Ansprache zur Beerdigung - Tod einer Frau nach längerem Leiden Mt. 28,20b Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Ist es nicht so, wir denken doch heute, daß S. P. in ihren letzten Jahren nicht mehr allzuviel vom Leben ge- habt hat! Immer geschlagen mit Krankheit, geängstet durch böse Aussichten und Befürchtungen, geplagt von Schmerzen und einem sich ständig verschlimmernden Leiden. Wo war denn noch Licht in allem Dunkel? Gut, wir wollen nicht ungerecht sein: Sie war eingebettet in eine gute Ehe und Familie, in der alle zusam- menstehen. Sie hatte gute Nachbarn, Freundinnen, die regelmäßig nach ihr gesehen haben. Nicht immer ist das ja so! - Auch unser Frauenabend, dem sie schon so viele Jahre angehörte, hat sie immer wieder einmal mit einem Kärtchen gegrüßt, oder es kam jemand zu Besuch. Allein und verlassen war sie also nicht. Und trotzdem: Wie muß das schwer sein, wenn man so gar keine Hoffnung mehr haben kann, wenn man doch ei- gentlich nur noch auf schlimmere Befunde, neue alarmierende Diagnosen durch die Ärzte wartet, wenn man schließlich ganz deutlich und immer sicherer vor Augen hat, wohin das wohl führen wird, führen muß. Das kann ja kein anderer Mensch so ganz nachempfinden - und abnehmen oder auch nur ein bißchen weniger schwer kann es wohl auch kein Mensch einem anderen machen. Vielleicht hat es ja schon geholfen, daß sie wußte, andere denken an sie, empfinden mit ihr, wünschen ihr das beste und beten auch für sie! - Aber dennoch: Am Ende hat jeder sein eigenes Leben, aus dem er nicht herauskommt und aus dem uns noch das ehrlichste Mitgefühl anderer nicht reißen kann. - Darum noch ein- mal: Das war zuletzt sicher kein schönes Leben mehr für sie. Die Hoffnung muß ihr schwergefallen sein. Ei- gentlich war ja gar nichts mehr zu hoffen... Umso mehr hat mich die Botschaft erstaunt, die uns S. P. in ihrer letzten Lebenszeit - wohl meist ohne Wor- te - gesagt, ausgerichtet, ja, gelebt hat. Ich habe diese Botschaft ihrer Art abgelesen, mit dem Verhängnis ei- ner ständig zum Schlechteren fortschreitenden Krankheit doch ohne Klagen und Jammern, mit so viel Ge- duld und so großer Gelassenheit umzugehen. Das haben wir alle doch auch schon ganz anders erlebt. Und manchmal sind es wesentlich hellere Aussichten, leichtere Schicksalsschläge oder Unglücksfälle, die einen Menschen schon zum Zweifeln am Sinn seines Geschicks, zum Hadern mit Gott, ja, zum Verzweifeln brin- gen. So war das nicht bei S. P.. Sie konnte ganz ruhig über ihre Krankheit reden. Sie war ohne Hader und Vor- würfe. Sie hatte sich- wie man so sagt - in das ergeben, was nun einmal für sie bestimmt war. - Warum konnte sie das? Woher kam das? Es ist ja vielleicht ein heikles Thema und kein Mensch sollte im Blick auf andere zu rasch darüber reden... Aber ich glaube, es ist heute einfach dran und es kann, wenn wir es ansprechen, auch uns anderen helfen und uns weiterbringen. Denn was wissen wir, wo hindurch wir noch müssen? Ja, ich denke, wir können uns S. P.s Geduld und Gelassenheit nur mit ihrem Glauben erklären. Es muß der Glaube gewesen sein, der sie auch in dieser eigentlich so aussichtslosen Zeit, stark gemacht und gehalten hat. Wo sie realistischerweise gar keine Zuversicht mehr haben konnte, da ist der Glaube eingesprungen. Wo nach menschlichem und medizinischem Erwarten kein Funke Hoffnung mehr war, da hat ihr Glaube...Flügel bekommen und das im wahrsten Sinne! Denn ihr Glaube hat sie über diese Welt hinausgetragen, dorthin, wo alles Leben Zukunft hat, wo jede Krankheit endet, alles Leid der Freude weichen und selbst der Tod nicht mehr sein wird. Wie haben wir vorhin gesungen: "Hätt ich Flügel, hätt ich Flügel, flög ich über Tal und Hü- gel heute noch nach Zions Höhn." Gott hat ihr solche Flügel geschenkt. Jetzt spreche ich einmal alle an, die sie in letzter Zeit gesehen, besucht haben. War das nicht wirklich er- staunlich, wie ruhig sie von dem reden konnte, woran sie litt und wie es ihr wirklich ging? Und wie einfach und wie bescheiden doch ihre Wünsche waren, wenn sie von dem sprach, was sie erwarten mußte: Daß sie dann nicht allein sein wollte, daß die Schmerzen nicht allzu groß sein mögen, daß sie zu Hause sterben durf- te. Das war doch eigentlich alles, was sie bat. Das zu hören, die Erfüllung dieser so kleinen Bitten zu ver- sprechen, hat sicher nicht nur mich gerührt. - Aber ich will noch auf etwas anderes hinaus: Der Glaube daran, daß unser Leben, unser Leiden, unsere Krankheit und unser Sterben nicht alles ist, was wir zu erwarten haben, dieser Glaube ist mächtig! Er kann einen Menschen ganz und gar durchdringen - so daß er voller Hoffnung ist, wo wir doch alle Hoffnung fahren lassen möchten. Er kann einen Menschen ver- wandeln, kann seine Augen leuchten und seinen Mund lächeln lassen, wo wir nur noch Gründe sehen, der Verzweiflung anheim zu fallen. Er kann einen Menschen so bestimmen, daß er nicht mehr klagen muß, daß er seelenruhig noch in die tiefsten Tiefen des Leids hinuntersteigen kann - wo wir nur noch jammern und schreien möchten. Alles das und manchmal noch mehr kann der Glaube. - Aber woher rührt das? Ich kann es nicht anders erklären als mit dem Wort, das ich unserer Verstorbenen und uns allen jetzt zu die- sem Abschied widmen möchte. Es ist ein Wort Jesu und es paßt sehr gut in die Woche, in der wir seine Himmelfahrt feiern, denn er hat es gesagt, kurz bevor er diese Welt zu seinem himmlischen Vater verlassen hat: Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende! Das ist nicht nur so ein Wort! Das ist kein nur schönes Versprechen, an das wir uns immer einmal in den gu- ten Tagen unseres Lebens erinnern sollen. Das ist nicht dahingesagt oder halt ein billiger Trost damals für die Jünger, die nun allein zurückbleiben sollten. Das ist die tiefste, sicherste und eben auch spürbarste Wahr- heit! Wir haben sie an S. P. erlebt, diese Wahrheit. Und ich bin ganz sicher, wir kennen alle noch andere Bei- spiele, die uns Menschen gegeben haben, daß dieses Wort Jesu stimmt und verlässlich ist! Denn zuletzt steht nichts anderes dahinter, wenn ein Mensch hoffen kann, der doch nach unserem Meinen und Dünken, nichts mehr zu hoffen hat. Es ist die Kraft Jesu, die einen Menschen so stark macht, daß er tapfer, ohne Zweifel und gar Verzweiflung allem ins Auge blicken kann, was auf ihn zukommt. Und ich will hier auch noch ganz deutlich und praktisch reden - und ich bin ganz sicher, daß meine Erfah- rungen von vielen Menschen hier geteilt werden. Ich war schon oft bei sehr Kranken, deren Gesundheit nicht mehr hergestellt werden würde - und sie wußten es. Und ich habe auch schon in vielen Sterbezimmern an manchem Bett gesessen, in dem gerade ein Leben kurz vor dem Verlöschen war. Und ich habe - nicht im- mer, aber doch sehr oft - gewußt, daß der Kranke oder Sterbende und ich nicht allein im Raum waren. Und ich meine da nicht einen Angehörigen, der vielleicht noch mit dabeigewesen ist. Ich gehe soweit, daß ich sa- ge: Manchmal konnten wir geradezu spüren, vielleicht über einem Gebet, das wir dann gesprochen haben, vielleicht auch während unsere Hände miteinander verbunden waren oder wir nur geschwiegen haben, manchmal spürten wir dann so etwas, als ginge die Tür auf und einer träte ein... - Sehr zerbrechlich, diese Gedanken. Leicht sagt man hier zu viel, als ginge es um eine Sensation oder ein ü- bernatürliches Ereignis. Leicht aber sagen wir auch zu wenig. Denn das ist eine wunderbare, im höchsten Maß tröstliche Wahrheit, daß es eben nicht nur ein gutes Wort, ein schönes Versprechen ist, sondern erfahr- bare Wirklichkeit: Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende! Und ich will dabei noch daran erinnern, wovon ich weiß, daß es viele Menschen auch schon erlebt haben: Wie wir vielleicht vor einer Operation so ganz ruhig geworden sind, wo wir noch Stunden zuvor ganz aufge- löst und voller Angst waren. Und nicht weil wir die hilfreiche Spritze bekommen hatten, die uns langsam ins Dämmern hinübergeleitet hat! Nein, vielleicht weil wir die Hände gefaltet haben vorher. Vielleicht auch weil ein sensibler Arzt uns gesagt hatte, daß auch er sich für den Eingriff Gottes Hilfe erbeten hat. Vielleicht auch, weil unser Blick zuletzt im Krankenzimmer auf den Spruch auf dem Wandkalender gefallen war mir solch einem Wort, oder einem ähnlichen?: Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende! Ich bin ganz gewiß: Das ist die wirklichste, erfahrbarste Wahrheit! ER ist bei uns, wenn wir ihn brauchen. ER selbst hält unsere Hand. ER macht uns stark und läßt uns alles bestehen - und wenn es das Sterben wäre. - Nein, die Frage, warum S. P. und so viele andere Menschen so lange, schwere Jahre haben und bestehen müssen, ist nun nicht beantwortet. Das muß noch Gottes Geheimnis bleiben - wir werden es aber einmal ver- stehen! Was wir aber schon heute fest wissen dürfen und wissen sollen, ist dies: Wir sind in keiner Sekunde unseres Lebens allein, uns selbst überlassen und ohne jede Hilfe. Jesus Christus ist bei uns, besonders in den allerschwersten Zeiten und Stunden. Wir haben am Leben und Leiden von S. P. gesehen, daß es so ist. Dies Versprechen gilt - für sie und für uns: Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende! AMEN