Ansprache zur Beerdigung - Tod einer Frau nach längerem Leiden Joh. 8,12 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Je länger ich Pfarrer bin, um so mehr erfahre ich, daß jeder Abschied eine bestimmte Botschaft an die Men- schen hat, die zurückbleiben. Wenn wir einen sehr frühen Tod beklagen, dann heißt die Botschaft vielleicht: Es geht nicht der Reihe nach. Bedenke, daß auch du sterben kannst, so jung oder alt du bist. Stirbt ein Mensch alt und satt an einem guten, gesunden Leben, dann will uns das vielleicht ausrichten: Wie gütig Gott doch ist, daß er einem Menschen schon hier so viel Gnade schenkt. Wird einer mitten aus der Arbeit gerissen, mitten aus vielen Aufgaben im Verein, in der Politik oder der dörflichen Gemeinschaft, dann sehen und lernen wir viel- leicht daran, daß zuletzt keiner unersetzlich ist, auch der Aktivste nicht, ohne den wir uns das Leben nicht ha- ben vorstellen können. Und immer ist die Botschaft, die uns ein Abschied sagt, so hart und schmerzlich sie auf der einen Seite sein mag, auch gut, auch positiv und freundlich. Sie bringt uns dazu - etwa jetzt in dieser Stunde - daß wir einmal anhalten, bei unserem Lauf durch das Leben, zur Ruhe kommen und uns besinnen. Sie kann unser Denken zum Wesentlichen führen. Sie kann unser Leben und Handeln dahin beeinflussen, daß wir das wirklich Wichtige tun und das Nichtige, das Unbedeutende lassen. So kann uns ein früher Tod, den wir beklagen müssen, auch dazu helfen, daß wir mehr auf das blicken, was unserem Leben Halt gibt und Tiefe. Vielleicht bringt uns das dann endlich oder wieder auf die Suche nach Gott und dem Glauben an Jesus Christus? Und wenn einer in hohem Alter stirbt - dann sagt mir das, wenn ich selbst auch schon alt sein darf und noch gesund, wie dankbar ich doch sein müßte, daß es mir so gut geht. Und schließlich, wenn einer vom Tod mitten aus seinen noch so zahlreichen Aufgaben geholt wird, dann könnte mich das dahin bringen, daß ich mich auf das besinne, was es neben aller Arbeit, allem Schaffen und Schuften doch auch noch gibt: Gottes Sache, seine Verheißung des Lebens - über den Tod hinaus. Denn es könnte ja so schnell auch für mich der Tag kommen, an dem alle Arbeit ruhen muß und mich nur noch die Hoffnung trägt und nur noch der Glaube hält. Liebe Trauergemeinde, so hat gewiß auch das Sterben von L. R. seine Botschaft, die wir hören sollten, die uns zurechtbringen und helfen will. Was könnte diese Botschaft sein? Wir wissen, daß unsere Verstorbene sich zuletzt weggesehnt hat aus diesem Leben. Sagen wir es ganz deut- lich: Sie wollte sterben. Immer wieder - seit O. R. vor Jahren starb - hat sie davon geredet. Immer wie- der hat sie es ausgesprochen: "Warum kann ich nicht dort sein, wo mein Mann jetzt ist?" Wir wissen auch, daß L. R. von jahrelangem Leiden schwer geplagt war. Und wir möchten von daher denken, sie hätte halt einfach genug gehabt! Die täglichen Schmerzen und Beschwerden, die vielen Einschränkungen der Bewegung, die Le- bensfreude so beeinträchtigt von vielen täglichen Pflegemaßnahmen, die Ängste, die Atemnot... Ja, gern glau- ben wir, das alles hätte sie zermürbt und sie den Tod einem solchen Leben vorziehen lassen. - Dieses Denken wäre aber nur die halbe Wahrheit und gewiß nicht die ganze Botschaft dieses Abschieds! Denn wir haben auch solche Worte von ihr gehört: "Warum holt Gott mich denn nicht? Warum darf ich nicht heimgehen?" Und sie spüren das jetzt, liebe Trauergemeinde, das ist etwas anderes, das ist viel mehr! Hier hat ein Mensch nicht nur endlich ein böses, leidvolles Leben hinter sich haben wollen, sondern hier hat eine Frau auch weit über dieses Leben hinausgeblickt und wollte daheim sein, wollte sehen, was sie geglaubt hat, wollte bei Gott sein und bei dem, der ihr vorausging. Und das - erst das - ist jetzt das Ganze, was dieses Sterben uns ausrichtet. Darin liegt die volle Botschaft. Wollen wir sie hören? - Dann sagt sie uns heute: Ihr, die ihr noch im Leben seid, einem guten, gesunden Leben vielleicht, vergeßt nicht, daß diese Spanne zwischen Geburt und Tod nicht alles ist! Uns ist mehr versprochen als 70 oder 80 Jah- re, mehr als diese paar Dutzend Sommer und Winter, mehr als dieses Werden, Wachsen, Blühen und Verge- hen... Auf uns wartet eine Ewigkeit! Und die können wir uns nicht mit eines ganzen - vielleicht langen - Le- bens Arbeit verdienen. Die hat gar nichts zu tun mit dem, was wir uns aufbauen, ob wir ein Haus in dieser Zeit und viel Besitz haben, wieviel Ansehen oder Einfluß wir hier gewinnen... Ach, im Gegenteil! Manchmal meint man ja wirklich, das hindere nur den Glauben und die Gedanken an eine ewige Zukunft! Denn wer sich nur mit Geld und Gut beschäftigt, wen nur die Ausstattung seines Lebens hier interessiert und bewegt, der wird seinen Blick nur schwer heben können und hinausbekommen über diese Welt und ihre Dinge. Aber da ist und da bleibt - Gott sei Dank! - diese andere Wahrheit, die nicht von dieser Welt ist: Wir sind nicht für den Tod ge- schaffen! Gott will, daß wir leben, daß wir immer bei ihm sind und uns einmal ewig seiner Nähe freuen. Dazu ist sein Sohn Jesus Christus in diese Welt gekommen. Dazu ist er gestorben und auferstanden. An ihm können wir sehen, glauben und begreifen, daß unser Leben viel mehr ist als die paar Jahrzehnte zwischen Wiege und Bahre. Das Leben - mit diesem ewigen Ausblick - ist eine Herrlichkeit! Aber die Botschaft, die uns dieser Abschied nahebringt, geht noch weiter: All denen, die leiden müssen in die- sem Leben, sagt sie: Da kommt eine Welt für uns, in der wir all dessen nicht mehr gedenken werden, was uns hier beschwert hat, worunter und woran wir gelitten, was uns die Tage vergällt und die Nächte zum Weinen gebracht hat. All unsere Schmerzen werden vorbei sein. Alle Tränen werden getrocknet, unsere Fragen beant- wortet und der Sinn all unseres Leids wird uns einleuchten. Denn es liegt ein für alle Mal ein Sinn - auch im Leid! Und wenn es nur dieser wäre: Daß es uns immer wieder fragen läßt, warum? Daß es uns immer aufs Neue die Augen nach drüben heben läßt und unser Sehnen wachhält nach diesem anderen, neuen, unbe- schreiblich weiten Leben in Gottes ewiger Welt. Wohlgemerkt: Wir sollen nicht ver-tröstet werden, aber ge- tröstet. Denn es ist der Trost im Leiden, wenn wir wissen, daß es einmal aufhört, daß es einmal hell wird, und aller Schmerz und alles Dunkel einem herrlichen, ewigen Morgen weichen muß. Und ich wage es, auch noch diese Botschaft auszusprechen: Vor dem Hintergrund dieser großen Zukunft, die Gottes Leuten versprochen ist, muß uns das Leid nicht mehr nur als das böse, schreckliche Verhängnis erscheinen. Es hat auch diese ande- re Seite: Daß es in uns die Sehnsucht nach dem Ende des leidvollen Lebens weckt und erhält und den Glauben an die Welt ohne Leid, Angst und Tränen stärkt! Denn es ist sicher kein Zufall, daß gerade leidende Menschen sich ganz fest an die Hoffnung klammern und sich daran mit gewissem Glauben halten, daß nach dem Tod das Eigentliche kommt, das unbeschreiblich Schöne, das Land, in dem nur Freude ist und nur Lachen. Es ist dieser Glaube, aus dem heraus Menschen dann so sprechen können: "Warum holt Gott mich denn nicht? Warum darf ich nicht heimgehen? Ich möchte so gern sterben." Liebe Trauergemeinde, ich habe lange nachgedacht, wie ich diese Gedanken um die Botschaft des Sterbens von L. R. nun zusammenbringe mit dem Wort, das ihre Angehörigen ihr und uns für diese Stunde widmen wollten: Jesus Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Auf einmal ist mir dann aber klar geworden, daß es wohl für L. R. zuletzt genau dieser Gedanke war, der in ihr die Sehnsucht geweckt hat, heimzugehen und dieses Leben hinter sich zu lassen: Die Zusage Jesu nämlich, daß wir leben sollen, daß er uns aus der Fin- sternis dieser Welt in das Licht der neuen, ewigen Welt Gottes führen will! Gottes Versprechen, daß er uns aus dem Tod herausholt um Jesu willen. Gottes große Verheißung, daß er uns bei sich haben will, eine ganze Ewigkeit lang! Gewiß umfaßt dieses Wort noch viel mehr! Und gewiß kann auch anderes an diesem Wort unseren Weg hell und unsere Schritte sicher machen. Aber ist es nicht zuletzt auch genau die Mitte des Wortes Gottes, daß es uns Licht und Leben schenken, ewige Hoffnung geben will und eine Aussicht über die dunkle Todesgrenze hinaus? Was wären denn Gottes Worte der Liebe - wenn diese Liebe dann am Tod ihr Ende hätte? Was wären denn Gottes Mahnungen, das Leben nicht auf die Güter zu bauen, sondern auf den Felsen Christus, wenn das Leben dann doch ins Nichts fiele und keine Spur davon bliebe? Und was wären schließlich alle Nöte und Lei- den der Menschen, wenn Gott nicht irgendwann auch einen Ausgleich dafür schenken und eine Ruhe von ih- nen geben würde? Jesus Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Doch: Wir können nur leben mit dieser Verheißung! Sie ist der tiefste Grund aller anderen Worte Gottes! Wir tun gut daran, uns heute wieder einmal auf diese Verheißung Gottes aufmerksam machen zu lassen: Das Leben in der mehr oder weniger großen Finsternis die- ser Welt ist nicht das Ganze! Ich habe mehr mit euch vor als diese Spanne zwischen Kommen und Gehen. Haltet euch an Jesus Christus, der um dieser Hoffnung willen gestorben ist und um eures Glaubens willen auf- erstanden ist. Er ist euer Licht, der zeigt euch den Weg. - Liebe Trauergemeinde, lassen wir uns von der Bot- schaft dieses Sterbens zu diesem Glauben führen: Ob wir ein gesundes, frohes Leben haben oder ob wir im Leid sind: Es gibt das Wort Gottes vom Licht in diesem und einem ewigen Leben! Es wird drüben ein Aufer- stehen, eine Welt der Freude, des Lachens geben. Es gibt eine Ruhe von allem Leid, es gibt ein Wiederse- hen...um Jesu Christi willen, der das Licht ist - dieser und der ewigen Welt. Amen.