Ansprache zur Beerdigung - Tod eines 63jährigen Ps. 23,4 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Einen lieben Menschen hergeben müssen, ist immer schrecklich. Wie viel schwerer noch muß das sein, wenn er erst 63 war, das ist ja noch kein Alter zum Sterben. Und dann noch so kurz vor Weih- nachten, dem Fest der Liebe... Sicher fragen sie sich das seit jenem Anruf am Abend vor 3 Tagen: Wo ist denn die Liebe und Güte Gottes gewesen, als es geschah, als Ihnen der Mann, der Vater, der Großvater genommen wurde? Und wo waren Liebe und Güte schon in den vergangenen 3 Monaten, seit er so schwer krank gewesen ist? Irgendwie spürt das jetzt jeder von uns hier: Das ist ein Abschied, zu dem man einfach nicht "Ja" sa- gen kann. 63 Jahre alt ist er gewesen. Da warten andere auf den Tod, ja sehnen ihn herbei seit lan- gem schon - und leben, müssen leben und können sich selbst nicht mehr helfen, haben keine Freude mehr, nur Leid und Schmerzen - und möchten so gerne gehen - und können es nicht. Und dann der Tod, den wir beklagen: Noch mitten im Leben, herausgerissen aus einer Familie, die ihn noch so ge- braucht hätte, aus seiner Arbeit, die er noch so gern tat, herausgerissen auch aus so vielen Beziehun- gen zu seiner Frau, zu Sohn, Schwiegertochter und seinen Enkeln, an denen er so hing, zu den Nachbarn und Freunden - wer kann sich das denn vorstellen, daß dies alles nun nicht mehr sein wird? - Wir spüren das jetzt alle: Hier ist etwas geschehen, das unser Denken in Frage stellt und ir- gendwie auch unseren Glauben. Ist da denn kein gütiger Gott im Himmel; nennen wir ihn denn nicht "Vater", um damit auszudrücken, er hat uns lieb, will unsere Freude, unser Glück... Aber wo war er, als wir von E. R. Abschied nehmen mußten, so rasch und dann nach dieser schweren Leidenszeit? Wir sind jetzt nahe daran, über diesem Menschen, den wir verloren haben, auch unser Vertrauen zu verlieren. Denn wir verstehen es nicht, was uns da widerfahren ist, können es nicht verstehen. Gott, den wir oft kindlich den "lieben Gott" nennen, muß wohl auch eine dunkle Seite haben. Gott, der uns in unserem Leben oft so spürbar führt und hilft, kann auch sehr hart gegen uns sein. Gott, an den wir uns im Gebet voll Glauben wenden, kann uns auch unbegreiflich werden und in Zweifel sinken las- sen. Sie, liebe Angehörige, haben in diesen Tagen erfahren müssen, wie schwer uns dieser Gott seine Hand auflegen kann. Und sicher - wir dürfen es ruhig bekennen - sicher haben Sie sich auch schon gefragt, steht denn Gott überhaupt noch hinter alledem, was wir jetzt durchleben und durchleiden müssen? - - - In wenigen Tagen nur ist Heiligabend. Sie, liebe Angehörige, fürchten sich vor diesem Abend, denn er wird Ihnen grausam und eindrücklich vor Augen führen, wie einsam es jetzt - ohne ihn - ist und wie sehr ihnen der Verstorbene jetzt fehlt. Lassen sie mich auf die Geschichte der Geburt des Hei- landes kommen und auf einen Zug dieser Geschichte aufmerksam machen, den wir immer so gern übersehen - vielleicht weil wir ihn nicht wahrhaben wollen: Wir reden vom Krippelein des Herrn, unsere Lieder singen vom Öchslein und von Engelein, unsere Weihnachtsgedichte preisen das süße Jesulein... Wer aber sieht hier noch die ganze Härte des Ge- schehens der Heiligen Nacht?: In ganz Bethlehem war kein Platz, keine Herberge für die Eltern des Gottessohns. In einem zugigen Viehstall muß die Mutter gebären, ein Futtertrog ist das erste Bett des Kleinen, und dann die ersten Gäste: Arme von der Straße, das Lumpenpack der Hirten... Be- ginnt so der Weg des Königs der Könige? Soll hinter dieser Arme-Leute-Geschichte das Wirken Gottes stehen? Kann Gott so hart und dunkel sein? Kann man über dieser Geschichte noch an die Güte und Liebe Gottes glauben? Jetzt fragen wir genauso, wie bei dem Verlust des Menschen, der uns betroffen hat: Kann Gott so hart sein? Warum schlägt er so? Und ich denke, wie die Weihnachtsgeschichte die selbe Frage stellt, so gibt sie auch selbst Antwort: In diesem kleinen hilflosen Kind ist Gott ja selbst in die Härte dieser Welt herabgestiegen. Es ist ja doch Gottes eigener Sohn, der da im Viehtrog liegt und dessen Geburtstube ein Stall war. Gott führt also seit jener Heiligen Nacht nicht mehr nur ins Dunkel hinein, er geht auch mit hinein! Gott schlägt seitdem nicht mehr nur mit unbegreiflicher Härte, er trägt auch selbst, legt sich das Kreuz auf und leidet mit uns - für uns! Warum er all das tut, können wir nicht sagen. Seine Gedanken sind nicht un- sere Gedanken und seine Wege sind nicht die unsrigen. Aber er geht die Wege mit, die er uns führt. Er läßt uns darauf nicht allein. Das zeigt uns die Weihnachtsgeschichte - und all die anderen Ge- schichten um Jesus: Von Anfang an hat er ja für die Armen, die Leidenden, die Ausgestoßenen, die Zu-kurz-Gekommenen, die Hoffnungslosen, die Trauernden da sein wollen: So sind ja auch schon die Hirten die ersten bei der Krippe gewesen. Ich würde das, liebe Angehörige unseres Verstorbenen, so gern in eure Trauer hineinbuchstabieren: Der über euch dieses schwere Geschick verhängt hat, der ist jetzt auch bei euch. Der euch diese Bürde aufgelegt hat, wird nun auch mittragen. Der euch so hart geschlagen hat, hilft jetzt auch. Das beantwortet uns wohl nicht die Frage nach dem "Warum" dieses Abschieds, wir wissen immer noch nicht, weshalb ihr in dieses Dunkel geführt wurdet aber Gott wird euch hindurchbegleiten und eure Hand nicht loslassen, laßt sie selbst aber jetzt auch nicht los! Wenn wir vieles auch nicht wissen, manches wissen wir auch. Davon müssen wir auch noch reden: Die Geschichte des Kindes, die so hart in Stall und Krippe begann, ging auch so weiter. Wie ein ro- ter Faden zieht sich das durch sein Leben: Später als Mann hat er nicht, wo er sein Haupt hinlegen kann, arm und ohne Habe zieht er durch das Land, bis er schließlich - von einem Freund verraten - leiden und sterben muß, schlimmer und schändlicher als je einer von uns leidet und stirbt. Ein hartes Leben, ein Geschick, das uns wieder und wieder fragen läßt: Wo ist Gott gewesen? In der Armut, in der Not, in der Ohnmacht gegenüber denen, die ihn martern und ans Kreuz schlagen. Aus diesem harten Leben des Herrn, das er durchgehalten hat von der Krippe zum Kreuz, ist für uns alle Heil, Hoffnung und Leben geworden. Seitdem müssen wir nicht mehr beim Dunkel eines schlimmen Schicksals stehenbleiben! Seitdem wissen wir: Auch aus der Härte der Hand Gottes, die wir nicht verstehen können, kann etwas werden, kann Sinn und eine Antwort auf unser Warum kommen. Bis dahin geht Gott selbst mit, durch unsere Klagen, durch unseren Schmerz, durch die Einsamkeit und Trauer. Als wir vor drei Tagen über diese Stunde sprachen, wollten wir E. R. und uns für diesen Abschied den Konfirmationsspruch widmen, der über seiner fast 50jährigen Zeit als konfirmierter Christ ge- standen hat: Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Ich denke, wir spüren das jetzt alle, wie gut dieser Vers paßt: Er verschweigt nicht, daß es auch dunkle Lebenstäler gibt. Er spricht über Gott, unseren guten Hirten, und kann seine Güte doch zu- sammenbringen mit finsteren Zeiten, in die wir geführt werden. Aber er spricht eben auch davon, daß Gott uns in diesen dunklen Zeiten nicht allein läßt, daß er vielmehr als unser guter Hirte mit da- bei ist in allem, was uns begegnet, daß er uns Trost und Hilfe ist unterwegs und - auch das liegt ja drin in diesem wunderbaren Psalm - daß er uns durch alles Schwere und die Härte unseres Lebens zum Ziel führt. So heißt es am Ende dieser schönen Worte: Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. Halten wir uns an diesem Wort fest, Sie, liebe Angehörige, in der nächsten schweren Zeit, besonders in den Weihnachtstagen und wir alle, wenn für uns die Dunkelheiten kommen, die auch zum Leben gehören und Gott uns mit seiner Härte schlägt. Ich wünsche ihnen, liebe Familie R., daß Sie sich trotz allem, was sie jetzt erleben müssen, fest auf den guten Hirten verlassen können. Er hat sie geschlagen - wir wissen nicht warum. Aber er hat sie und ihren Verstorbenen nicht verlassen - keinen Augenblick. Und er bleibt mit ihnen unterwegs in ih- rem Leben - hoffentlich auch einmal wieder in schönen, beglückenden Zeiten. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.