Ansprache zur Beerdigung - Tod einer alten Frau nach langer Pflegezeit Joh. 14,2 Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Sicher, da ist ein alter Mensch gestorben, E. H. war 93. Und gewiß hätten wir Grund mit diesem Tod ver- söhnt zu sein, der zu ihr kam wie ein Freund und sie - wie sie es sich gewiß immer gewünscht hat - sanft, ohne Kampf aus diesem Leben geleitet hat. Gewiß auch kann ein Mensch nicht mehr vom Leben verlan- gen, als so lange, wie sie es bis vor Jahren war, rüstig zu sein und bei klarem Verstand, Krankenhäuser kaum von innen gesehen zu haben und schließlich eben ganz zuletzt so friedlich hinübergehen zu dürfen. Sie hätte auch nicht mehr erwartet. Aber - da gibt es auch andere Gedanken: Denn hilft das denen, die nun zurückbleiben? Macht das die Leere des Hauses erträglicher? Läßt das ihre Stimme weniger schmerzlich vermissen? Gibt das einen Trost für die Menschen, die sie verloren haben? Sie müssen weiterleben ohne sie. E. H. wird ihnen sehr fehlen und auch die Aufgabe und die Erfüllung, die das Leben mit ihr - bei mancher Mühe - für sie be- deutet hat, wird ihnen fehlen. Da ist eine Lücke entstanden - die kann kein Mensch mehr ausfüllen. Das schmerzt und das tut weh jetzt - ohne sie - allein zu sein. Und - liebe Angehörige, da kommen ja jetzt gewiß auch wie von selbst Bilder vor ihre Augen: Der Sessel, in dem sie immer gesessen hat, wird nun leer bleiben. Die Bank in der Küche, der Stuhl, den sie ihr auf dem Balkon in die Sonne gerückt haben... Wie oft werden sie in der nächsten Zeit dorthin blicken und all die schmerzlichen Gedanken, die traurigen Gefühle werden wieder da sein... Wir empfinden das jetzt ganz deutlich: Es gibt kein noch so "gutes Leben", das diesen Verlust wettmach- te. Und es gibt kein "schönes Sterben", das sie darüber hinwegtrösten könnte, daß jetzt diese Frau nicht mehr bei ihnen ist, die sie geliebt haben. - Trotzdem: Wir wollen, wir müssen darüber hinauskommen! Wir suchen Trost in dieser Stunde - und wir suchen ihn im Wort Gottes, das uns zwar nicht das Leid erspart und den Schmerz der Trauer nimmt, das uns aber helfen will, diesen Tod und das Sterben überhaupt auch in einem anderen Licht zu sehen - im Licht der Hoffnung und im Licht der Auferstehung. Wer uns dieses Licht erworben hat, wissen wir: Jesus Christus. Sein Sterben für uns, sein Leiden für uns und alle Menschen ist von Gott als unsere Versöhnung angenommen. So haben wir's im Konfirmandenunterricht gelernt. Gott reißt Jesus aus dem Tod, macht ihn zum Erstling der Auferstandenen. Ihm sollen alle die ins Leben folgen, die ihn zum Herrn haben und seinen Willen tun. Ein Wort dieses Herrn soll uns heute zur Widmung für diese Stunde werden; es steht bei Johannes im 14. Kapitel. Jesus sagt dort: Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Ich gehe hin, um die Stätte für euch bereitzumachen. Wie gesagt, mit ihrem Tod kann uns das wohl noch nicht versöhnen, aber ist das nicht tröstlich zu hören: Es gibt drüben auch eine "Wohnung" für ihre Mutter, Schwieger- und Groß- und Urgroßmutter. Sie wird dort zu Hause sein, "beim Vater" wie Jesus sagt, und sie wird nicht allein sein, denn "viele" wohnen dort. Und wo man ein Zuhause hat, eine Wohnung, bei einem Gott, den wir "Vater" nennen dürfen - sollte da nicht auch die Freude wohnen, ein Glück ganz unbeschreiblicher Art, Erfüllung und wirkliches Leben in der Nähe des Allerhöchsten? Macht uns das jetzt nicht doch ein wenig ruhiger, wenn wir an unsere Verstorbene denken? Sie hat die Freude, den Schmerz, das Leid, die Unvoll- kommenheit dieser Welt eingetauscht gegen die Herrlichkeit einer himmlischen Wohnung! Wir wissen nicht mehr darüber als dies: im Hause des Vaters ist uns diese neue Bleibe bereitet. Aber wird uns der Schöpfer, der uns gemacht hat, der uns so liebt, nicht bei sich ein Zuhause schenken, das seiner Größe wert ist? Und auch das will uns stärken: "Ich gehe hin, um die Stätte für euch bereitzumachen." Wir müssen uns keinen Augenblick um unsere Verstorbene sorgen. Ihre Stätte drüben ist schon bereit. Wir werden erwartet, wenn wir hinübergehen. Hinter der dunklen Tür, vor der uns ja meist bang ist, wird es hell und in diesem Licht werden wir ungeahnte Wunder erblicken. Ich sage jetzt ganz bewußt: "Wir". Denn denken wir beim Sterben eines lieben Menschen nicht immer auch an unser eigenes Sterben. Stellt nicht alles, was wir jetzt als Trauernde so schmerzhaft erleben, auch an uns selbst die Frage: Was wird aus mir, wenn ich einmal von dieser Welt gehen muß? - Wenn das Haus jetzt leer ist, ohne sie, fragt das nicht: Wo gehe ich hin, wenn man mich einmal fortträgt? Wenn Zuhause der Klang einer vertrauten Stimme fehlt, fragt das nicht: Wo werde ich sein, wenn auch meine Stimme dort verklingt, wo ich heute noch wohne? Darum lassen wir uns das doch auch sagen: Im Hause meines Vaters sind viele Wohnun- gen. Ich gehe hin, die Stätte für euch bereitzumachen. Das möchte uns allen Mut machen. Und das möchte uns allen heute wieder einmal etwas in Erinnerung rufen, was wir in der Hetze, der Mühsal oder auch der Freude des Lebens leicht vergessen: Das Leben erschöpft sich nicht in den 70 oder 80 Jahren zwischen Geburt und Tod. Es kommt von Gott, und er erhält es uns, und er nimmt es uns am Ende wie- der. Aber nicht, um uns dann für immer fallen und sterben zu lassen. Unser Weg in dieser Welt ist sinn- voll, er hat ein Ziel. Wir sind nicht dazu bestimmt, einmal ins Nichts zurückzukehren, sondern wir sind beschenkt mit einem Leben auf Gott, auf seine Ewigkeit hin. Gott wartet am Ende des Weges durch diese Welt auf uns - unsere Wohnung bei ihm wartet auf uns. Da denken wir jetzt wieder an E. H.. Und wir spüren, wie sehr gerade diese Worte um die ewige Woh- nung mit ihr zu tun haben und für sie passen: Haben wir nicht an ihr erlebt, wie sie sich in den letzten drei oder vier Jahren immer mehr aus dieser Welt zurückgezogen hat und immer intensiver in ihren Gedanken drüben war in Gottes neuer Welt? Auch die gewisse Hoffnung, daß da drüben eine Wohnung ist für alle, die sie im Laufe ihres Lebens hier hat schmerzlich verabschieden und vermissen müssen, hat ihr gewiß ge- holfen, hat sie getröstet. Sie wußte in ihrem Glauben, daß der Mann, die schon verstorbenen Enkel und Urenkel und all die anderen nun auf der anderen Seite des Lebens wohnen und zu Hause sind. Und - da bin ich ganz gewiß! - dieser Gedanke ist es auch gewesen, der ihr selbst zuletzt den Abschied und das Sterben leichter gemacht haben. Sie hat gewußt: Ich gehe - um Christi willen - aus dieser in eine ewige Wohnung. Dort ist mir schon eine Stätte bereitet. Dort werde ich auch endlich die wiedersehen, die ich hier geliebt habe und dort ewig lieben darf. Aber kehren wir zu uns zurück. Eine Frage ist jetzt sicher in uns allen groß geworden: Ist diese Wohnung bei Gott jedem Menschen bereitet? Ich zögere mit der Antwort, denn wir geraten hier an die Grenze des- sen, worüber ein Mensch reden kann, reden darf. Ich möchte auch hier nur das Wort Jesu sprechen las- sen: Ich gehe hin, die Stätte für euch bereitzumachen. "Für euch" - an wen richtet sich das - damals? Die Jünger waren gemeint, seine Vertrauten, Leute, die ihn liebhatten und als ihren Herrn bekannten, die an ihn glaubten. Und heute? Frage sich jeder, wer der Herr seines Lebens ist, auf was er sein Vertrauen setzt, woran er glaubt. Fragen wir uns das ehrlich und ohne Ausflüchte. Den Seinen, den Freunden, seinen Bekennern und Nachfolgern hat Jesus den Ort ewiger Freude bereitet. Die können getrost und guten Muts nach vorn blicken, mag da Leid kommen, mag da der Tod schrecken. Dahinter fallen wir in die of- fenen Hände des Vaters, um für immer in seiner Nähe zu sein. So geben wir jetzt E. H. in Gottes Hände. Sorgen wir uns nicht um sie, denn für sie ist jetzt gesorgt. Die- se Zuversicht wird uns helfen, unseren Schmerz über ihren Tod zu tragen und zu überwinden. Nutzen wir die Zeit, die uns bleibt, dazu, Vertrauen auf Gott und Glauben an Jesus Christus zu suchen und zu finden. Wer sich auf Gott verläßt und diesen Jesus Christus seinen Herrn nennt und auch wirklich sein läßt, der findet Ruhe, Gelassenheit und Erfüllung in dieser Welt - und er findet die gewisse Hoffnung, daß es nach dem Tod mit uns weitergeht - in der Wohneung, die Gott für uns bereithat...in Ewigkeit. Nicht nur für E. H., für uns alle hat Jesus das gesagt: Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Ich gehe hin, um die Stätte für euch bereitzumachen.