Ansprache zur Beerdigung - Früher Tod nach langem Leiden Offb. 3,11 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Wie oft schon mußte ich staunen, wenn das Wort der Tageslosung am Morgen so ganz deutlich zu mir sprach. Und wie oft schon habe ich mich gewundert, wenn der Predigttext für den Sonntag einen so deutlichen Bezug zur vergangenen Woche hatte, mit ihren Ereignissen und Vorfällen. Vielleicht ging das ja auch schon anderen hier genauso: Ein Bibelwort, das Sie "zufällig" irgendwo gelesen hatten, schien gerade Ihre Lebenssituation zu erhellen. Die Worte einer Rundfunkandacht oder einer Ansprache in der Kirche trafen genau Ihre Lage.- Für einen selbst kann daran deutlich werden: Die Verse der Heiligen Schrift sind mehr als bloße "Worte". Hie und da ahnt man etwas von dem höheren Willen und der Absicht, die hinter dem Wort Gottes stehen. Als ich gestern den Konfirmationsspruch von H. H. bedacht habe, mußte ich wieder einmal staunen; wie gut paßt doch dieser Vers für den Verstorbenen und gerade zu seinem im letz- ten halben Jahr so leidvollen Leben: So heißt sein Konfirmationsvers: Ich komme bald! Halte, was du hast, daß niemand deine Kro- ne nehme! Diese Worte hat Pfr. W. vor rund 46 Jahren einem damals 14-jährigen Jungen vor diesem Altar zur Einsegnung gesagt und ins Leben mitgegeben. Kein Mensch konnte damals schon wissen, wie "bald" wirklich für H. H. der Tag kommen würde, an dem er vor seinen Herrn treten muß, wie wir alle das früher oder später müssen. Und kein Mensch konnte damals schon wissen, wie gerade für H. H. in seiner letzten Zeit das "Halten", das Festhalten an irgendeiner Hoffnung, einem Trost wichtig wer- den würde. Wir wissen das: Er war nicht der Mann, der fromme Sprüche auf den Lippen gehabt hätte. Sein Glaube saß irgendwo tiefer in seinem Wesen. Aber da saß er auch. Wir alle, die ihn in seinen letzten Lebensmonaten besucht haben, mußten doch staunen, wie er das getragen hat, was ihm auferlegt war. Keine Klage, die wir je gehört hätten. Nicht einmal die Frage nach dem warum, warum überhaupt, warum ich und warum so früh. Und er hat wohl gewußt, wie es um ihn steht. Ich kann das nicht anders sehen, als daß er sich in diesen leidvollen Wochen an dem festgehalten hat, was er einmal über den Herrn der Christen gelernt hat und es hat ihm geholfen, so geduldig auszu- halten bis zum Schluß. Doch: Es hat sich erfüllt und ist wahr geworden, was sein Konfirmationsvers sagt und emfiehlt: Ich komme bald! Halte, was du hast... Das war nicht irgendein Spruch zu einer Einsegnung. Das war sein Spruch! Zumindest in seiner allerletzten Zeit ist das sein Spruch gewor- den. - Aber betrachten wir auch diesen Gedanken: ...daß niemand deine Krone nehme! Ich weiß nicht, ob wir uns das wirklich vorstellen können, was das heißt: solch ein halbes Jahr ha- ben, von einem Tag auf den anderen im vergangenen Juli wissen müssen, ich habe die schlimme Krankheit, wahrnehmen müssen, wie es ständig schlimmer wird mit mir, so abnehmen dabei, daß es niemandem mehr - auch mir selbst nicht - verborgen bleiben kann, was mit mir ist, und sehr bald dann in allen täglichen Verrichtungen auf die Angehörigen angewiesen sein, körperlich so schwach, so hinfällig - und doch geistig ganz wach, so daß einem ganz deutlich zu Bewußtsein kommt, wie arm man dran ist und wie elend und wie aussichtslos die Lage... Können wir uns vorstellen, was das bedeutet? Wenn wir's auch nur ahnen können, so werden wir verstehen, was vor solch einem Hin- tergrund dieser Vers meint: Halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme! Sieh zu, daß du dennoch an der Hand deines Gottes bleiben kannst! Verzweifle nicht, laß dich nicht von mir abbrin- gen, halte aus, bis ich dich von all deinem Leid und deinen Schmerzen erlöse. Ich will dir die Krone des Lebens geben! Doch - das war der Vers zur Einsegnung von H. H.! Zu ihm paßt er. Er hat mit seiner Geduld, damit, daß er nicht geklagt und nicht gehadert hat, dazu beigetragen, daß sich dieser Vers - auch mit seinem Schluß - an ihm erfüllen konnte: Ich komme bald! Halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme! Und ich staune wieder einmal, wie hier Gottes Wort erst so viele Jahre später zur ganzen Wirkung und zur Erfüllung kam. Noch mehr staune ich aber über H. H. selbst, der so beharrlich "festgehalten" hat, ausgehalten hat und in seinem großen Leid standgehalten hat. Wie muß das schwer sein, jeden Morgen neu mit der Schwäche und der körperlichen Hinfällig- keit kämpfen zu müssen! Wie muß das weh tun, immer die Familienangehörigen zu belasten - so gern sie's ja auch tun - ihnen mit allem und jedem Zeit und Kraft zu kosten. Gerade für einen Men- schen wie H. H., der doch anderen immer so gerne geholfen hat. Er hat wirklich - nach allem, was wir Menschen voneinander wissen - bis zuletzt behalten und gehalten, was er hatte. Die Krone konnte ihm niemand und nichts nehmen. Ich frage mich, seitdem ich diesen Vers und das Leben von H. H. gehört, gesehen und bedacht habe, wie würdest du wohl selbst ein solches schweres Leiden bestehen? Könntest du auch so an der Hoffnung festhalten, wenn dir ein solches Schicksal beschieden wäre? Und ich möchte - wie wir das sonst ja immer gern tun! - diese Gedanken heute nicht verdrängen und diesen Fragen einmal nicht ausweichen: Würde ich wohl - bei einem solchen Geschick - an der Hand Gottes bleiben können, nicht hadern, nicht verzweifeln? Ich - für mich - begreife an dieser Frage, wie wichtig das doch ist, daß ich in guten Zeiten über die Verheißungen des Evangeliums nachdenke, daß ich mit Gott leben und rechnen lerne, solange seine "Güte" noch alle Morgen neu ist für mich... Ich glaube, nichts anderes wird mich einmal an Gott festhalten lassen, wenn ich durch so schwere Zeiten muß und jeder Tag mit Leiden und Beschwerde angefüllt ist. Und ich weiß ja nicht, ob und wann ein solches Schicksal auf mich wartet! Liebe Trauergemeinde, sehr grau und erschreckend sind diese Gedanken. Wer sie mit mir gedacht hat, dem sind sie auch nahegegangen. Aber es gibt einen Trost, der muß hier auch noch zur Sprache kommen, und ich bin sicher, der hat auch H. H. geholfen: Wir sind nämlich nicht allein, wenn wir durch Leiden und Krankheit müssen. Wie schon in guten Zeiten, auf den leichten Strecken unseres Lebens einer neben uns geht - auch wenn wir ihn nicht wahrnehmen - so ist noch vielmehr auf den steilen, steinigen Wegen einer bei uns, der uns nicht verläßt. Jesus Christus hat sich selbst ja nichts von dem erspart, was uns an Leid und Schmerz begegnen könnte. Er hat selbst alles gelitten, was nur je auf uns warten mag: Hunger, Einsamkeit, Spott, Verhöhnung, Geisel, Wunden, Kreuz und Tod. Er ist erfahren in allem, was wir vielleicht noch durchleiden müssen. Darum ist er der rechte Herr eines Lebens, das sich im Aushalten und Festhalten bewähren und am Ende "die Krone" ge- schenkt bekommen will! Mit ihm kann man "Halten, was man hat". Mit seiner Hilfe kann man beste- hen, auch wenn die dunklen Lebenstäler auf uns warten. Und ich bin durch das Beispiel der letzten Monate von H. H. neu bestärkt worden in der Gewißheit: Das sind in der schweren Zeit eben nicht nur Worte, die wir uns aufsagen. Das sind nicht nur tröstliche Gedanken, die sich dann in unserem Herzen einstellen, - da ist der Herr Jesus Christus dann selbst bei uns, stärkt uns, redet uns gut zu. Da nimmt er selbst - vielleicht in denen die uns pflegen oder besuchen - für uns Gestalt an, hält uns die Hand, kühlt uns die Stirn, sagt uns ein gutes Wort... Vielleicht erklärt uns das jetzt auch, wie still und ohne Hader H. H. doch mit seinem Leiden umgehen konnte. Liebe Trauergemeinde, die Worte Gottes, die uns auf unserem persönlichen Lebensweg begegnen und mitgegeben sind, sind mehr als Worte: Sie werden irgendwann wirksam und kräftig, sie begin- nen zu reden, treffen uns mitten ins Herz. Bei H. H. hat ein solches Wort Gottes erst Jahrzehnte später seine ganze Bedeutung entfaltet. Er konnte es gerade in seiner letzten schweren Lebenszeit befolgen und wahr machen: Ich komme bald! Halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme! Wie wichtig mag es sein, daß wir in guten Zeiten unseres Lebens über unser Verhältnis zu Gott, un- seren Glauben und die verheißene Krone nachdenken!? Das wird uns sicher helfen, wenn für uns die Tage kommen, die uns nicht gefallen und die doch auch bestanden werden müssen.