Ansprache zur Beerdigung - Schwere Krankheit eines 58jährigen Psalm 50,15 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Über Leben und Tod von E. F. schreiben wir schweren Herzens ein Wort aus Psalm 50: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen. Ich spüre das wohl auch: Es fällt schwer, diesen Vers mit dem frühen Tod dieses Menschen zusammenzu- bringen. Wir denken an sein Sterben, so leiden müssen zuletzt, ein ¾ Jahr lang, immer weniger werden, ganz genau wissen, worauf man zugeht...und wir hören: Rufe mich an in der Not... Wir denken an die Lücke, die er hinterläßt, an die Ziele, die er sich noch gesetzt hatte, an den Ruhestand, den er so gern noch hätte genießen wollen, an seine Pläne, was er noch erreichen wollte, und wir denken an die Musik, die ihm so lieb war und wie er auch seinen Musikerfreunden jetzt fehlt...und wir sollen das glauben: Ich will dich erretten... Und wir schauen in das Gesicht der Frau, die nun allein ist und wir wissen ja, daß sie erst vor drei Wochen die Mutter hergeben mußte, wir sehen die Kinder, die Enkel und wir fühlen, wie schwer, wie grausam das für alle seine Lieben sein muß - und es wird uns von diesem Wort zugemutet, Gott zu prei- sen. Wie reimt sich das alles? Wie reimt sich das zu diesem Tod? - Gar nicht! - Für uns nicht. Er war erst 58. Er hat so am Leben gehangen und hatte noch so viel vor. Und 58 ist ja auch noch kein Alter zum Ster- ben. Wir wissen, wie gern er lebte, wie wichtig ihm seine Familie war und die Freunde, seine Arbeit, die Musik... Nein, wir können nicht begreifen, daß er jetzt nicht mehr da ist, daß wir Abschied nehmen sollen... Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen. Klingt dieser Vers jetzt dazu - Gott vergebe uns! - nicht wie ein Hohn? Wie soll das denn die Frau verstehen, die jetzt schon Witwe ist? Wie sollen das denn die Kinder glauben, die den Vater so früh hergeben mußten? Rufe mich an in der Not..., Wir möchten ja rufen, sogar schreien, aber zu wem? ...so will ich dich erretten... O ja, wir brau- chen Hilfe und Rettung, aber durch wen? ...und du sollst mich preisen... Werden wir je wieder danken, loben und preisen können? Wir sind jetzt nahe daran, mit dem gütigen Gott zu zerfallen. Es fehlt nicht viel und wir verlieren unsere gute Beziehung zum Vater im Himmel, zu dem wir in unseren Gebeten sprechen und der doch das Glück seiner Menschen und gelungenes Leben will. Die Frage, die uns doch schon solange beschäftigt, seit wir wissen, worauf E. F. zuging, sie wird immer quälender und läßt uns nicht mehr los: Warum??? Warum hat er schon sterben müssen? Warum gerade er - erst 58jährig - während doch so viele alte Menschen, die wirklich auf den Tod warten, nicht sterben können? Nein, diese Frage lösen wir nicht im Nu. Wir müssen sie wohl stehen lassen, als Frage, als Rätsel, das lange mit uns gehen wird, vielleicht solange wir leben... Und doch werden wir versuchen, Antwort zu finden. Wir werden uns bemühen zu deuten, was wir nicht begreifen: "Gott wollte uns strafen", ist so ein Versuch, eine Erklärung zu finden. Strafen..., aber wofür denn? Gerade wir evangelische Christen wissen doch, daß Gott gütig ist, daß er verzeiht und das Leben und das Glück seiner Menschen will! Soll das denn alles nicht mehr wahr sein? - "Gott wollte ihm vielleicht noch Schlimmeres ersparen", auch so probieren wir zu erklären, wozu wir einfach nicht ja sagen können. Aber was hätte denn noch schlimmer sein können, als was er hat erleiden und wir jetzt haben erleben müs- sen? - Nein, diese Versuche helfen nicht. Es gibt ihn nicht, den Gedanken, der jetzt alles löst. Es gibt nicht den alles erhellenden Hinweis, bei dem unsere Fragen zum Schweigen kommen. Und - ich will das klar aus- sprechen: Eine Lösung, eine Antwort auf unsere Fragen, weiß ich auch nicht. Aber: Ich möchte unser Auge auf etwas aufmerksam machen: Das Beispiel Jesu Christi, des Mannes, nach dem wir heißen. Wir nennen ihn doch den Sohn Gottes. Wir sagen doch, er wäre von Gott auserwählt und geliebt. Ist er nicht das Kind des Höchsten, von dem Gott selbst bei der Taufe sagt: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe? - Wie von selbst gehen unsere Gedanken ja jetzt, einen Tag vor dem Heiligen Abend, zur Geschichte der Weihnacht, um Stall und Krippe, um frohe Verkündigung und Engels- gesang... Wir haben die Vorgänge um Jesu Geburt im Laufe der Jahrhunderte mit viel Goldglanz versehen. Viel Gefühl, manche Süße und sehr viel Kitsch liegen über den Ereignissen von Bethlehem. Wenn wir da einmal tiefer blicken, entdecken wir auch hier schon die ganze furchtbare Härte des Lebens, das dieser Mensch Jesus hat führen müssen: Keine Herberge in dieser Welt. In einen Stall geschickt. In einen Futter- trog gelegt. Kaum ein paar Stunden alt, mußte er fliehen, um sich vor der Macht eines grausamen Königs zu retten. - Das war keine süße Geburt. Das war kein weiches Bettchen, in das man ihn legte. Der Stall war zugig und kalt. Die Krippe schmutzig und hart. So beginnt Gottes Kind auf Erden. Und vom harten Holz der Krippe geht es ans Holz des Kreuzes. Dazwischen liegen kaum dreißig Jahre in dieser Welt. 30 Jahre, in denen er nur für andere da war, viel Leid hatte und wenig Freude für sich selbst. Kurz bevor er dann unschuldig sterben muß, sehen wir diesen Jesus in Tränen, in Gethsemane mit seinem Vater ringen: Wenn es möglich ist, laß diesen Kelch an mir vorbeigehen. Jesus, der geliebte Sohn Gottes, hat Angst, furchtbare Angst. - Wird ihm also erspart, wovor ihm graut? - Nein, Minuten später greifen sie ihn - nach dem Verrat des Freundes! - binden ihn wie einen Verbrecher, ihn, den geliebten Sohn Gottes... - Liebe Gemeinde, wie reimt sich das zur Güte des Vaters??? Wir wissen, wie das weitergeht: Er wird verspottet, verhöhnt, geschlagen und bespuckt. Er muß die Dor- nenkrone und das Kreuz tragen. Er stirbt, wie nie ein Mensch schändlicher hat sterben müssen. Wie konnte das der Vater zulassen, der Leben und Glück will? Warum nur? Warum gerade dieser schuldlose Mensch, der nur für andere lebte? Aber sehen wir, wie diese Geschichte endet: Hat das Jesus von seinem Gott getrennt? - Gewiß, er schreit: Warum hast du mich verlassen? Aber jetzt geschieht das Erstaunliche: Dieser Schrei bleibt nicht das Letzte, was die Welt von ihm vernimmt. Sterbend ruft er: In deine Hände befehle ich meinen Geist! Und er sagt: "Vater" dabei..!? Vater, wie findet er solche Worte? Er, der Geschundene, der Gequälte, der Verlassene? Möchte uns sein Beispiel etwas lehren? Oder besser: Kann uns sein Vorbild jetzt etwas sagen? Vielleicht dies: Ersteinmal: Der Mensch im Leid, auch in der letzten Todesnot, ist offenbar doch nicht al- lein. Keiner ist da allein! Da mögen Dinge an und mit uns geschehen, die schrecklich sind und nicht zu be- greifen - allein sind wir nie! Gott erspart uns das alles nicht. Er ist ja ganz offenbar nicht der bloß "liebe" Gott, von dem wir unseren Kindern gern reden. Er schickt auch Unbegreifliches, Leid und Schmerz, Not und Dunkles. Aber er ist auch - und gerade dann! - bei uns! Er ist bei dem sterbenden Christus; darum kann sein letztes Wort ein Wort des Gottvertrauens werden: "Vater", in deine Hände befehle ich meinen Geist... Leidende Menschen unserer Tage, unter größten Qualen Sterbende - heute, bestätigen diese Erfahrung: In Ängsten, aber nicht allein! In Schmerzen und Tränen, doch in Gottes Hand. Und man kann es spüren, daß er da ist und hilft. Die Menschen selbst, die leiden müssen, können es dann spüren. Und wir, die dann bei ihnen sind, auch: Auf einmal ist so ein Mensch dann ganz ruhig, kann davon reden, was ihn erwartet, kann seine Dinge regeln, kann Abschied nehmen und sich seinem Geschick ergeben. Wo wir, die ihn begleiten, uns immer noch auflehnen, ist der leidende Mensch still und gefaßt, ja, getröstet und bereit. Wir haben es so erlebt an E. F.. - Woher kommt das? Ich glaube fest, das hat mit dem zu tun, was an Erfahrungen hinter diesem Wort steht: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten... Gott errettet. Nicht so, wie wir uns das denken und wünschen. Aber auf seine Weise - und ganz gewiß! Liebe Trauergemeinde, die Frage, nach dem Warum, ist von daher nicht gelöst. Aber wir dürfen uns darauf verlassen, es hilft uns einer hindurch, es ist einer nah, wenn wir meinen, verzweifeln zu müssen. Und, liebe Familie Fina, vielleicht war es ja das, was sie an ihrem Verstorbenen haben spüren dürfen: Zuletzt hat er die Kraft bekommen, die er brauchte, und man hat ihm auch abgespürt, daß er nicht allein war, keinen Augen- blick. Aber zeigt uns Jesu Vorbild nicht noch mehr: Er bleibt ja doch nicht im Tod. Leid und Sterben sind ja doch nicht das letzte für ihn gewesen. Er ist auferstanden. Er lebt. Nach der Qual kam die Herrlichkeit. Wenn wir nun noch von daher das Schwere betrachten, das uns auferlegt ist: Dieses Leben ist nicht alles, es gibt ein anderes für alle, die Jesus zum Herrn haben. Wie er auferstanden ist, werden auch wir auferstehen. Wird mit diesem Ausblick nicht auch das Leid, das uns heute betroffen hat, erträglicher? Wenn die Antwort auf unsere Frage nach dem "Warum" nun vielleicht so heißt: Weil das Leben, auf das wir zugehen, allemal herrlicher ist, schöner, erfüllter, ohne Schmerz, ohne Krankheit...und eben in der Nähe Gottes... Könnte das nicht unser Leid, unsere Trauer lindern? - Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen. Wir wollen das nun auch noch als ein Wort an uns verstehen, die heute in Trauer zurückbleiben. Gott spricht auch zu uns: Rufe mich an in der Not... Alle, die ihr jetzt traurig seid und voller Schmerz, ich bin euch nah, auch wenn ihr's noch kaum glauben könnt und nicht begreift, was da geschehen ist. Gott spricht: Ich will dich erretten... Es wird nie und nimmer so dunkel bleiben für euch. Ihr sollt auch wieder Freude haben und Glück. Ich will eurem Leben noch Ziele geben, für die es sich zu leben lohnt. Gott spricht: Ihr sollt mich preisen... Es werden Tage kommen, da euer Warum Antwort findet, wo ihr mich wieder loben und mir danken könnt, auch wenn ihr's heute nicht für möglich haltet. Für euch, die Trauernden, soll wahr werden, was uns dieser Vers zutraut: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen. Geben wir nun das Leben von E. F. in die Hände Gottes - auch wenn wir diesen Gott heute noch nicht verstehen. Für E. F. ist nur die Zeit auf dieser Seite des Lebens zuende gegangen. Drüben auf der anderen Seite geht es für ihn weiter - um Jesu Christi willen - in Ewigkeit! Amen.