Ansprache zur Beerdigung - Tod sehr beliebter, ehemaliger Flüchtlingsfrau Dt. 2,7 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Ich habe so etwas noch nie vorher erlebt. Am vergangenen Sonntagmorgen teilt mir der Schwiegersohn unse- rer Verstorbenen mit, daß P. D. um 7 Uhr früh in R. verstorben ist. Um kurz vor 10 will ich meiner Nachbarin, die, wie so viele, eine herzliche Beziehung zu unserer Verstorbenen hatte, davon mitteilen, sie weiß es schon. Bei den Abkündigungen im Gottesdienst dieses Sonntagmorgens will ich der recht zahlreich versammelten Gemeinde sagen, daß P. D. gestorben und ihre Beerdigung in den nächsten Tagen zu erwarten ist - aber ich habe dabei das Gefühl, ja, ich spüre es ganz deutlich, daß keiner und keine der vielleicht 90 Frauen und Män- ner es noch nicht gewußt hatte. In nur zwei, drei Stunden muß sich die Nachricht vom Tod dieser Frau - im- merhin an einem Sonntagmorgen, da manche ja auch gern einmal länger schlafen - in unserem Dorf verbreitet haben, wie das sprichwörtliche Lauffeuer. - Aber ich frage mich nun: Wer war sie denn, diese P. D.? Die Frau des Altbürgermeisters, die vielleicht auch einmal eine Rolle im politischen Leben unseres Dorfes gespielt hat? Oder die Seniorchefin eines großen Ar- beitgebers unserer Region? Oder war sie die zentrale Person, die entscheidende Größe im Vereinsleben unse- res Ortes. - Man könnte es denken, wenn man erlebt hat, wie sehr Anteil genommen wurde an Ihrem Tod und wieviel Trauer, ja, Bestürzung man in den Mienen der Menschen lesen konnte. Liebe Gemeinde, sie war aber "nur" ein ganz einfacher Mensch, nicht einmal gebürtig von Groß-Eichen, son- dern eine Flüchtlingsfrau, die in den Wirren von Krieg und Vertreibung 1942 in unser Dorf gekommen ist. Sie war nun wirklich nicht bedeutend im Sinne der Welt. Sie war nicht vermögend, nicht einflußreich und hatte ei- gentlich nirgends das Sagen. Sie war bescheiden. Sie war trotz der harten Arbeit, die sie immer geleistet hat, mit ihrem Schicksal zufrieden und sehr, sehr dankbar für alles, was Gott aus ihr und ihrem Leben hat werden lassen - und das ist, wohlgemerkt: nicht im Sinne der Welt! - sehr viel gewesen! Sehen Sie, liebe Gemeinde, das ist das eine, die eine Seite der Gedanken, die mich bei diesem Abschied be- schäftigen. Die andere Seite ist nun dies: Ich soll nicht so viel von ihr und über sie reden. Das haben sich die Angehörigen gewünscht und so hat sie selbst es auch gewollt. Ich sage das offen: Ich kann beides nur sehr schwer verbinden und darum diese Bitte nicht gut erfüllen. Wie soll ich denn ganz von ihr schweigen, nichts von ihr sagen, wenn ich doch auf der anderen Seite diesem Rätsel so gern auf die Spur kommen würde, warum der Tod einer so einfachen und doch auch alten Frau die Men- schen in meinem Dorf so sehr bewegt und traurig gemacht hat. Als Pfarrer und Seelsorger habe ich vielmehr die Ahnung, daß wir an P. D. und an ihrer Lebensart eine ganze Menge lernen können darüber, wie man auf gute, auf christliche Weise dieses Leben besteht. Wenn es so wäre, dürfte ich mir dann - eben nicht als Ruhm- redner, sondern als Seelsorger - die Gelegenheit entgehen lassen, am Beispiel ihres Lebens den einen oder an- deren Hinweis zu geben, wie so ein Leben rund wird und erfüllt? - Und da ist ja noch eine Schwierigkeit für mich: Ich habe P. D. ja auch persönlich gut gekannt, geschätzt und gemocht. Ich möchte darum auch selbst so gern wissen, was an ihrer Lebensart es eigentlich gewesen ist, was mich so angesprochen hat? - Wie aber kann ich das, ohne auch von ihr zu reden? Wir wollen es so machen: Wir wollen jetzt zusammen über einen Bibelvers nachdenken, vor dessen Hinter- grund wir vielleicht dieser Frau und ihrem Leben, ihrem unverwechselbaren Wesen auf die Spur kommen und gerecht werden können. Wir wollen uns dabei von diesem Bibelwort leiten lassen, aber auch schauen und fra- gen, was es denn wohl gewesen ist, was uns diesen einfachen Menschen so lieb und so wertvoll gemacht hat. Dabei wollen wir nicht loben, aber doch von der Wahrheit sprechen und davon, was wir an und mit ihr erlebt und erfahren haben. Das kann doch nicht verkehrt sein! - Hier ist der Vers, den wir betrachten wollen, ein Wort aus dem 5. Buch Mose: Der Herr, dein Gott, ist bei dir gewesen. An nichts hast du Mangel gehabt. Sie haben es jetzt alle gemerkt: Das ist ein Vers, der so recht zum Leben und zu allen Erfahrungen von P. D. paßt: Der Herr, dein Gott, ist bei dir gewesen. Ja, er war bei ihr, als sie vor 57 Jahren in unser Dorf kam, ihren späteren Mann P. D. und ein bleibendes Zuhause fand. Er war bei ihr in der Ehe, in der er ihr eine Tochter schenkte. Und Gott war bei ihr, bis ins Alter, das sie doch weitgehend gesund und rüstig erleben durfte. Und selbst im Leid, als sie den Mann und den Enkel so früh verlor, war Gott bei ihr. Wir meinen ja immer, der gute Gott, der gütige Vater im Himmel reime sich nur mit dem Schönen und Frohen, das uns widerfährt. Unsere Verstorbene hat die Nähe Gottes vielleicht gerade in diesen schweren Zeiten erfah- ren. Gerade in Trauer und Leid hat sie die Hand Gottes um so fester ergriffen. So konnte Gott sie hindurch- führen. So hat sie auch die dunklen Zeiten bestanden. "Der Herr, dein Gott, ist bei dir gewesen." Ja, ich glaube sogar, in den Zeiten, in denen wir Kummer und Leid haben, ist Gott noch viel deutlicher zu spü- ren, als schon, wenn wir im Glück sind. Gerade das ist ja auch das Geheimnis der Passion unseres Herrn, die wir als Christen in diesen Wochen mitge- hen: In diesem Jesus Christus hat Gott ja selbst gelitten. In ihm hat er alles getragen und überwunden, was nur je an Leid und Schwerem auf einen Menschen warten kann. Der Gott, der selbst ins Leiden geht, der ist damit allen denen nah, die Schmerz, Kummer, Trauer und Leid tragen müssen. Und auch das müssen wir in diesen Tagen vor Ostern schon ansprechen: Nach Kreuz und Leiden in dieser Welt ist Jesus Christus in die Herrlichkeit einer neuen Welt hinein auferstanden. Seitdem ist ein neues Leben nach dem Tod unsere Hoffnung. Und seitdem sind das auch die einzigen Gedanken, die in Leid und Trauer trösten können. Menschen, liebe Angehörige, die uns sterben, fallen ja gar nicht ins Nichts, sondern in die Hände Gottes. Und dieser Gott hat noch mehr mit uns vor, als dieses Leben. Das hat er uns in Jesus Christus deutlich und glaub-haft machen wollen: Menschen, von denen wir Abschied nehmen müssen, kehren heim, ge- hen uns voraus, auf dem Weg, den wir auch einmal schreiten werden, wenn wir nur Gott vertrauen. Ich glaube schon, daß es diese Hoffnung, diese Gewißheit war, die P. D. damals beim Abschied von Enkel und Mann getröstet hat. In der Zuversicht eines neuen Lebens bei Gott liegt ja auch der stärkste - und der einzige! - Trost, der uns tragen und bewahren kann, daß wir auch in Trauer und Schmerz die Hand Gottes nicht verlie- ren. Ja - ich bin sicher - auch damals hat das gestimmt und P. D. hat das so empfunden: Der Herr, dein Gott, ist bei dir gewesen. Und ist nicht auch das andere ihr ganzes Leben lang wahr geworden: "An nichts hast du Mangel gehabt." Ist nicht auch dafür unsere Verstorbene ein lebendiges Beispiel gewesen? Gewiß, Reichtümer hat sie nicht ge- sammelt, nennenswertes Vermögen hat sie nicht angehäuft - aber das wäre wohl auch das letzte gewesen, was sie sich gewünscht hätte! Ein einfaches, geradlieniges Leben wollte sie führen, bescheiden wollte sie bleiben, und stets hat sie sich auf das Wesentliche konzentriert: Wie sie in ihren Worten karg und sparsam aber ohne Umschweife war, so war sie auch in ihrer ganzen Lebensart: Keine Ader für irgendwelchen Luxus, kein Hang zum Besitz und kein Hängen an Sachen; für sie war vieles, mit dem wir uns so umgeben, nicht den kleinsten Aufenthalt auf ihrem Lebensweg wert. All der Kram, um den wir so viel Aufhebens machen und um den man- che in dieser Zeit ausschließlich kreisen, konnte sie gar nicht interessieren. Hat sie deshalb Mangel gehabt? Mußte sie darum auf irgendetwas verzichten, was ihr zum Leben nötig war? Sie hatte ihr Dach über dem Kopf. Sie hatte ihre Nahrung, ihre Kleidung. Sie hatte immer ihre Arbeit, und was konnte sie schaffen!, sie hatte ihre Aufgabe, zuletzt ihren Garten, in dem sie so gern arbeitete. Sie hatte ihre Kirche, ihre tragende Le- bensmitte, wo sie sich, wann immer sie konnte, Halt und Kraft holte. Und sie hatte vor allem eines; Liebe. Die Liebe so vieler Menschen in diesem Dorf, die sie - bis vor einem Jahr - auf ihren täglichen Gängen immer wie- der besuchte. Die Liebe all der anderen Angehörigen, von der sie sich, obgleich sie ja allein wohnte, immer getragen und geborgen fühlte. Und schließlich auch die Liebe der Nachbarn und Freunde, die jeder auf seine Weise seine gute Beziehung mit ihr hatte, seine früher tägliche Begegnung, sein kleines Gespräch, seinen Gruß über die Straße. Wie wird uns allen dieser Mensch, der immer da war, fehlen! Wie hat sie doch in das Bild und das Leben dieses Dorfes gehört, auch wenn sie so still, bescheiden und zurückhaltend war! Nein, sie hat an nichts Mangel gehabt, von dem Menschen wirklich leben. So könnte sie uns heute Beispiel und Anschauung für eine Wahrheit werden, die wir eben nur angesichts wirk- licher Menschen begreifen können. Und das möchte uns jetzt auch zur Antwort darauf werden, was denn das Besondere, Unverwechselbare an dieser Frau gewesen ist: Ihr einfaches, bescheidenes Leben zeigt uns, daß es zuletzt gar nicht die äußeren Bedingungen unserer Exi- stenz sind, von denen wir eigentlich leben. Die Erfüllung unserer Tage hat - wir sehen das an P. D. - sehr we- nig damit zu tun, ob wir reich sind, mit Gütern und Sachen gesegnet, ob unser Haus groß oder klein, modern oder kärglich eingerichtet ist. Das sind alles nur Äußerlichkeiten, nur der Rahmen des Bildes, in den unser Le- benslauf dann mit fröhlichen, satten Farben hineingemalt wird, oder in dem vielleicht die dunklen, düsteren Töne vorherrschen. Aber der Rahmen bestimmt nicht das Bild. Für die Schönheit des Bildes ist es gleich, ob der Rahmen teuer und prunkvoll, oder bloß aus einfachen Holzleisten ist. Der Geist, der unser Lebensbild re- giert, ist entscheidend. Bei unserer Verstorbenen war dieser Geist die Liebe, die sie selbst so reichlich gab und darum auch wieder so reich zurückempfing. Und es wird uns dabei deutlich: Wir selbst gestalten immer das Bild unseres Lebens mit. Wir haben Einfluß darauf, was dabei herauskommt, wenn ein anderer, eine Höherer, das Bild unserer 70 oder 80 Lebensjahre gestaltet. Manchmal meine ich, die Lebensbilder mit den teuersten Rahmen, seien nicht unbedingt die schönsten. Manchmal scheint es, als verdürbe der überladene äußere Rah- men das gute Gelingen eines Lebens. Und umgekehrt: Wie können die einfachen äußeren Bedingungen, die wirklich nur das allernötigste bieten, einen Lebensweg doch so erfüllt und reich werden lassen. Ja, ich glaube, für diese Wahrheit ist das Leben von P. D. ein Beispiel gewesen. Darin liegt die Lösung des Ge- heimnis, warum wir am Leben und Sterben dieser bescheidenen Frau, so großen Anteil nehmen, warum wir diese einfache Frau so gern hatten und warum wir sie jetzt so vermissen: Einmal ist an ihrem Leben deutlich geworden, daß man Gott durchaus nicht nur vertrauen kann, wenn es uns gut geht und wir glücklich sind, sondern daß gerade Leid und Not unsere Beziehung zu ihm noch vertiefen kann. Dann zeigt ihr Leben auch ganz klar, daß Lebensfülle, Freude und Gelingen unserer Erdenzeit doch recht wenig von den Äußerlichkeiten wie Geld und Gütern bestimmt werden. Allein wichtig ist die Liebe, die wir geben und dann wieder von anderen nehmen dürfen. Darin liegt der Reichtum unserer Tage. Für P. D. ist dieser Spruch in 83 Lebensjahren wahr geworden: Der Herr, dein Gott, ist bei dir gewesen. An nichts hast du Mangel gehabt. Wir haben diese Frau gern gehabt. Vielleicht wollen wir ja von heute mitnehmen, worin das Geheimnis gelegen hat, daß uns das Sterben einer so einfachen Frau so bewegt hat. - Gott segne unser Nachdenken über diese Gedanken. Ein letztes - ein Wunsch unserer Verstorbenen - möchte ich jetzt noch erfüllen. Auch wenn es ja vielleicht selt- sam klingt, ich soll - das hat sie ihren Angehörigen in den letzten Tagen ihres Lebens als ihren Wunsch anver- traut - ich soll alle grüßen, die sie liebhatten. Ich denke, dieser Bitte kann ich ganz einfach so entsprechen, in- dem ich jetzt sie alle ein letztes Mal von ihr grüße! Wir wollen ihr jetzt ein Lied singen, eines, das sie besonders gern hatte, eines auch, das in ganz besonderer Weise zu ihrem Leben paßt. Wir bitten Gott damit, daß die Verse, die wir singen wollen, jetzt ewig wahr wer- den: So nimm denn meine Hände...