Ansprache zur Beerdigung - Früher Tod nach kurzem Leiden Mt. 8, 23 - 27 Stillung des Seesturms Liebe Frau P., liebe T., liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Es ist schrecklich, was geschehen ist. Erschreckend und beängstigend. Daß es so etwas gibt! Ein Mensch, der doch immer ganz gesund war, wird krank und verfällt in kaum 8 Wochen. Keiner, der nicht bestürzt gewesen wäre, als er davon hörte. Niemand, der nicht verstummt ist oder dem nicht ein Wort entfuhr wie: "Ich kann es nicht glauben!" oder "Es ist unfaßbar!" Und wir können es ja auch nicht fassen: Er war doch erst 46! Weiß Gott, kein Alter zum Sterben. Und so bemühen wir uns seit Tagen, jeder auf seine Weise, irgendeinen Sinn in diesem furchtbaren Geschehen zu entdecken. Wir versuchen eine Antwort zu finden auf die quälenden Fragen: "Warum? Warum so früh? Warum er?" Und wenn wir Christen sein wollen, wird es nicht leichter. Dann heißt es vielleicht: "Warum, Gott?" - "Warum hast du ihn so geschlagen?" - "Warum muß die Frau, die Tochter jetzt so früh allein sein, ohne Mann, ohne Vater..." - "Konnte er nicht ein rundes, vor allem ein längeres Leben haben?" Nein, wir haben noch keine Antwort gefunden. Unsere Versuche, Sinn zu entdecken, sind fehlgeschlagen. Ein Satz etwa wie: "Gott wollte ihm Schlimmeres ersparen...", bleibt uns im Hals stecken und hört sich nur noch töricht an. Was hätte denn noch schlimmer sein können? Für ihn? Für seine Lieben? Oder das - was man mit einiger Frömmigkeit ja vielleicht ganz ernsthaft meinen kann: "Er war zwar erst 46, aber seine Aufgabe, die ihm Gott in dieser Welt ge- stellt hat, war erfüllt." Wir spüren es, auch das gibt keinen Trost. Auch darin liegt kein Sinn. - Und wir sehnen uns doch so - nach Sinn? Wir möchten begreifen können, möchten eine Erklärung haben, fordern Antwort... Denn was wir nicht begreifen können, bleibt ja dunkel und erschreckend. Das Unerklärte flößt uns ja weiter kalte Angst ein. Und wir möchten doch gern wieder frei werden von diesen trüben Gedanken. Wir möchten doch auch wieder in unseren Gebeten vertrauensvoll zu Gott kommen können. Liebe Trauergemeinde! Mit diesen Fragen, Gefühlen und Ängsten, mit unserer ganzen Bestürzung über diesen Tod sitzen wir jetzt hier in der Kirche. Und ich glaube, ja, ich spüre es förmlich, daß wir nun aber doch ein Wort hören wollen, das uns endlich weiterhilft, heraushilft aus diesem Erschrek- ken, unsere Fragen aufnimmt und uns wenigstens eine Ahnung von Sinn schenkt. Und vielleicht ha- ben wir das ja gerade von dieser Ansprache erwartet... Und ich weiß doch um mein Unvermögen! Ich kann es nicht! Ich weiß auch nicht, warum wir heute schon seinen Tod beklagen müssen. Auch ich quäle mich mit diesen Gedanken und finde keine Erklärung. Und auch mir hat das wehgetan: Wie für uns alle war O. P. auch für mich ein sehr netter Mensch, einfach sympathisch, gutherzig, ohne falsche Eitelkeit, immer hilfsbereit... Und das eben macht auch für mich die Frage nach dem Warum nicht leichter. - Nachdem das nun einmal heraus ist, will ich aber auch sagen, welche Überlegungen bei mir durch dieses so frühe Sterben ausgelöst worden ist. Denn, können wir auch nichts erklären, so stößt doch dieses Geschehen unser Denken an! Bei mir hat es das auf diese Weise getan: Ich sage mir heute: Wie rasch das doch gehen kann mit dem Abschied von dieser Welt...und nicht nur bei irgend jemand anderem, nein, bei mir! Ich bin auch etwa in diesem Alter. Wieviele von uns sind es und wie viele längst darüber? Außerdem: Kann man nun wirklich sagen, das tritt erst jenseits von 40 oder 45 auf? Wir wissen genau, daß unser Leben nicht gegen den Tod zu versichern ist - das gilt, so alt oder so jung wir auch sein mögen. Was ich also sehe und vor diesem Tod schmerzlich er- kennen muß, ist dies: Auch ich bin in einem Leben, dessen Länge ich nicht weiß und dessen Ende ich nicht kenne. Ich muß, ich müßte also bereit sein, wenn es für mich Abschiednehmen heißt. Bereit sein, auch Gott mein Leben und meine Taten vorzulegen und zu verantworten. - Bin ich das? Und noch ein zweites wird in meinen Gedanken angestoßen: Ich stehe ja auch in Beziehungen zu vielen anderen Menschen. Und nicht immer sind es geklärte und gute Beziehungen. Wenn nun der Tod bei anderen so rasch - wie wir es erlebt haben - seinen Strich zieht!? Wird dann noch Zeit sein, das Wort auszusprechen, das doch schon so lange hätte ausgesprochen werden müssen? Werde ich noch Gelegenheit haben, zu bereinigen, zu vergeben oder Vergebung zu empfangen? - Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Wenn wir nun keinen Sinn in diesem schrecklichen Geschick erkennen können, heißt das sicher nicht, das kein Sinn darin läge. Ich bin gewiß: Gott weiß ihn. Überdies kann ja wohl auch das sinn- voll sein, daß wir ins Nachdenken geraten und wahrnehmen, wie ungesichert und gefährdet unser Leben doch ist und wie groß das Geschenk, es noch leben zu dürfen. Auch bei uns wieder einmal zu sehen, wie wir denn zum Abschied stehen und wie sehr uns ein frühes Sterben persönlich bewegt und erschüttert, könnte wohl gut sein. Und schließlich ist sicher auch das ein wertvoller Anstoß, den wir von heute mitnehmen könnten, daß wir unsere Beziehungen zu anderen Menschen überprüfen und dort die nötigen Worte endlich sagen und die klärenden Taten endlich tun. Liebe Angehörige, bleibt nun auch so vieles dunkel, was den Sinn und das Warum angeht, so bleibt es doch auch eine Tatsache, daß wir Trost finden wollen, und den gibt es ja auch - Gott sei Dank! Und das ist ja gewiß das andere, warum wir hier in der Kirche sind: Daß wir getröstet werden! Ich möchte eine biblische Geschichte erzählen, die für mich ganz wunderbar in unser Erschrecken und unsere Angst hineinspricht: Da geht einmal ein langer und erlebnisreicher Tag zuende. Jesus steht am Ufer eines Sees und sagt: Ich muß Abstand bekommen. Kommt, wir steigen in ein Schiff und fahren einfach hinüber auf die andere Seite des Sees. Jesus selbst ist so erschöpft, daß er sich hinten in einer Ecke des Bootes nie- derlegt und schon nach wenigen Minuten ganz fest schläft. Aber während Jesus so tief schläft, wird der Abendhimmel plötzlich unruhig, ein schwerer Sturm kommt auf. Die Freunde Jesu, seine Jünger bekommen es mit der Angst zu tun, die Wellen schlagen über Bord, das halbe Boot ist schon vom Wasser überschwemmt. Schließlich laufen sie in ihrer größten Not und Angst hin zu Jesus und schreien: Jesus, hörst du denn nicht? Wir sind am Ende! Wir können nicht mehr! Wir ertrinken! Jetzt erst wacht Jesus auf, sieht sich um und schreit mit ganzer Kraft gegen den Sturm. Und plötzlich wird es ganz still. Und dann fragt Jesus seine Freunde: Warum seid ihr so ängstlich gewesen? Habt ihr wirklich so wenig Vertrauen zu mir? Die Freunde Jesu sind erschrocken und überrascht. Und unter- einander sagen sie: Was ist das für ein Mann, wenn ihm sogar Wind und die See gehorchen? Liebe Angehörige, fühlen wir uns heute nicht auch wie die Freunde Jesu auf einem untergehenden Boot? Die Wellen der Traurigkeit und der Tränen überschütten uns, wir drohen im Leid zu ertrin- ken. Wo ist denn das rettende Ufer? Wo ist denn der, der helfen kann? Schläft er? Hat er geschlafen, als es geschah? Wie damals die Freunde Jesu, so rufen wir heute: Jesus, sieh doch nach uns, sieh doch, was passiert ist! - Und Jesus sagt jetzt zu uns allen und zu Ihnen, liebe Frau P., zu Dir, liebe T. und zu Euch allen, liebe Angehörige: Hast du so wenig Vertrauen? Traust du mir so wenig zu? Glaubst du etwa, ich lasse euch jetzt allein? Er beruhigt unsere Trauer. Er stillt unsere Tränen. Wir wissen es doch: Seine Freunde sind ihm so lieb, so wichtig, daß er selbst für sie in den Tod geht. Je- sus läßt also niemanden von uns allein, selbst nicht in der größten Not. Er läßt Ihren Mann, euren Vater und Bruder nicht allein, auch nicht im Tod. Und er läßt uns nicht allein, selbst wenn die Trauer jetzt grenzenlos ist. Für Jesus ist das Leben dieses Mannes sinnvoll und unendlich wertvoll gewesen, und er bewahrt dieses Leben über den Tod hinaus. Was hilft uns, daß wir das glauben können? Was gibt uns heute Mut und Zuversicht? Vielleicht das Leben von O. P. selbst: und wie er sein Leid in diesen letzten Wochen getragen hat: Hoffnungsvoll, mutig, geduldig, ohne aufzubegehren und ohne Hader. Konnte er oft nicht sogar mit seiner Krank- heit besser umgehen als wir? Wie er seiner Familie, allen, die ihn zuletzt noch gesehen haben, begeg- net ist: Er, der so geschlagen war, konnte noch nach anderen fragen, sorgte sich noch um sie und wollte, daß sie sich an seiner Pflege bloß nicht übernehmen. Und tapfer war er, und er hat - allem nach, was wir Menschen von einander wissen können - auch seinen Glauben und seine Hoffnung bewahrt, selbst wenn doch seine schlimme Erfahrung dagegen sprach. Ich finde, darin kann er selbst uns heute ein Vorbild sein, das uns tröstet. Und diesen Trost wollen wir von hier mitnehmen, wenigstens diesen Trost. Liebe Angehörige! Sie müssen heute Abschied nehmen, und Sie wissen nicht, wie die Zukunft wer- den soll. Das aber dürfen Sie wissen: Jesus hat zu unser aller Leben "ja" gesagt, er bleibt bei uns, in allen Stürmen des Lebens und auch im Sterben. Selbst der Tod ist machtlos gegenüber seiner gren- zenlosen Liebe. Darum dürfen wir auch sicher sein: O. P., Ihr Mann, Euer Vater und Bruder ist jetzt bei Jesus gut aufgehoben. Er ist durch das Sterben hindurchgegangen. Und Jesus bleibt bei ihm in Ewigkeit. Und er bleibt auch bei uns. Da mögen die Wellen hoch gehen, da mag uns der Sturm und die Angst hart zusetzen. Er ist mit im Boot. Er wird die Wogen der Trauer stillen, bevor wir unter- gehen, auch wenn wir nicht wissen, warum er uns diese Trauer auferlegt.