Ansprache zur Beerdigung - Tod einer Frau, die mit Gottes Wort gelebt hat Pred. 12, 1 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Wenn wir den Menschen, von denen wir Abschied nehmen müssen, gerecht werden wollen, dann wer- den die Worte, die wir hier bei der Trauerfeier sprechen, immer wieder ein ganz anderes Thema ha- ben. Vielfältig wie das Leben der Menschen ist auch die Botschaft, die ihr Tod uns ausrichtet. Manchmal geht es besonders um den Trost, den die Angehörigen jetzt brauchen. Ein andermal ist viel- leicht eher die Frage wichtig, was denn aus unseren Toten wird, wenn sie uns verlassen. Wieder bei anderen - besonders, wenn sie noch jung waren - muß auch das Warum eines frühen Sterbens laut werden. Jeder Abschied jedenfalls hat uns etwas anderes zu sagen. Jedes Sterben hat eben seine Bot- schaft. Und heute ist das ganz besonders deutlich, was uns dieser Abschied von M. S. sagen will, ja, es ist geradezu so, daß sie selbst uns heute ein Vermächtnis hinterlassen hat. Und dieses Vermächtnis liegt in dem Wort, das sie schon vor längerer Zeit für diese Stunde bestimmt hat, daß wir es hören und darüber nachdenken. Es ist ein Vers aus dem Buch des Predigers, es ist der Trauvers, der den Schom- berts für die viel zu kurze Zeit des Glücks ihrer Ehe mitgegeben wurde: "Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre herzutre- ten, da du wirst sagen: "Sie gefallen mir nicht." Je mehr ich über diesen Vers nachgedacht, je länger ich mich auch gefragt habe, was M. S. uns damit sagen will, um so überzeugter bin ich davon gewesen, daß es eine doppelte Botschaft ist, die sie uns heute ans Herz legt: Einmal ist es sicher eine Mahnung für uns: "Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend..." Ich hö- re das so, daß es mich warnen will, meine Sache mit Gott, die Frage nach dem Woher und Wohin meines Lebens in dieser Welt nicht immer und immer auf die lange Bank zu schieben. Ob ich in mei- nem Leben zum Glauben an Gott, zu Frieden und Versöhnung mit ihm finde, ist einfach zu wichtig, als daß ich es auf später, auf mein Alter, die Jahre des Ruhestands mit dann endlich mehr Zeit vertagen dürfte. Weiß ich denn, ob es ein "später" für mich geben wird? Kann ich das sicher sagen, ob mir ein Alter, in dem ich zu diesen Fragen komme, ob mir ein Ruhestand beschert sein wird? "Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen..." Ja, das hört sich dringlich an und bedrängend - und das ist es ja auch! Wer weiß denn, was schon morgen aus ihm, seiner Gesundheit, seiner Lebensplanung und der Zeit werden kann, die er noch zu haben glaubte? Die bösen Tage, die Jahre, die uns nicht gefallen, können noch heute beginnen. Über Nacht haben wir keine Kraft mehr, unser Leben selbst zu gestalten. All unser Planen und Wollen wird zunichte. Und daß ein Herz, das von Leid, Kummer und Krankheit gefangen ist, nicht so leicht zum Glauben und zum Vertrauen auf Gott findet, das wissen wir! Wir sagen gern: Not lehrt beten, und das stimmt wohl auch. Aber ob die Not auch glauben lehrt? - Darum: "Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend..." Kümmere dich beizeiten um den, von dem dein Leben herkommt. Frage nach ihm und sieh die Tausend Geschenke, die er dir in die Hände gelegt, erkenne den Auftrag, den er gerade dir gegeben hat, und danke ihm für die Liebe, mit der er dich täglich überschüttet. Und sag' nicht: Ich spüre ihn nicht! Ich erfahre nichts von ihm und weiß nicht, wofür ich mich bedanken sollte! Daß du gesund bist, deine Glieder bewegen kannst, ein Auskommen hast und ein Dach über dem Kopf, daß du Menschen in deiner Nähe haben darfst, die dich lieben und die sich ein Leben ohne dich nicht vorstellen können, daß du schaffen kannst und dein Rat gefragt ist, daß du Freude am Leben empfindest und gern auf der Welt bist... Das und noch viel mehr, ja, alles ist Gottes Gabe! Und nichts davon kommt von dir selbst, denn du ver- magst nicht ein einziges Haar auf deinem Haupt weiß oder schwarz zu machen. Und ganz tief im Her- zen drinnen weißt du auch, daß es so ist. Nur wollen wir unser Leben ja immer gern selbst machen, niemand anderem etwas verdanken, auf niemanden angewiesen sein. - Wie anders wird das doch dann, wenn die bösen Tage kommen! Da werden wir wissen und es aussprechen, wer verantwortlich ist für unser Unglück, unser Leid, unsere Krankheit. Dann können wir auf einmal auch zu dem beten und vielleicht um Hilfe schreien, den wir in jungen Jahren, in guten Zeiten doch angeblich gar nicht kann- ten und brauchten. Darum - noch einmal: Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bö- sen Tage kommen und die Jahre herzutreten, da du wirst sagen: "Sie gefallen mir nicht." Liebe Trauergemeinde, dieses Wort hat aber nicht nur diese eine, von manchem gewiß als fast bedroh- lich empfundene Seite. Da liegt auch viel Trost darin und einiges, was uns jetzt vielleicht auch froh machen kann. Und das eben ist der zweite Teil der Botschaft, die uns das Vermächtnis unserer Ver- storbenen heute ausrichten will: "Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend..." Sie nämlich, um die wir heute trauern, hat das getan: In ihren jungen Jahren hat sie zu Gott gefunden und in schwerster Zeit nicht von ihm gelassen. Wir wissen nicht, wie das möglich war. Ich muß immer wieder darüber staunen, wenn Menschen, die doch so hart vom Schicksal geschlagen werden, doch an der Hand Gottes bleiben können, ja, manchmal erst in den härtesten Zeiten ihres Lebens zu Gott fin- den! Wie schwer muß das gewesen sein, damals, als M. S. noch so jung war, so voller Pläne und Zu- versicht. Nach kaum zwei Jahren des Glücks wird ihr schon der Mann genommen - und er kehrt nie- mals wieder. Dann allein sein mit dem Kind, sich in schwerer Zeit durchbringen, immer noch hoffen, daß er wiederkommt - und schließlich doch die Hoffnung begraben müssen und nicht einmal ein Grab haben, an das man gehen kann, keine Stätte, an der man seine Tränen weint und dem nahe ist, den man geliebt hat. - Und dennoch bei Gottes rechter Hand bleiben. Liebe Trauergemeinde, sie, von der wir heute Abschied nehmen, zeigt uns, daß es geht: Noch im schwersten Geschick, noch in dunkelster Zeit kann ein Mensch seinen Halt und seine Mitte bei Gott finden. Wieviel leichter mag das für uns sein, die wir vielleicht schon lange in den guten Jahren unseres Lebens sind, die viel Glück, manche Bewahrung und so viel Liebe erfahren?! "Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen..." Doch, vielen von uns könnte das schon leichter fallen als es ihr, um die wir trauern, gefallen ist! Aber gehen wir ihrem Leben noch ein wenig entlang: M. S. hat das auch immer auf sehr praktische Weise wahr gemacht, dieses "an den Schöpfer gedenken": Ich durfte in den letzten Tagen in ihrem Gebetbuch blättern. Wie viele schöne Bibelverse hat sie dort mit eigener Hand aufgeschrieben. Wie viele Liedstrophen, Gebete, die ihr wichtig waren und die sie täglich am Morgen und Abend gespro- chen hat. Auch hier hat sie uns gezeigt, daß ein Leben mit Gott - auch wenn uns vielleicht das Glück, einen Partner zu haben, versagt ist, froh und zufrieden machen kann. Denn sie war ja nicht bitter in diesem Leben! Sie konnte sehr heiter sein und hat gern gelacht. Sie reiste oft und sah sich die Welt an. Sie hat Freude empfunden und hatte gern Gemeinschaft mit anderen, sei es beim VDK oder in unserer Kirchengemeinde, bei Gottesdienst und im Frauenabend. In meinem Gedächtnis wird die Erinnerung an sie immer verbunden sein mit der Frau, die sich vielleicht am meisten darüber gefreut hat, daß wir hier in Ilsdorf vor über 15 Jahren ein eigenes kleines Kirchlein aufgebaut haben. Wie gern war sie hier im Hause Gottes! Wie groß war ihre Freude, als wir hier erst eine und dann später ein zweite Glocke bekommen haben. Wie glücklich hat sie der Klang des Glöckleins zum Feierabend gemacht. Und mit ihr verbindet sich auch noch das Lied, das wir vorhin gesungen haben. Im Frauenabend war es ihr Lied und immer haben wir es an ihrem Geburtstag angestimmt: "Was Gott tut, das ist wohlgetan!" Und vor dem Hintergrund ihres doch sehr schweren Lebens könnte uns wohl schon diese erste Zeile erstaunen! "Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre herzutre- ten, da du wirst sagen: "Sie gefallen mir nicht." Liebe Trauergemeinde! M. S. hat uns mit ihrem Leben gezeigt, daß selbst ein Mensch, der wirklich harte Schläge des Schick- sals hat empfangen und tragen müssen, in der Nähe und an der Hand Gottes bleiben kann. Ich finde, das ist sehr tröstlich und kann uns vielleicht ermutigen, auch in unserem Leben neu nach unserem Schöpfer zu suchen. Um wieviel leichter könnte uns das fallen, die wir doch in einer guten, gesunden und überwiegend glücklichen Zeit sind? Wir werden dann vorbereitet sein für die Tage, ja, vielleicht die Jahre, in denen Gott ein schweres Geschick für uns bereithält. Lassen sie uns unsere Verstorbene ehren damit, daß wir ihr Vermächtnis heute hören und nach Kräf- ten wahrmachen: "Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre herzutreten, da du wirst sagen: "Sie gefallen mir nicht." AMEN