Ansprache zur Beerdigung - Tod einer sehr alten Frau Spr. 3,1 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Wir wollen in dieser Stunde des Abschieds von O. T. auf ein Wort aus dem Buch der Sprüche hö- ren. Es war - vor über 75 Jahren - ihr Konfirmationsvers. Wir wollen mit diesem Vers weniger über die Verstorbene reden - das hätte diese bescheidene, eher zurückhaltende und in ihren letzten Jahren zurückgezogen lebende Frau sicher nicht gewollt. Wir wollen diesen Vers zu uns sprechen lassen und vor seiner Botschaft über uns und unser Leben nachdenken. Hier ist dieses Wort, der Konfirma- tionsspruch unserer Verstorbenen aus den Sprüchen Salomonis, im 3. Kapitel: Mein Kind, vergiß meine Weisung nicht, und dein Herz behalte meine Gebote. Mit der Botschaft des Reformationsfestes im Ohr, die wir gerade vorgestern erst gehört haben, wir- ken diese Worte leicht gesetzlich, alttestamentlich, nicht evangelisch! Sind wir durch Jesus Christus nicht erlöst, frei gemacht von Weisung, Gesetz und Gebot? Brauchen wir denn als begnadete, ge- rechtfertigte Christenmenschen noch die Vorschriften der Gebote? Kommt für uns nicht alles auf den Glauben an, auf unser Vertrauen zu Jesus Christus und auf die Gnade Gottes? Jawohl, sage ich! Es geht um den Glauben, der sich allein auf die Güte Gottes verläßt. Der ist entscheidend! Wir können bei Gott nichts verdienen, da mögen wir seiner Weisung und seinen Geboten nachkommen, wie wir nur können, da mag unser Leben wohlanständig sein und all unser Handeln korrekt und wahrhaftig - auch der Sünder ist bei Gott nicht schlechter angesehen als wir, wenn er seine Rettung allein von Gottes Erbarmen erwartet. Es gibt keine Leistung, die uns bei Gott wohlgefällig macht. Es gibt kein Werk, das Gott uns angerechnet hätte, wenn er uns sagt, daß wir ihm gefallen und er uns liebhat. Al- lein Christus, allein die Gnade, allein der Glaube... Jawohl, noch einmal. Und doch gilt auch das: Mein Kind, vergiß meine Weisung nicht, und dein Herz behalte meine Gebote. Wie paßt das zusammen? Wie können wir erlöste, durch Gnade gerechtfertigte Menschen sein und doch der Weisung der Gebote bedürftig? Diese Frage ist so alt wie unser Glaube selbst. Schon die ersten Christen erkundigen sich bei Paulus: Wenn wir doch erlöst sind und im Glauben schon auferstanden, warum sollen wir dann noch die Ge- bote halten, die doch für diese Welt gemacht sind und nur in ihr gelten? Und diese Frage ist auch uns nicht so fern, wie wir jetzt vielleicht denken! Das hört doch nicht nur ihr Pfarrer immer wieder: "Aber ich habe doch meinen Glauben!" Und was wollen die Leute damit sagen? Zum Beispiel dies - und das hat mit dem 3. Gebot zu tun: Ich habe doch meinen Glauben, da brauche ich doch nicht in die Kirche gehen! Ich habe doch meinen Glau- ben, da muß ich mich doch nicht am Gemeindeleben beteiligen! Aber ist das so? Brauche ich nur noch den Glauben im Herzen - und nicht mehr den Gottesdienst, die Kirche, die Mitchristen? Mein Kind, vergiß meine Weisung nicht! Eine Weisung heißt z.B.: Du sollst den Feiertag heili- gen! Auch wenn wir erlöste Menschen sind, gilt das! Nein, besser: Gerade wenn wir erlöste Men- schen sind, gilt es: Du brauchst die Kirche! Du mußt das gute Wort immer wieder hören, denn du kannst es dir selbst nicht sagen. Und wenn du es dir nicht sagen läßt, dann wirst du es nach und nach vergessen. Und du hast deine Mitmenschen nötig, denn du lebst in Gemeinschaft mit ihnen und alles in uns ist füreinander angelegt. Keiner kann allein, Segen sich bewahren, so weiß es ein neueres Lied in unserem Gesangbuch. Und auch die anderen Gebote brauchen wir - gerade wenn wir erlöste, vom Gesetz befreite Men- schen sind? Warum? Daß sie uns immer wieder erinnern, sozusagen auf dem Boden der Wirklichkeit halten, daß wir uns nicht schon davonmachen in Gottes andere Welt... Dort werden wir seine Wei- sung nicht mehr brauchen. Dort werden wir wissen und begreifen, was gut ist und was Gott von uns will. Aber heute? Da gilt es und wir sollen es beherzigen: Vater und Mutter ehren! Nicht die Ehe brechen. Nicht steh- len, die Wahrheit sagen! Denken wir nur, wir würden ernsthaft glauben, wir wären doch über das al- les hinaus, weil wir erlöst sind, gerechtfertigt in Christus, im Geist schon auferstanden... Was bräche da für ein Verhalten aus! Wie ginge es zu - unter uns Christen!? Wie geht es zu...denn wir leben oft und weithin so, als brauchten wir die Gebote nicht mehr. Beispiele? Ich will hier nicht über die Medien sprechen oder die Politik und die Großen unserer Gesellschaft. Da haben wir uns daran gewöhnt, daß die Weisungen und Gebote Gottes mißachtet werden, auch wenn wir uns daran wohl nicht gewöhnen sollten. Bleiben wir bei uns. Schauen wir auf unser Leben. Was wir da sehen ist vielleicht nicht so aufregend wie der Wortbruch eines Ministerpräsidenten, aber es paßt genauso wenig dazu, daß wir doch Christen sein wollen. Gehen wir ein paar der Gebote Gottes durch, nehmen wir zuerst dieses: Du sollst Vater und Mutter ehren. Nein, wir sind nicht schlecht gegenüber unseren Eltern. Wir haben sie ja lieb und wissen, daß wir ihnen viel verdanken. Und doch geben wir im Grunde nicht viel auf das, was sie sagen. Wenn wir vielleicht auch still sind und ihnen nicht widersprechen, so denken wir doch oft in unserem Her- zen, daß sie keine Ahnung haben von der Welt, in der wir heute leben, daß sie nichts davon verste- hen, was für uns wichtig ist und was in der heutigen Gesellschaft zählt. Aber ist das "die Eltern eh- ren"? Könnte es nicht sein, daß unsere Eltern, die Älteren überhaupt, für uns Junge und Jüngere auch ganz wesentliche Gedanken und Weisungen haben? Gewiß ist es manchmal schwierig, sie zu verstehen, aber vielleicht lohnte sich die Mühe, die ehrliche Mühe, ihren Standpunkt zu begreifen? Vielleicht ersparte uns das manchen Irrweg. Vielleicht brächen dann die Werte in unserer Welt heute nicht so zusammen, wie wir es doch oft und laut beklagen! Wirklich ehren würden wir unsere Eltern und Alten, wenn wir auf sie hörten, ohne uns gleich innerlich zu versperren und wenn wir prüften, was sie uns sagen wollen - und wenn wir ihnen folgten, wo es gut ist. Oder betrachten wir dieses Gebot: Du sollst nicht stehlen. Ich weiß schon, da sind wir empfindlich. Wir nehmen doch niemandem etwas weg! Aber als konfirmierte Christen hören wir gewiß im Hin- tergrund dieses Wortes auch die Erklärung Luthers: "...daß wir unserem Nächsten...sein Gut und Nahrung helfen bessern und behüten." Nicht wahr, da sieht es doch schon anders aus! Da ist uns das Eigene doch meist näher! Und wenn wir des Nächsten Gut bessern...dann ginge uns selbst ja etwas ab. Darum tun wir uns damit, wenn wir ehrlich sind, ziemlich schwer. Wenn wir's wirklich könnten, wo käme denn dann nur der Neid her und die Mißgunst, die uns doch auch nicht fremd sind. Und schließlich lassen wir uns noch dieses Gebot sagen: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden. Ach nein, wir lügen ja nicht bewußt. Nur sagen wir oft nichts, wo etwas gesagt werden müßte. Und wir verbreiten ja auch keine Gerüchte oder Unwahrheiten, wir treten dem nur nicht entgegen, wenn wir es besser wissen und ein klares Wort von uns die Lage bereinigen könnte. Auch nichts zu sagen, kann unwahrhaftig sein. Nicht immer ist Schweigen Gold. Liebe Gemeinde, auch wenn es stimmt, daß wir erlöste Menschen sind, auch wenn es wahr ist, daß Jesus Christus uns die Gnade Gottes verdient hat und wir bei Gott keinen Lohn mehr damit erwer- ben können, wenn wir seine Weisungen befolgen und seine Gebote halten - wir brauchen Weisung und Gebot! Wir sind ihrer bedürftig, so lange wir leben! Wir würden unmenschlich, wenn wir schon in unserem Denken und Dünken diese schnöde Welt verließen. Vor allem aber würden wir unchrist- lich! Denn Christen leben in dieser Welt. Christen wissen von Gottes neuer Welt, aber sie wissen auch, daß sie die erst in der Zukunft gewinnen und bis dahin in dieser Welt leben müssen. Und für diese Welt sind Gottes Gebote gemacht. Und wir brauchen sie - nicht für unsere Erlösung!, die hat Jesus Christus vollbracht - aber für unser Zusammenleben und dafür, daß wir nicht aus unserer Erlö- sung fallen und unserem Glauben Schande machen. Denn was wären das für Christen, die sich für gerettet und gerechtfertigt halten, die aber doch für andere durch ihr Verhalten und die Mißachtung der Gebote nur zum Ärgernis und zum schlechten Beispiel dienten? Und ein letztes möchte ich auch noch sagen: Ich möchte den Christen sehen, der nicht vor Glück und Freude über die Verheißung der Erlösung vom Tod und des zukünftigen Lebens bei Gott sich aus ehrlichem Herzen bemühen wird, die guten Weisungen und Gebote Gottes zu befolgen. Ehrliche Dankbarkeit wird Gottes Gesetze achten und halten. Liebe Trauergemeinde, wir haben heute beim Abschied von O. T. auf ihren Konfirmationsspruch ge- hört. Wir wollen sie und ihr Andenken damit ehren, daß wir nach Kräften diese Worte auch in unse- rem Denken und Leben beherzigen: Mein Kind, vergiß meine Weisung nicht, und dein Herz be- halte meine Gebote.