach außen und von außen nach innen gehen kann. Aber zum alltäglichen Leben müssen wir die Tür nicht öffnen. Alles, was wir zum Unterhalt brauchen, be- findet sich in diesen Vierwänden: Unsere Nahrung, Kleidung, unser Besitz, was wir zur Freizeit und für unsere Bedürfnisse nötig haben. Ja, sogar unsere Beziehungen zu anderen, die Liebe zu den Menschen, unsere Freundschaft und die nachbarlichen Kontakte sind in diesem Zimmer. In diesem Raum kann einer also seine 40, 60 oder 80 Jahre verbringen, jedenfalls das, was herkömmlich schon für ein Leben gilt. Dort hinein wird er geboren, dort hat er seine Arbeit und die freien Stunden, dort wird er alt und stirbt schließlich. Und vielleicht öffnet sich dann zum ersten Mal wieder die Tür, durch die man ihn hinausträgt. Ja, man kann "leben", ohne die Türen des Zimmers je zu öffnen. Man kann es - aber die Fülle, den Sinn, die Freude erlebt man so nicht! So - mit diesem Bild - ist ein Le- ben ohne Gott beschrieben. Aber das kann und soll anders sein: Denn hinter allen Türen des Raums, in dem wir leben, wartet Gott, unser Gott. Jede Tür kann der Eingang für den Herrn sein, der uns versprochen hat: Siehe, ich bin bei euch! Nur: Wir müssen ihm öffnen! Wir müssen ihn hereinlassen! Daß er mit uns leben will, daß er uns durch unsere Lebenszeit begleiten will, wissen wir: Seit unserer Konfirmation, wo wir ja auch versprochen haben, uns ihm zu öffnen. Und spätestens seit heute wissen wir es neu: Auch in meinen Lebens-raum führen viele Türen. Hinter jeder steht ER und wartet - bis ich ihm auftue. Wie dieses Öffnen geschieht? Vielleicht im Gebet. Vielleicht so: "Ach, Herr, mein Leben scheint mir oft so leer und sinnlos, die Jahre verfliegen, ich werde älter und älter... Wer verdankt mir eigentlich etwas, wenn ich einmal ehrlich bin. Wem werde ich fehlen, wenn ich abtreten muß? Herr, komm doch hinein und mache meine Zeit wichtig und voll für dich und die Mitmenschen. - So wird die Tür geöffnet; so bitte ich Jesus hinein in mein Leben. Oder im Dank: Wenn ich wieder einmal oder endlich einmal staune und frage, wer mich eigentlich so mit Güte und Liebe überschüttet, daß ich so gut leben kann, daß ich alles habe, Nahrung, Kleidung, mein Haus und noch viel mehr. Wenn ich über all den guten Gaben den Geber suche, der mir meine Kraft, meine Talente, meine Fähigkeiten geschenkt hat. Auch so öffne ich die Tür. Auch so tritt Je- sus ein - in mein dankbares Herz. Und sogar - und Gott sei Dank! - ist die Not eine solche Tür: "Ich kann nicht mehr! Wo ist denn Hilfe? Ich verstricke mich in mein eigenes böses Planen und Handeln! Ich vergehe in Angst! Die Krankheit verzehrt mich! Mein Mut verläßt mich, ich weiß nicht weiter! Herr, hilf mir!" Auch so öffne ich die Tür - und dann halt buchstäblich not-gedrungen. Auch die Not kann Jesus in mein Le- ben hereinrufen. - Ich sollte ihn dann aber nicht wieder aus meinem Leben weisen, wenn er mir ge- holfen hat!!! Liebe Trauergemeinde, es gibt noch viele andere Türen, durch die der Herr, mein Herr, in meine Le- benszeit treten kann. Immer aber muß ich - von innen - aufmachen! Er, der uns verheißen hat: Siehe, ich bin bei euch!.. drängt sich niemals auf. Er wartet. Vielleicht gerade vor unserer Tür? - Durch welche Tür werden wir ihn eintreten lassen, daß endlich wahr werden kann, was er uns verheißt? Euch, liebe Angehörige, möchte das heute in der Trauer um V. B. eine feste Verheißung werden: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende! Ihr werdet in eurem Schmerz nicht allein sein. Euer Verstorbener wird euch sehr fehlen, aber verlassen seid ihr nicht! Der Herr, dessen Kraft ihr schon erfahren habt, wird in eurer Nähe bleiben, euch begleiten und trösten.