Aus dem zweiten Band der Gedichte von Pfr. Schein: "Neues von Pfarrer Schein" 18. Folge: Das »Opus achtzehn« von Herrn Schein soll heute wieder praktisch sein. Es handelt drin von solchen Dingen, die wohl recht unbedeutend klingen, doch dies nicht sind, denn das Gewicht von einem Ding ist niemals nicht allein, wie schwer es dir erscheint! Vielmehr - du staunst! - dein Nächster meint, daß ihm von solch »geringem Dinge« das Leben oder Glück abhinge, und du begreifst, fällt dir's auch schwer: Lapalien zählen manchmal mehr für andre, als du je gedacht. Ein kleiner Wink, ein Wörtlein macht mit einemal, ob etwas wichtig, ob du und deine Rede richtig, ob sich dein Mitmensch an dir stört, ob er sich über dich empört, ob Argumente überzeugen und inn're Widerstände beugen, in einem Satz: Ob dir's gelingt, daß, was du willst, auch weiter dringt, als zu den Augen oder Ohren. Ein Wort zuviel - du hast verloren! Ein Wink zu wenig - es ist aus! Mal so, mal so, man lerne draus, die kleinen Dinge ernst zu nehmen, die hinter größeren Problemen oft als des Übels Wurzel stehn. Wie schnell ist etwas übersehn! Wie rasch ging irgendwas vergessen! Was draus entsteht, wer kann's ermessen, zumal man's selber oft nicht sieht, was eignes Tun für Kreise zieht. So gilt's in vielen Seinsbereichen: in »Kirche« und »der Welt« desgleichen, wo immer wer mit wem verkehrt, ist dieses der Beachtung wert: Es kann an kleinen Dingen liegen; schon Worte können Zentner wiegen! Jedoch, was Schein bis hier und jetzt dem Leser auseinandersetzt, ist immer nur die eine Seite der Sache, hier kommt jetzt die zweite: Wie nämlich Fehler menschlich sind und manche ungeschickt und blind und stets mit »Pauken und Trompeten« in wirklich jeden Fettnapf treten, so gibt es andre andrerseits, für die liegt der besond're Reiz darin, auf Fehler dieser Arten in »Kirche« oder »Welt« zu warten. Selbst tun sie hier wie da nicht viel, man treibt im Untergrund sein Spiel, denn - weiß man doch - sich einzusetzen, birgt die Gefahr, sich zu verletzen, was lieber man, so steht es fest, den »Fettnapf-Tretern« überläßt; die mögen schaffen, reden, rennen, sich Hand und Mund dabei verbrennen: »Klug ist, wer selbst im Dunkeln bleibt«, sich als Voyeur die Hände reibt, um Fehler, die die andern machten, dann hämisch lachend auszuschlachten. Doch nicht zur Häme nur allein! Hier kommt was andres noch hinein, denn solcher Fehler Kleinigkeiten sind oft - wer könnte es bestreiten? - dann wieder Grund für sie und ihn, aus Arbeit sich zurückzuziehn und »Welt« und »Kirche« fernzubleiben, für sich das Eigene zu treiben. Wobei hier »Arbeit« alles ist, was sie und er als Mensch und Christ an Fähigkeiten und an Gaben für andere zu geben haben. Man drückt sich lieber und verschmäht in gänzlicher Passivität - wär's nicht so traurig, müßt' man lachen - auch nur den Finger krumm zu machen. Für heute möchte dies Gedicht - zunächst in weltlich-enger Sicht - des Lesers Blicke und sein Denken in Richtung »kleiner Dinge« lenken, um an Lapalien ganz konkret zu zeigen, wie das denn so geht, wenn Menschen »Gründe« finden wollen, die jedermann erklären sollen, warum man »ganz berechtigt« grollt, vor Arbeit flieht, sich drückt und schmollt. »Pfarrer Schein und die »kleinen Dinge« So hört, wie wirklich »kleine Sachen« lang und gewaltig Wirkung machen. Wobei, was ihr gleich deutlich seht, in krassem Mißverhältnis steht, wie sich die Folgen offenbaren und was die Hintergründe waren, die zu den Folgen hingeführt. Ein erster solcher »Fall« berührt die Welt im Dorf, sein Treiben, Weben und sein - ein wenig enges - Leben, wie es im Denken und auch meist in Herzenssachen sich erweist. (Die »Enge«, das ist klarzustellen, liegt nicht im Intellektuellen. Es hapert also auf dem Land in keiner Weise am Verstand! Vielmehr beschränken die Gedanken in der Provinz ganz andre Schranken und die sind härter noch als Holz; sie heißen »Ehre«, heißen »Stolz« und sind, das bleibt noch zu beweisen, so dauerhaft und fest wie Eisen und haben mit - ich zeig' es nun - den »kleinen Dingen« viel zu tun!) Laßt mich den ersten Fall entfalten. Gesetzt: Es ist ein Fest zu halten, gesetzt auch: vom Gesangverein, gesetzt als drittes: Pfarrer Schein sitzt wie so oft bei solchen Festen am Tisch bei vielen Ehrengästen... Man wartet, daß es gleich beginnt, sich Feier und Programm entspinnt; auch wartet man, das ist zu fühlen, - gerade auf den Ehrenstühlen! - daß einer, der die Gäste kennt, sie nun begrüßt, die Namen nennt, Beruf, Verdienste und dergleichen, um endlich noch herauszustreichen, wie »schwer es diesem Ehrengast gefallen ist«, ja, »welche Last« es ihm, dem »hohen Gast« bedeute, hier »beizuwohnen grade heute«, wo doch, »ihr Leute, wie ihr wißt, der Mann so stark beschäftigt ist!« (Man ahnt, wie das den Gästen schmeichelt, wenn einer so ihr Ego streichelt! Da fängt ein Abend richtig an, wenn man in Rühmen baden kann!) Zurück zum Fall jetzt im konkreten: Wir sehen den nach vorne treten, der den Verein gerade führt. (Gleich wird er, wie es sich gebührt und wie es immer schon gewesen, der Ehrengäste Namen lesen, die er, daß jeder einzeln glänzt, mit Zusatzdaten dann ergänzt, die von den Gästen - wie bescheiden, als könne man den Ruhm nicht leiden! - mit Augen-Senken registriert und einem Lächeln, leicht geziert.) Der Redner will das Wort ergreifen. Applaus lebt auf, vereinzelt Pfeifen; der Redner räuspert sich und spricht: »Ihr Leute, laßt mich heute nicht wie sonst in diesen Abend leiten. Wir wollen euch ein Fest bereiten, das einmal anders als bisher: Kein Vorgeplänkel, darum mehr Programm, das heißt mehr Tanz und Singen, auch heißt es jetzt, vor allen Dingen, daß ich zuende kommen muß. Nur eines noch - ganz kurz - zum Schluß: Die Gäste, die wir alle kennen, will ich heut' nicht gesondert nennen; ich grüße groß und klein pauschal, am Ehrentisch und rings im Saal und sag' es euch und sag' es allen: Laßt diesen Abend euch gefallen!« Dann geht der Redner wieder ab. Schein denkt sich: Das war kurz und knapp, so müßt' es künftig immer gehen! Doch in den Mienen kann er sehen, dort macht sich langsam Ärger breit, ja Groll und Unzufriedenheit! Es will jetzt gar dem Pfarrer scheinen, daß manche Ehrengäste meinen, das könne doch wohl ernst nicht sein; ein zweiter Redner spränge ein, um noch die Ehrung nachzuholen. Manch hoher Gast blickt jetzt verstohlen zum Podium hin, wo sich nichts rührt. Der Dirigent indessen führt die Sänger und die Sängerinnen nach oben; jetzt wird's gleich beginnen! Inzwischen - unten - sieht man gut, was weiter sich in Mienen tut (denn viel vom Denken und vom Wesen läßt sich schon in Gesichtern lesen!): Ein erster Ehrengast beschließt, weil die Mißachtung ihn verdrießt, sich abzuwenden vom Gesange und dem Verein - und zwar für lange! Ein zweiter hegt in seinem Sinn: »Hier kriegt mich keiner wieder hin! Na, und der Vorstand wird sich freuen! Wenn die sich jetzt schon nicht mehr scheuen, uns dem gemeinen Volke gleich zu achten, ist das folgenreich! Ich werde künftig meine Spenden für Sport und Feuerwehr verwenden!« Ein dritter (und das länger schon!) zürnt ganz im Innern der Person des Redners. (Jener hat vor Jahren, als beide noch auf Brautschau waren, dem Gast - was jedermann bekannt - die Fast-Verlobte ausgespannt.) So will das Ehrungsunterlassen besagtem dritten grade passen. Er schreibt's dem Redner selber zu und wird - im Dorf geht das im Nu! - es morgen ohne Zeitverlieren - stark übertrieben! - kolportieren. So also, lächerlich, gering, ist das gemeinte »kleine Ding«: »Begrüßung - einmal ungewöhnlich«, man nimmt es krumm, zum Teil persönlich. Was sicher nett und gut gedacht, wird zum Verbrechen aufgemacht; durch enges Denken groß gediehen, genügt's, Affären draus zu ziehen! Der zweite Fall ist arg banal, doch sicher häufig! (Ohne Zahl sind halt nunmal die Kleinigkeiten, die täglichen Gelegenheiten, daß wir uns - auch einmal mit Lust, jedoch viel öfter unbewußt - zu Zorn und Ärger Anlaß geben. Doch denk' ich, und das ist es eben, es müsse, ist der Anlaß klein, der Ärger wegzustecken sein, zumindest etwas aufzuschieben, bis das, was uns in Zorn getrieben, als völlig harmlos sich erweist, und harmlos ist es wohl auch meist!) Ich will von Scheins Erleben schreiben und doch im allgemeinen bleiben: Man denke sich, es fällt nicht schwer, man hat im kleinen Dorfverkehr wen zu besuchen, was zu kaufen, muß diesen Weg >per pedes< laufen und hat, weil die Besorgung eilt, heut' nicht die Zeit, daß man verweilt, um mehr als »Guten Tag« zu sagen, das »Erntewetter« zu beklagen und was der Themen mehr noch sind. Du willst nur eins, und zwar geschwind das tun, was du dir vorgenommen, um schnellstens wieder heimzukommen; mit einem Worte: es pressiert. Nun wirst du - und das garantiert! - an jeder Ecke einen sehen, in jeder Tür wird einer stehen und eine sitzt vor jedem Haus und eine schaut zum Fenster raus und jeder winkt und alle grüßen, - du aber eilst auf raschen Füßen, denn du hast gar so wenig Zeit und weißt, du kommst dann nicht mehr weit, beginnst du erst mit Tratsch und Reden; so also kränkst du lieber jeden! Denn dieses ist genau der »Fall«: Bist du nicht willens, überall und jederzeit dich aufzuhalten (empfindlich sind hier grad die Alten!), dann kränkst du - und das dauerhaft - die Menschen deiner Nachbarschaft und wirst für lange den Verprellten als »Stoffel« und als »wortkarg« gelten; wobei der Anlaß hier ganz klar - aus deiner Sicht! - entschuldbar war. Die Mücke wird in der bekannten, beliebten Art zum Elefanten! Den dritten Fall noch zu ergänzen, sprengt meiner Leser feste Grenzen, was Hirnarbeit an Wort und Schrift - zumal mit tief'rem Sinn - betrifft. Dann fehlt nicht viel und mir geriete der Fall zum »Anlaß« und ich biete euch selbst für Groll und Ärger Grund; - da halt' ich lieber meinen Mund! Nur eines ist noch anzusagen: Beim nächsten Mal wird übertragen; von »Welt« geh' ich auf »Kirche« ein. Bis dahin also! Pfarrer Schein.