Aus dem dritten Band der Gedichte von Pfr. Schein: "In Eichendorf bei Pfr. Schein" Das letzte Werk hat's klargemacht: Scheins »Eichendorf« ist ausgedacht, ein Ort, in unserm Herzen drinnen, zu dem als Weg das Sich-Besinnen, die Einsicht und die Umkehr führt. Und doch - das hat man stets gespürt - es muß auch im realen Leben, wie »Eichendorf« ein Dörfchen geben, aus dem Herr Schein die Stoffe nimmt.- Jawohl, mein Leser, solches stimmt: Von »Nichts« kann alles das nicht kommen! Die Themen sind dem Dorf entnommen, in dem »Herr Schein« seit Jahren wohnt. Jedoch - und das wird hier betont - soll keiner von den andern Leuten nun auf die Eichendorfer deuten und sagen: »Seht sie euch nur an!« Du bist gemeint, Du, Frau und Mann, in Dörfern und den großen Städten! Wenn Eichendorfer etwas hätten, was ganz und gar verdammenswert und sie vor anderen entehrt, dann hätt' sich Schein, das dürft Ihr wissen, wohl eh'r die Feder abgebissen, als daß er etwas davon schreibt! Und doch, die Wahrheit ist und bleibt und ist aufs neue zu bekunden: Nichts, wirklich nichts ist rein erfunden und damit bloße Phantasie! Es geht um Wirklichkeit und wie wir Dinge, die im argen liegen, zum Guten und zum Besser'n kriegen, besonders - und das Feld ist weit! - in Sachen unsrer Christlichkeit. Eins dürft Ihr wissen unterdessen: Herr Schein tut Dienst in Oberhessen, doch bleibt sein Dorf hier ungenannt. Es ist Ideen-Lieferant und hat als solches nur zu dienen. Wenn's jemals Fälle gab, die schienen speziell aus Eichendorf zu sein, dann war's ein Irrtum, weil allein an Eichendorf ist nichts gerichtet. Was jemals Schein als Stoff verdichtet, ist immer aller Leser Fall, weil: Eichendorf ist überall! Pfarrer Schein als Kirchenkult-Verkäufer In einem von Herrn Scheins Gedichten war schon von Träumen zu berichten: * * gemeint ist das 20. Gedicht: Pfarrer Schein und seine Träume Was so ein Pfarrer nächtens sieht, wohin er träumend manchmal flieht, wie seine Wünsche Blüten treiben (und meist als Knospen steckenbleiben!), wie er sich nachts im Schlummer oft erfüllt, was er ersehnt und hofft, indem er - leider nur in Träumen! - erlebt, was Christen meist versäumen: Zum Beispiel: echte Christlichkeit in Dienst und Alltag, jederzeit und nicht nur, um sich aufzuputzen, vielmehr ganz ehrlich, frei von Nutzen und ohne Scheu und Heuchelei. Auch träumte Schein, der Kirchgang sei nach langen, schlimmen Hungerjahren jetzt dran, die Hoch-Zeit zu erfahren; doch wie gesagt, er träumte bloß! Der Morgen zeigte mitleidslos den Traum als Schaum, wenn Schein erwachte. Das Licht des hellen Tages machte die Wirklichkeit des Traumgesichts zu Spott und Trug, zu Null und Nichts. Doch um das Bild zurechtzurücken: Schein träumt auch Träume, die ihn drücken, ist manchmal schon in tiefster Nacht in Schweiß und Ängsten aufgewacht und litt an den entfachten Sorgen nicht selten bis zum nächsten Morgen. Und meistens war's der eine Traum: Schein sieht ein Bild: Ein großer Raum, den wir als Kirche leicht empfänden, doch mit Regalen an den Wänden und ohne Kanzel oder Bank . . . Dort hinten steht ein offner Schrank gefüllt mit moderigen Schwarten, den Kirchenbüchern aller Arten, und noch ein Kasten steht dabei, die Kirchgemeindeamtskartei. Da, weiter vorn, ein kleiner Tresen, »Hier Kasse«, kann man darauf lesen, und wenn du suchend weiterschweifst, mit Blicken die Regale streifst, dann wirst du auf denselben sehen, daß da geordnet »Dinge« stehen, für die die Kirche nötig ist: Wenn wer vom Tod betroffen ist, die Jubiläumsfeiern, Taufen und vieles mehr gibt's hier zu kaufen. - Das ganze ist, wir ahnen's schon, die Festbedarf-Verkaufsstation, wo alle Kasualien liegen: Hier kann man Pomp und Segen kriegen, Gebete, Sprüche aus der Schrift, wo immer dich ein Fall betrifft, sei's Trauung oder Konfirmieren, willst du den Lebenslauf verzieren, dann ist das hier der rechte Ort! Jetzt geht der Traum mit Handlung fort! Und Schein - er denkt, es kann nichts schaden - plant Euch dazu jetzt einzuladen. Sitzt ganz bequem: lehnt Euch zurück; folgt diesem Traum ein kleines Stück . . . Seht Ihr Herrn Schein? Ihr sollt erleben, wie er am Ort, der vorgegeben, jetzt selbst - wir haben's uns gedacht! - den Kirchenkult-Verkäufer macht. Er steht dort zwischen den Regalen und preist die Ware aus mit Zahlen, zum Beispiel »sechzig«, »hundertzehn« . . . Sind das Beträge, die da steh'n und die in Euro uns verpflichten, bestimmte Kosten zu entrichten? Nein, keineswegs. Der Leser irrt. Doch ist das Rätsel gleich entwirrt, denn eben sind - von Schein gebeten - die ersten Kunden eingetreten. Und irgendwie, das spürt man gleich, sind hier die Leute im Bereich, in dem sie selten nur verkehren. Der erste nennt jetzt sein Begehren: Er habe einen kleinen Sohn und taufen wollt' die Gattin schon; er selber käme, um zu fragen, wann, bitte, in den nächsten Tagen noch gute Tauftermine frei? Und weil man viel beschäftigt sei, da möge Schein doch einmal schauen - man habe grade durch das Bauen besonders sonntags zeitlich Not! - ob irgendwas »im Angebot«, naja, man müsse sich halt sputen, vielleicht so ... um die zehn Minuten? Herr Schein, er zögert nicht einmal, tritt gütig lächelnd ans Regal und sucht dort zwischen den Paketen. Ein Weilchen später - wie gebeten - legt er dem Kunden dreie hin: »Das Taufgespräch ist jeweils drin«, belehrt jetzt Schein den Kirchenkunden. »Bei dieser da gibt's zehn Sekunden, weil sie gebraucht ist, noch Rabatt! Und jene, weil sie Mängel hat, ist gar für ganze neun zu haben. Die letzte hier, sie stammt aus Gaben von Christen aus der Dritten Welt, ist schließlich, falls sie auch gefällt, rein gratis und umsonst zu machen! Ein Taufkleid, Fest und solche Sachen, die fallen da erst gar nicht an.« Wir sehen jetzt, wie jener Mann sich anschickt, eine auszuwählen. Er zögert lang (es wird ihn quälen!), dann sucht er sich die Dritte aus. Herr Schein holt den Kalender raus, um den Termin noch einzutragen: Jawohl, schon in den nächsten Tagen, gewiß, im kleinen Kreis zu dritt und, ja, Herr Schein bringt Wasser mit! Kaum ist der Kunde froh gegangen, erscheint, mit anderem Verlangen, in Schwarz gekleidet, eine Frau: Es sei, Schein kenne ihn genau, der Opa Meier heut' verschieden, zwar überraschend, doch in Frieden, im hunderteinten Lebensjahr. (Schein überlegt, wer »Meier« war, doch seine Miene läßt nichts merken. Auch zählt's nun einmal zu den Stärken des Kult-Verkäufers, wenn er schweigt, nur stille Anteilnahme zeigt, um sich ansonsten zu enthalten. Die rügend, fragend sich entfalten, verderben nur das Kult-Geschäft! Schnell ist ein Kunde arg verkläfft, der Konkurrenz ins Netz getrieben!) Im Testament sei aufgeschrieben, so fährt die Frau in Schwarz jetzt fort, der Opa wünsche sich als Wort, an seinem Grabe auszulegen, aus Mose eins: »Du sollst ein Segen für alle deine Nächsten sein!« Auch wünschte er, daß Pfarrer Schein an seinem Sarge lang verweile, von seinem Grabe nicht enteile, bevor die dritte Stunde voll. Er habe schließlich dieses Soll auch selbst erbracht - in hundert Jahren! Auch soll man ihn zum Grab nicht fahren, weil er das Fahren nie vertrug. Herr Schein indessen weiß genug, um jetzt ins Sortiment zu greifen . . . (Er tut's mit der entsprechend steifen Bewegung, die dem Fall entspricht.) Schon hat er was! Er zögert nicht, jetzt »seine beste« auszubreiten, die »Extra-Gala«, vierzehn Seiten Beschreibung schon im Kult-Prospekt! Herr Schein erklärt: »Das >Extra< steckt grad hier im Individuellen. Sie ist - wie keine! - einzustellen auf den gewünschten Zeitbedarf. Daneben ist die >Gala< scharf, ja, aufs genau'ste ausgemessen. Sie paßt sich allen Interessen nach Wort und Würde bestens an. Die Träger - vier bis zwanzig Mann - - natürlich ohne Leichenwagen! - sind hier noch da, den Sarg zu tragen, wie's schon der Name >Träger< zeigt. Wenn sich die erste Stunde neigt, ist einmal grad der Ort umschritten. Gemäß Herrn Meiers letzten Bitten, mit Wort und Segen noch dabei, ergeben sich am Ende zwei mal zehn Minuten, plus drei Runden, macht summa: dreieindrittel Stunden. Ist das für Opa Meier recht?« Die Frau in Schwarz, sie staunt nicht schlecht, wie rasch sie hier das rechte findet. Herr Pfarrer Schein inzwischen bindet die »Extra-Gala« zum Paket. Weil »Sterben« nur auf Barkauf geht, möcht' Schein, wenn's recht ist, gleich kassieren: »Drei Runden um das Dorf marschieren, mit Wort und Segen inklusiv, macht ganz genau und laut Tarif grad zweimal hundert Kult-Minuten!« Ob's Pfarrer Schein wohl zuzumuten, wenn man's am Sonntagmorgen macht, fragt jetzt die Frau, schon kurz vor acht? Man könne dann, das würde passen, die Träger gegen elf entlassen, damit sie vor dem Leichenmahl in Opa Meiers Stammlokal noch zwei, drei kühle Schoppen tränken. - Wer wird denn Trauerleute kränken? So gibt Herr Schein auch das noch zu! Die Frau bezahlt und hat im Nu (bei »Kirchens« wirst du nicht betrogen!), noch etwas Skonto abgezogen. Die dritte Kundschaft ist ein Paar: Man möchte vor dem Traualtar demnächst des »Höchsten Segen kriegen«, und frage, wie die Dinge liegen, vor allem, was die Zeit betrifft. Es sei halt so: Das mit der »Schrift, mit Lesung, Predigt, diesen Dingen und auch der Orgel und dem Singen«, das spare man »für diesmal« aus. Man esse gegen eins zuhaus und habe »um die achtzig Gäste«! »Fünf Gänge« gäb's und nur das Beste, das brauche schon ein Weilchen Zeit! Doch wär' man gegen drei soweit, dann in der Kirche »reinzuschauen«. Bis dreiuhrfünfzehn war' das Trauen ja sicher »fertig«, denn »so wild« wär' das ja nicht. Das Gruppenbild ist wie geplant dann ohne Hasten noch »locker« vorm Kaffee »im Kasten«, der wär' bestellt für halber vier. Nun, meint die Braut, sei man heut' hier, die Viertelstunde zu besorgen - ein wenig knapp - für übermorgen, doch stünde erst seit gestern fest, daß man sich kirchlich trauen läßt, darum sei's eher nicht gegangen. - Soweit für heut' mit diesem langen und bangen Traum, der in der Nacht Herrn Schein schon häufig Angst gemacht. Als Frage blieb bei Tageslicht, ob dieses Traumes Schreckgesicht nicht längst der Pfarrer Tag begleitet??? Ihr seht, nicht jeder Traum bereitet nur Freude, mancher tiefe Pein! Ob Ihr's versteht? Es grüßt Euch Schein!