Ansprache zur Beerdigung - Früher Tod nach kurzem, schwerem Leiden Ps.43,3+4 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Wie oft habe ich das wohl schon an dieser Stelle gesagt: ''Jeder Tod hat seine Botschaft, jedes Sterben richtet uns - denen, die zurückbleiben - etwas aus"? Aber ich bekenne das ganz offen: Für heute ist mir diese Bot- schaft nicht gleich aufgegangen. Und schon gar nicht weiß ich, was uns heute trösten soll, wieder Kraft geben soll angesichts dieses schrecklichen Abschieds. H. B. war erst 64. Das ist noch kein Alter zum Sterben. Und dann: Herausgerissen aus dem Leben wurde sie. Sie war nicht nur die Seele der Familie, nein, auch des Be- triebs, den sie mit ihrem Mann und dem Sohn drüben in Atzenhain aufgebaut hatte. So viele Freunde hatte sie. Wie viele müssen sie jetzt für immer schmerzlich vermissen? Und dann dies: Die vergangenen 6 Wochen... Wie grausam war diese Zeit und wie hart für sie und für alle, die ihr in diesen Wochen nahe waren und sie be- gleitet haben. Immer wieder Hoffnungen, die sich zerschlugen. Erst diese Untersuchung, dann jene Therapie - alles ohne Erfolg. Die Angst, das Warten, die Schmerzen, die Hoffnunglosigkeit... Und wofür das alles? Damit am Ende dann doch der Tod über das Leben siegt? Wo ist ein Licht in diesem Dunkel? Wo ist auch nur ein Hoffnungsstrahl? Wo ist Trost? - Was ist die Botschaft dieses Abschieds? Auch die Verse damals zur Konfir- mation und der Trauspruch der Bellofs läßt uns hier im Stich. Die Verse passen nicht. Sie können nicht reden mit uns, nicht in dieser Stunde. Trotzdem, ich glaube daran: ''Jeder Tod hat seine Botschaft, jedes Sterben richtet uns - denen, die zurückbleiben - etwas aus"! Ich bin dann bei meiner Suche auf ein Losungswort aus meinem Andachtskalender für heute gestoßen. Und selbst da habe ich noch nicht gleich gedacht, daß da wirklich eine Hilfe, ein Trost darin liegen kann. - Aber wenigstens der Anfang hat mit mir gesprochen; er verspricht ein wenig Licht in all dem Dunkel: Sende dein Licht und deine Wahrheit, daß sie mich leiten zu deiner Wohnung, daß ich hineingehe zum Altar Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist, und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott. Wirklich: Alles an diesem Wort kann nicht mit uns sprechen! Nur der Anfang vielleicht. Der Schluß scheint nicht gemacht für diesen Abschied. Er kann nicht helfen; er hat die tröstende Botschaft nicht, nach der wir suchen. Ja, ein Gedanke klingt heute gar wie Hohn: "...der Gott, der meine Freude und Wonne ist..." Was könnte uns noch freuen? "...und ich dir auf der Harfe danke, mein Gott." Wofür sollten wir Gott danken? Ja, ist uns nicht vielmehr - Gott vergebe uns - danach, unsere Hilfe anderswo zu suchen als bei diesem Gott, der uns genommen hat, was wir liebten? Sende dein Licht und deine Wahrheit... Wahrhaftig, wir brauchen ein Licht, das uns erhellt, was da geschehen ist! Wir suchen Antwort auf viele Fragen: Warum muß ein Mensch - erst 64 Jahre alt - sterben? Warum auf diese grausame Weise? Warum sie? - Da gibt es doch wahrhaftig andere, die warten auf den Tod! Die sind alt und wirklich satt am Leben. Die fühlen sich übrig und keiner ist mehr da, der ihnen angehört. Oft sehnen sie sich danach, heimgehen zu dürfen und sie können nicht sterben, müssen leben, und es ist oft kein Leben mehr. Und da sind auf der anderen Seite die Menschen, die so früh - vor der Zeit sterben. Opfer von Unfällen - wir mußten schon so viele beklagen! - und die unheilbar Kranken, die oft so lange leiden müssen, die mitten herausgerissen werden aus ihrer Arbeit, aus ihrer Familie, aus ihrer Ehe und allen guten Beziehungen. Warum - Gott? Wie sinnlos ist das alles. Sende dein Licht! Wir möchten so gern begreifen! Wir möchten verstehen, warum es bei so vielen Alten so ist, daß sie nicht sterben dürfen und warum andere in der Blüte ihrer Jahre gehen müssen. Und heute möchten wir gern wissen: Warum H. B. diesen Weg gehen mußte, so früh, so vor der Zeit... Wo ist der Sinn? Sende dein Licht und deine Wahrheit, Gott! Jetzt merken wir es gewiß alle: Dieser Vers spricht ja genau unsere Gedanken aus! Wir suchen doch nach Licht! Wir wollen doch die Wahrheit wissen, den Sinn, die Antwort auf unsere Fragen! Ob das vielleicht gar nicht in erster Linie ein Wort der Widmung für unsere Verstorbene ist? Ob dieser Vers nicht zuerst uns meint? Sende dein Licht, deine Wahrheit, Gott! Laß uns verstehen, warum du uns so geschlagen hast, warum du ihr, um die wir trauern, solch ein Geschick zugeteilt hast. Und wo wir schon nicht verstehen können, nicht be- greifen sollen, da gib uns wenigstens den Trost, den wir brauchen, Gott! Wie geht der Vers weiter?: Sende dein Licht und deine Wahrheit, daß sie mich leiten zu deiner Wohnung, daß ich hineingehe zum Altar Gottes... Wir sind jetzt in der Wohnung Gottes. Wir sind versammelt vor sei- nem Altar. Hier ist sein Wort zu Hause. Hier läßt er seine Wahrheit hören. Hier leuchtet sein Licht. Heute und immer. - Vielleicht will uns das sagen, daß wir nicht ablassen von Gott, daß wir - so schwer er uns auch ge- schlagen hat - an seiner Hand bleiben, nicht locker lassen - auch mit unseren Fragen und Klagen immer wieder vor ihn kommen, vor ihm ausbreiten, was uns so niederdrückt und so traurig macht. Daß wir ihm auch solche Fragen stellen und immer wieder stellen: Warum, Gott? Wo warst du Gott, als es geschah? Und so geht es weiter: ...daß sie mich leiten zu deiner Wohnung, zu deinem Altar. Ob das nicht heißen mag: Laßt nicht ab, liebe Angehörige, vor Gott zu treten und ihn zu fragen und von ihm Hilfe zu fordern und Trost und Antwort. Kein anderer kann helfen. Und nur Gott kann antworten. - Aber gibt es überhaupt Ant- wort? Kann denn in solch einem frühen Sterben irgendein Sinn liegen? Ich will mich hüten zu berühren, was allein Gottes ist! Ich will nicht meinerseits Antworten probieren - das kann und darf ich nicht. Aber, was ich weiß und was ich erfahren habe, das darf ich sagen, ja, das muß ich sa- gen! Immer wieder einmal sind mir persönlich und in meinem Dienst als Pfarrer Dinge und Ereignisse begeg- net, die sehr dunkel waren, furchtbar und scheinbar nicht das Werk eines gütigen Gottes! Immer wieder habe auch ich an unserem "Vater" im Himmel zweifeln müssen, zu dem sich ein schreckliches Geschehen einfach nicht reimen ließ. - Immer wieder aber gab es auch das andere: Nach einer Zeit war es so, als würde ein dunk- ler Schleier sachte gehoben. Man durfte einen kurzen Blick auf etwas werfen, was bis dahin wie ein Rätsel, wie ein Geheimnis war. Da leuchtete nicht die ganze Wahrheit auf! Das war nicht die vollkommene Antwort, die man erhofft und erbeten hatte. Aber es war eine Ahnung, ein Wissen, wenigstens aber eine Gewißheit: Nichts ist sinnlos! Nichts geschieht ohne den Willen Gottes. Auch das, was du einmal als absolut finster und grausam empfunden und beweint hast, war in Gottes Willen und Plan. Wie gesagt: Es war allenfalls eine Ah- nung von Sinn, nie die ganze Antwort. Aber ich habe das erfahren, wieder und wieder. (Und wenn ich mich heute hier so umsehe, dann sind auch jetzt in der Kirche einige, die solche Erfahrungen machen durften, wie sie mir erzählt haben.) Gewiß, manches schreckliche Geschehen, viele schlimmen persönlichen Erlebnisse der Vergangenheit haben diese Ahnung von Sinn noch nicht offenbart. Der dunkle Schleier liegt noch schwer über ihnen. Aber ich weiß und andere wissen durch so viele erlebte Beispiele, daß dieser Schleier einen Sinn verbirgt, daß es eine Ant- wort gibt, daß er die Wahrheit nur bedeckt, daß also - wenn auch noch verborgen - ein Licht im Dunkel leuchtet! Und ich entdecke jetzt, da ich darüber spreche, daß es ja auch mit der Mitte unseres Christenglau- bens schon genauso ist: Warum muß Christus, ein Unschuldiger, ein Freund aller Menschen, so jämmerlich sterben? Warum läßt Gott seinen Sohn, den er doch liebt, den Weg ans Kreuz gehen, wie einen Verbrecher? Warum dieses Leid, diese Schmerzen, diese Qual? Warum? Geht uns da nicht auch jede Antwort aus? Liegt darin denn - zunächst - irgend ein Sinn? Könnten uns - mit Jesu Kreuz vor Augen - nicht tiefe Zweifel an der Liebe und Güte Gottes kommen? Steigt da nicht auch der Gedanke in uns auf: Wenn das Kreuz das Ende ist, dann wird es diesen Gott gar nicht geben!? - Aber auch hier hat die Zeit etwas anderes zutage gebracht: Dieser Jesus Christus ist nicht im Tod geblieben! Das Kreuz hatte nicht das letzte Wort! Und gar nicht nur die kleine Schar der verschreckten Jünger damals kann das bezeugen, nicht nur sie haben hernach den lebendigen Herrn gesehen! In diesem Sieg über den Tod liegt die Wurzel des Glaubens der Christen. Unübersehbar ist heute die Größe seiner Kirche, die in seiner Auferstehung ihren Grund hat. Da ist einmal - wahrhaftig! - mehr entschlei- ert worden als eine "Ahnung" von Sinn! - Aber halten wir fest: Am Kreuz scheint Christi Sache verloren. Sei- nen Tod vor Augen, war alles sinnlos. Hinter Kreuz und Tod aber war Licht und Sinn und Wahrheit. Hinter dem Schleier wirkte Gott mit seinem Willen und Plan. - Ich bin ganz gewiß, so ist es immer, auch wo wir's nicht glauben und nicht begreifen können! - Der Schluß dieses Verses ist eine Zumutung und wird es heute und lange bleiben: „...zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist und dir, Gott, danke.” Nein, zu danken haben Sie nichts, liebe Angehörige. Und die Freude des Lebens ist heute sehr weit, sehr fern. Aber vielleicht können Sie es als Verheißung nehmen, als einen kleinen, hellen Lichtfleck ganz weit weg in einer Zukunft, die Ihnen heute sehr, sehr finster erscheint, von der sie kaum mehr etwas erwarten und auf die sich heute keine Hoffnung richtet. Freude und Wonne...sie werden auch wieder danken können. Eine Verhei- ßung! Ein Schimmer von Leben ohne H. B.. Ich wünsche Ihnen von Herzen, daß Sie durch das Dunkel hin- durchkommen. Lassen Sie nicht ab, vor Gott zu fragen und zu klagen, zu weinen und zu bitten. Er allein kann helfen und antworten. Werden Sie nicht irre daran, daß hinter dem Schleier, den das furchtbare Geschehen be- deckt, ein Licht leuchtet, ein Sinn liegt und eine Wahrheit. So spreche ich jetzt diesen Vers, den Vers zu die- sem Abschied für Sie noch einmal und bitte Gott, daß er ihn an Ihnen - ganz! - erfüllt: Sende dein Licht und deine Wahrheit, daß sie mich leiten zu deiner Wohnung, daß ich hineingehe zum Altar Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist, und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott.