Ansprache zur Beerdigung: Früher Tod nach langem Leiden Ps. 31,5 Liebe Familie K., liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Ein Mensch, noch nicht 70 Jahre alt, ist gestorben. Viel zu früh, wie wir sagen, denn uns kommen Menschen in den Sinn - weit jenseits der 80 - die wir kennen, und von denen wir wissen: Sie warten auf den Tod, sie möchten so gern sterben - aber sie können es nicht. Und auch die Art diese so schweren Abschieds ist uns nicht recht. Warum hat sie es so lange so schwer haben müssen? Gewiß, uns ist klar: Ein anderer hat unser Leben in der Hand. Ein anderer setzt ihm ein Ziel und be- stimmt seine Dauer, ein anderer legt uns auch die Not und vielleicht die Krankheit unserer Jahre auf...und doch fragen wir "warum"? Wir denken an die Verstorbene: Sie war ihren Lieben noch so nötig. Der Mann, der unverheiratete Sohn sind jetzt allein im Haus und im Leben. Eine Frau, deren Mitte ihre Familie war, eine Frau, die immer gern zurückgezogen für ihre Lieben lebte, die ganz aufging in der Sorge und im Einsatz für ih- re Angehörigen, ist so früh gegangen, zu früh für unser Denken. Warum mußte sie schon sterben? Wer kann die Lücke füllen, die da entstanden ist? Wie sollen die, die jetzt allein geblieben sind, ohne die Frau, die Mutter, die Gefährtin und Helferin auskommen? Ja, wir möchten diesen frühen Tod, dieses schwere Sterben begreifen können. Wir wollen einen Sinn darin sehen. Wir möchten sagen können: Aus diesem oder jenem Grund war es so und war es gut so, für uns, für sie... Aber wir erkennen keinen Sinn. Wir können nicht verstehen, warum. Nicht einmal eine Ahnung davon haben wir. Es ist unserem Begreifen entzogen, weshalb dieser Mensch schon jetzt und auf diese Weise hat gehen müssen. Darum ist alles jetzt so besonders schwer. Wie sollen wir damit fertig werden? Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde, vielleicht sollen wir nicht damit fertig werden?! Vielleicht ist es das, was wir verstehen sollen: Hier, vor der Macht des Todes, vor den Umständen und der Krankheit, die ihn begleitet und vorbereitet und im Blick auf die Dauer eines Lebens, gerät all unser Begreifen, unser Planen und Wünschen an eine Grenze. Wir können niemals sagen: Darum wohl hat Gott sie sterben lassen. Dies oder das mag wohl der Grund sein, warum sie auch hat leiden oder so früh hat gehen müssen. Wir können nicht so sprechen, und wir sollen es nicht! Was uns aufgegeben wird, ist immer dies: Wir sollen es hinnehmen, vielleicht lernen wir gar, es anzunehmen, begreifen aber werden wir es nicht. Vielleicht könnten andere hier mitsprechen, wenn ich jetzt sage, was dieser frühe Tod, dieses schwe- re Sterben, das wir heute betrauern, bei mir auslöst. Ich frage mich selbst: Rechne ich eigentlich noch damit, daß auch ich diesen Weg gehen muß? Oft vergehen Wochen oder Monate, bis ich wieder ein- mal an den Tod denke, nicht an den fernen, an den, der irgendwo in dieser Welt gestorben wird, ge- gen den ich doch schon recht stumpf geworden bin und der mir nicht mehr so nahe geht. Nein, ich meine jetzt den eigenen Tod, mein Sterben. Bin ich mir bewußt darüber, daß ich schon Morgen an dieser Grenze stehen kann, die mir gesetzt ist und habe ich Mut genug, dem ins Auge zu schauen, es nicht zu verharmlosen oder ihm auszuweichen? Aber fragen wir uns das alle einmal! Wir werden es zugeben müssen: Wir haben viele Methoden ge- funden, die uns dabei helfen, die Wirklichkeit des Todes zu verdrängen: Nicht darüber reden ist die gebräuchlichste. Oder wir richten ein Tabu auf: Vom Sterben, selbst wenn gar keine Hoffnung mehr ist, wird nicht gesprochen. Wir wollen den Menschen, der sterben muß, nicht ängstigen, nicht zusätz- lich belasten...so geben wir vor. Doch es ist meist unsere eigene Scheu, unsere eigene Angst, die uns hemmt, die uns hindert, solche Dinge anzusprechen wie den Tod, wie das Sterben und das Danach. Wie dankbar wäre vielleicht ein sterbender Mensch, wenn ihm einer einmal die Wahrheit sagte, sei- nen Fragen nicht auswiche, und ihm so helfen würde, in rechter Weise Abschied zu nehmen. Auch SO arbeitet unsere Verdrängung gern und oft: Wir vergessen so schnell... Wer - außer den An- gehörigen - nimmt denn von hier mit, wie nah der Tod uns allen ist? Wer behält das denn bleibend, oder auch nur für einige Zeit im Gedächtnis: Ein Mensch, erst 69 Jahre alt, hat hier schon gehen müssen und dieser Mensch hat sieben schwere Jahre gehabt am Ende... Wer nimmt das mit und wem sagt das denn für länger: Auch ich habe vielleicht noch schwere Jahre vor mir und auch ich muß ster- ben, ja, ich selbst, ganz persönlich - und es kann schon bald sein?! Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde, nein, ich möchte niemandem Angst machen! Im Gegenteil, das soll, das kann uns helfen! Mir hat bei der Bewältigung dieser schwierigen Gedanken ein Wort aus dem Psalter einen ganz wichtigen Hinweis gegeben. Ich will dieses Wort für uns alle sagen: Herr, lehre mich doch, daß es ein Ende mit mir haben muß und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muß. Mich tröstet dieser Vers. Der Beter weiß, an wen er sich wenden muß, wenn er an sein Ende denkt: Herr, lehre du mich doch... Herr, so nennt er seinen Gott, dem er sein Leben verdankt und zu dem, wie er weiß, sein Leben auch wieder zurückkehrt. Er kann von einem Ziel sprechen, das ihm gesetzt ist. Es ist nicht sinnlos dieses Leben, wie auch immer es ist, sondern es wird sich nach dem Plan Got- tes erfüllen, ob in 60, in 70 oder 90 Jahren. Wie gesagt, mich tröstet das, mir hilft das, dem Tod einmal standzuhalten, die Gedanken ans Sterben einmal zuzulassen: Es ist der Herr, es ist Gott, der die Grenze setzt, es ist der Vater im Himmel, der mir das Ziel vor Augen rückt. Welches Ziel? Für uns Christen kann das nur das Beispiel Jesu sein, das uns die Richtung weist: Le- ben in seiner Spur, um der anderen Willen, für die Mitmenschen da sein, wie er für sie da war. Sich nicht heraushalten aus den Angelegenheiten der Menschen um uns, er hätte es auch nicht so getan. Vielmehr: Was ihnen schwer war, daran trug er mit, was ihnen den Mut nahm, daran nahm er Anteil, wo sie nicht mehr weiter wußten, darin half er. Und sein Vorbild geht ja noch viel weiter: Für Leute, die ihm Böses wollten, betete er. Für die Schuld aller Menschen, leidet er. Was wir alle hatten vor Gott hätten verantworten müssen, dafür stirbt er. Und - jetzt kommt der kräftigste Trost - Gott gibt ihm recht: Jesus Christus wird der erste der Auferstandenen; er bleibt nicht im Tod. Das ist das Ziel für uns. Das ist die Zukunft für alle, die an Gott glauben und den Weg seines Christus mitgehen, die es ihm auf dem Weg durch das Leben nach Kräften gleichtun. In einer solchen Nachfolge ist der Tod nicht der Schlußstrich unter einem Leben. Er ist nicht die Grenze, hinter der es nicht mehr weiter geht. Durch das Verdienst Jesu Christi ist der Tod eine Schwelle, das Sterben ein Übergang - dahin- ter aber soll und wird es mit uns weitergehen. Ich glaube - und wir Christen dürfen das glauben - dann erst kommt das Eigentliche, gegen das jedes irdische Leben, so schön, so belastet, so gesund oder so krank es auch gewesen sein mag, wie ein Nichts erscheint. Mit dieser Aussicht, dieser Hoffnung, könnte es uns gelingen, den Tod nicht mehr zu verdrängen. Dieser Ausblick könnte uns Mut machen, unser Leben so zu gestalten, wie Jesus uns das vorgemacht hat. Ganz gewiß nicht, um damit irgendetwas bei Gott zu verdienen - das brauchen wir nicht mehr, seit Jesus sein Leben für uns gegeben hat - aber aus gelassener Dankbarkeit für sein Opfer am Kreuz und seinen Sieg über den Tod, mit dem er uns das ewige Leben schenkt. Mit dieser Zukunft vor Au- gen, verlieren wir die Angst vor dem Ende. Gott hat es uns gesetzt, er weiß warum er uns dieses oder jenes Sterben schickt - aber es gibt in Jesus Christus ein neues, ewiges Leben über den Tod hin- aus. Noch einmal: Begreifen werden wir nicht, warum dieses Leben 80 Jahre währt und jenes nur 60 oder 70 Jahre. Aber es kann uns helfen, den Tod anzunehmen, wenn wir wissen: Dahinter kommt noch etwas, ewiges Leben, die Herrlichkeit in der Nähe Gottes, der Himmel, der ganz andere Zustand, ein Dasein ohne Grenze, ohne Leid und Schmerzen... In diesen Gedanken kann sich eine große Ruhe, ein wunderbarer Frieden in unser Herz senken. Darum bitte ich Gott für mich und uns alle: Herr, lehre mich doch, daß es ein Ende mit mir haben muß und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muß. Und Herr, schenke uns den festen Glauben an Jesus Christus, der uns dieses ewige Leben verdient hat und laß uns ohne Angst, in festem Vertrauen auf seine Führung auch schwere Zeiten der Krankheit und Hilflosigkeit bestehen. Gib uns im Glauben die Ruhe und Gelassenheit, daß wir den Lauf dieses Lebens vollenden können an deiner Hand und führe uns zum Ziel.