Ansprache zur Beerdigung - Plötzlicher Tod einer alten Frau Joh.6,68f Liebe Trauergemeinde, liebe Angehörige! Wie rasch ist das gegangen. Gerade noch, nur Minuten vorher, haben sie mit ihr gesprochen und hätten mit keinem Gedanken geglaubt, daß es letzte Worte sein könnten, die sie sprechen. Und jetzt sollen wir gar von J. D. für immer Abschied nehmen? Gewiß war das Alter da, wie wir sagen. Und erwarten mußten wir das auch schon lange. Aber dennoch hat uns ihr Tod jetzt so plötzlich getrof- fen. Es war keine Zeit mehr, ihr zu sagen, was wir ihr noch hätten sagen wollen: Wie lieb wir sie hatten. Wie schön es immer für uns war, daß sie da war, ein gutes Wort für uns hatte, einen freund- lichen Rat, eine Hilfe. Auch unser Dank, für alles, was sie uns immer gewesen ist, erreicht sie jetzt nicht mehr. Das tut weh. Und wieviel war sie für ihre Lieben! Wie sehr war sie immer Mittelpunkt ihrer Familie! Nicht in dem Sinn, daß sie hätte selbst wichtig sein wollen. Im Gegenteil. Aber ihr Denken kreiste ja nur um die anderen, die ihr nah waren. Sicher denken sie da jetzt an die Geburts- tage, die sie mit ihr feiern konnten, liebe Angehörige. Wie J. D. selbst - in ihrer bescheidenen Art - eigentlich gar nicht den Aufwand wollte, den so eine Feier halt bedeutet. Und sie denken daran, wie gern sie ihr doch diese Feste gestaltet und mit allen Mitgliedern ihrer großen Familie wahrgenommen haben. Konnten sie ihr doch so zeigen, was sie für sie empfanden. Und vielleicht kann ja gerade das jetzt doch auch trösten: Sie hat ganz gewiß gewußt, wie sehr sie alle an ihr hingen und wie gern sie sie hatten! Aber da ist dann auch wieder die andere Seite: Das alles soll jetzt nie mehr sein. Wirklich: Es tut weh. Der Tod hat genommen, woran unser Herz hing. Er hat grausam in unser Leben einge- griffen, und wir schauen jetzt aus nach einem Wort, einem Gedanken, der uns in der Trauer trösten kann. Wie gut und wie hilfreich kann das sein, wenn wir jetzt sehen, daß J. D. selbst ganz offensichtlich vorbereitet war auf die Stunde, die da am vergangenen Dienstag in der Nacht für sie kam. Für sie war es wohl nicht überraschend, nicht unerwartet, daß ihr Leben zuende gegangen ist. Geordnet hat sie ihre Sachen hinterlassen. Selbst der Text, den wir in dieser Stunde bedenken sollen, war lange schon in ihrer Bibel angestrichen. Und wir erinnern uns jetzt, daß sie ja auch schon in den letzten Jahren immer wieder einmal davon gesprochen hat, daß der Abschied wohl bald kommen wird und daß sie bereit ist. Wir wollten das dann vielleicht nicht hören, haben gedacht und gesagt, daß sie doch nicht davon sprechen soll, daß wir sie doch bestimmt noch lange bei uns haben dürfen... Jetzt aber ist es ein guter Trost das zu wissen: J. D. ist gern gegangen. Sie war gerichtet für den letzten Weg. Und - wenn wir jetzt noch den Vers hören, den sie für diese Stunde ausgesucht und gewidmet hat, verstehen wir auch ihre Gelassenheit. Wir lesen bei Johannes im 6. Kapitel: Da antwortete ihm Simon Petrus: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir ha- ben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes. Nun spricht hier zwar Petrus, aber sehr gut kann ich dieses Wort auch so hören, als hätte es unsere Verstorbene ausgesprochen: Herr, wohin soll ich gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Ich habe geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes. Und ich glaube fest, so hat sie das ge- meint, wenn sie gewollt hat, daß wir dieses Wort in dieser Stunde betrachten. Und ich verstehe das jetzt so und will es jetzt so sprechen lassen, als würde wirklich J. D. mit uns reden und sagte uns mit diesem Abschiedswort dies: Ich habe in meinen 86 Jahren viel erlebt, Gutes und weniger Gutes, Schönes und Schmerzliches. Ich habe Sinn gefunden in meiner Zeit, einen Inhalt und das Wissen, wofür ich da bin. Einen guten Mann durfte ich haben, Kinder, Enkel und Urenkel. Mir ist viel Liebe geschenkt worden - meine Tage wa- ren erfüllt und rund. Ich durfte ein langes Leben haben und immer recht gesund sein. Und wenn ich das alles sehe und den Ertrag meiner Lebensreise prüfe und messe, dann kann ich nur sagen: Ich ha- be immer wieder und mein Leben lang gespürt und erfahren, daß da einer im Hintergrund meiner Zeit wirkt und hält, trägt und führt, heilt und tröstet. Dieser eine hört Gebete! Er hat wahrhaftig nicht immer getan, was ich mir gewünscht habe, aber er ist bei allem mit dabei gewesen, was mir be- gegnet ist und hat tragen geholfen, was er mir aufgelegt hat. Dieser eine war schon in meiner Nähe, als ich in diese Welt getreten bin. Er hat mich durch meine Kindheit und Jugend begleitet. Er hat mich keinen Augenblick verlassen, solange ich in dieser Welt war. Und jetzt folge ich ihm dorthin, wohin er mir und allen Menschen vorausgegangen ist und wo er uns eine Stätte bereitet hat: ins ewi- ge Leben. Ich durfte ihn kennenlernen in den 86 Jahren meiner Zeit, diesen einen, deshalb kann ich so sprechen: Herr, wohin soll ich gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Ich habe geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes. Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde! Nun ist das ja gewiß nicht alles, was uns in den Sinn kommt, wenn wir dieses Wort hören, das uns die Verstorbene für diesen Abschied gewidmet hat. Sicher wollte J. D. nicht nur von sich und ihrem Leben mit diesem Wort Zeugnis geben. Sie hatte gewiß auch uns im Sinn dabei. Etwas anderes können wir uns auch kaum vorstellen bei ihr, als daß sie auch an uns gedacht hat, wie das immer ihre Art war, zuerst an die Mitmenschen in ihrer näheren und weiteren Umgebung zu denken. Sie konnte ja wirklich mitfühlen und mehr als das: auch mitlei- den! Wie ging ihr das nah, wenn einer aus der Familie vom Schicksal einen Schmerz zugefügt be- kam! Wie gern war sie bereit an der Lebenslast anderer mitzutragen, ja, sie hätte selbst alles gege- ben, um sie anderen zu ersparen, wenn sie es nur gekonnt hätte. Diese Frau jedenfalls, so wie sie war, hat sicher dieses Wort auch uns sagen und uns seinen Sinn einschärfen wollen: Als ein Ver- mächtnis, als eine Hilfe zum Leben, als ein Wort zum Beherzigen und um uns daran festzuhalten im Sturm und der Mühsal unserer Jahre. So möchte jetzt dieses Wort uns ansprechen, jeden und jede hier - und ich will dieses Wort auch jetzt ganz persönlich sprechen lassen: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes. Wenn wir dieses Wort nun recht hören, dann spüren wir: Es stellt Fragen. Es möchte uns den Blick schärfen für eine Wirklichkeit hinter der Oberfläche unseres alltäglichen Lebens. Und schließlich möchte es uns zu einer Entscheidung führen. Herr, wohin sollen wir gehen? Damit fragt uns dieses Wort: Wohin gehst du eigentlich in deinem Leben? Ist da noch der an deiner Seite, dem du - vielleicht zuletzt bei deiner Konfirmation - verspro- chen hast, daß du bei ihm bleiben wirst, ja, daß er "vorangehen soll auf der Lebensbahn..." Wenn es nicht so ist, nicht mehr...an ihm hat es nicht gelegen, denn er hält, was er verspricht, und er hat dir versprochen, dich niemals zu verlassen. Und wenn es nicht so ist, nicht mehr...dann fragt uns dieses Wort, ob wir unser Leben an dieser Stelle nicht ändern wollen. Denn er wartet ja auf uns. An jeder Lebensstation neu wartet er auf uns, um wieder neben uns zu gehen, wenn wir ihn nur lassen. Und dieses Wort will uns heute neu aufmerksam machen, daß es doch auch um etwas geht in diesem Leben, ach, nicht um etwas, um viel, um alles: Du hast Worte des ewigen Lebens. Und das spüren wir doch immer wieder und in dieser Zeit immer mehr, daß dieses Leben bei allem, was es uns bieten kann, nicht genügt, nicht satt macht, nicht die Erfüllung schenkt und nicht den Sinn, den wir brau- chen, um bei allem Schweren und allem Sinnlosen, das uns ja auch umgibt, doch fröhlich sein zu können. Ewiges Leben verheißt dieser Jesus Christus! Und das ist es, was wir ersehnen. Daß unsere Liebe nicht am Tod ein grausames Ende findet. Daß unsere Zeit und alles, was wir an Taten getan, an Treue gehalten und an uns selbst gewesen sind nicht der Vergänglichkeit anheim fällt und nicht dem Vergessen. Und hier ist er ja, der uns das verspricht und sich selbst dafür gibt und mit seinem Blut dafür einsteht, mit Leiden und Tod: Jesus Christus. Er hat Worte des Ewigen Lebens. Und er wird sie halten. Und schließlich fordert dieses Wort eine Entscheidung. Daß wir mit ihm auch sprechen und in unse- rem Leben danach tun: Wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes. Liebe Trauergemeinde, liebe Angehörige! Ich kann es mir nicht anders vorstellen, als hätte J. D. die- ses Wort auch so gemeint und auch aus diesem Grund für uns und diese Stunde ausgesucht. So war es ja immer ihr Wesen und ihre Art: An andere zu denken, für andere da zu sein. Darum glaube ich, wir können ihr Andenken nicht besser ehren und unsere Liebe zu ihr nicht besser deutlich machen, als daß wir heute und in der kommenden Zeit über diesem Wort nachdenken uns besinnen und die- sem Wort folgen: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes.