Aus dem zweiten Band der Gedichte von Pfr. Schein: "Neues von Pfarrer Schein" 14. Folge: Das "Opus vierzehn" kommt sofort. Zuvor nur noch dies eine Wort: Schein wohnt (leicht geht es sonst vergessen!) in Eichen-dorf in Oberhessen. Dort auf dem Land, das weiß man auch, gibt's noch so manchen alten Brauch: Der Kinder "0stereiersuchen", die Sache mit dem "Hochzeitskuchen", den montags vor dem großen Tag die Leute, die das Brautpaar mag, als "Ladung" überbracht bekommen, und wird der Kuchen angenommen, nimmt man auch von den Leuten an, daß man mit ihnen rechnen kann, als Gast der Trauungsfestlichkeiten. - Ein schöner Brauch; wer will's bestreiten? (Herr Schein bestimmt nicht, daß ihr's wißt! Zumal er gerne Kuchen ißt. Auch läßt er sich, das kann nichts schaden, recht gern mit Hochzeitskuchen laden, jedoch - da er die Trauung hält - käm' er gewiß auch unbestellt! Dies aber bittet Schein einstweilen, den Paaren ja nicht mitzuteilen!) Ein weit'rer Brauch ist auch recht alt, doch droht die einstige Gestalt der ehemals so schönen Sitte jetzt zu verkommen. Darum bitte ich euch zuvor, dies Schein-Gedicht - wie manches andre - heute nicht allein als Zeitvertreib zu sehen; ihr sollt's als Denkanstoß verstehen! "Pfarrer Schein und der Polterabend" Zunächst - eh's richtig dann beginnt - ist's gut, wenn man sich kurz besinnt: Man glaubt es kaum, wie noch vor Jahren die Sitten so gesittet waren Der "Polterabend" früh'rer Zeit bot - kurz gesagt - Gelegenheit, dem Paar mit Prosten und mit Singen, die besten Wünsche darzubringen. Dafür gab dann das Paar vorm Haus ein Bier und einen Korn auch aus. Auch wurde damals - wie wir wissen - schon etwas Porzellan zerschmissen, was Irdenes und was aus Ton, so zwei bis drei Gefäße schon, drei Teller und vier alte Tassen, halt "etwas" nur und nie in Massen, wobei - weil's heut' ganz anders liegt - grad dieses "Etwas" etwas wiegt: Es ging - vor Jahren noch - den Leuten darum, weil "Scherben" "Glück" bedeuten, das junge Paar mit einem Stück (symbolisch nur) von diesem "Glück" in Form von "Scherben" zu beschenken. (Auch stand im Hintergrund das Denken, daß Bräutigam und junge Braut, solange sie noch nicht getraut, sich für einander aufbewahrten und bis zum Polterabend "sparten"; so "brach" hier wohl auch zeichenhaft der jungen Menschen Jungfernschaft.) Auf jeden Fall, es ging vor Zeiten um "Etwas" nur, um Kleinigkeiten, um Gesten, Zeichen, ein Symbol der guten Wünsche für das Wohl der beiden jungen Hochzeitsleute. - Wie ist das doch so anders heute! So folgt mir jetzt - gewiß wird's hart! - in dieses Brauches Gegenwart; wobei ich "folgt mir" wörtlich meine: Wir nehmen an, Herr Schein erscheine gerade jetzt bei einem Paar zum "Poltern". Freilich, das ist klar, er kann kein schwarzes Dienstkleid tragen, vielmehr er kommt mit off'nem Kragen, wie man so sagt "inkognito" und daher, ohne Risiko, daß ihn des Paares Gäste kennen. (Auch soll ihn keiner "Pfarrer" nennen, weil das - wie doch Erziehung prägt! - verändernd auf die Stimmung schlägt und so etwas wird schwer gelitten!) So darf ich jetzt die Leser bitten, denn eben tritt Herr Pfarrer Schein als "Polter-Gast" zur Tür herein. Er reiht sich ein in eine lange, gewund'ne Gratulanten-Schlange, trägt heute "Grün", ist ganz zivil und sehr gespannt aufs "Polter-Spiel", wofür, um dann auch mitzuhalten, er ausgestattet ist mit alten kaputten Tassen, arg zerkratzt, teils sind die Henkel abgeplatzt, zum Teil mit häßlich braunen Placken, mit vielen Sprüngen und mit Macken, zum Trinkgebrauch schon lang zu schlecht, jedoch zum Poltern grade recht! So sehn wir Schein jetzt gratulieren, ein Sträußlein Rosen präsentieren, wonach - er wird nicht mehr gebraucht - er in den Massen untertaucht, die, um hier Korn und Bier zu heben, den Garten, Haus und Hof beleben. Ja, "Massen" ist das rechte Wort, denn gut und gern der ganze Ort und die aus der Umgebung stammen, sind lärmend, zechend hier zusammen. Das dreht sich, drückt sich, wogt und wallt, das lallt und lacht, das heult und hallt, ein großes Trinken, Treiben, Dröhnen, ein Meer aus Tosen und aus Tönen, und mittendrin - versinkend fast - ein kleiner, grüner Poltergast, ein Stücklein "Treibgut" auf den Wogen. - So wird Herr Schein jetzt fortgezogen, wie "Holz", das auf den Wellen schwimmt, ein "Kork", den sich die Brandung nimmt, mit ihm zu tanzen und zu spielen... bis endlich er mit andern vielen in dieses "Meeres" Sog gelangt, der ihn jetzt faßt. Der Pfarrer bangt, er könne doch nun untergehen und niemals mehr ein "Ufer" sehen, da wird er an ein Faß gespült, man reicht ein Bier ihm - gut gekühlt - und grade will er "Danke" sagen, schon wird er weiter fortgetragen von dieser Strömung Urgewalt. Ein Schnaps markiert den nächsten Halt, doch ist an Trinken nicht zu denken, hier hilft kein Wehren und kein Lenken, denn weiter drängt der Menschenschwall, um schließlich - als ein "Wasserfall" - sich in den Garten zu ergießen und nun gemächlich hinzufließen zum großen, bunten Menschenteich, in dessen Mitte inselgleich, bedeckt mit Speisen aller Sorten - von Frikadellen bis zu Torten - die zwanzig (!) Imbiß-Tische stehn, um die sich Menschenstrudel drehn, wo manche sich - jetzt fallen Hüllen! - wie "Wilde" ihre Teller füllen. Herr Schein indes (von Scham gehemmt) wird Richtung "Ufer" fortgeschwemmt, wo er jetzt - fern vom Imbiß - strandet und nah der Gartenmauer landet. Dort stehen schon, er schaut sich um, diverse "lmbiß"-Esser rum. Man schmatzt; es schmeckt ganz augenfällig! Herr Schein, als Pfarrer recht gesellig, spricht die Genießer gleich auch an: "Sind Sie dem jungen Ehemann zu Ehren hier? Sind Sie Verwandte der jungen Braut? Vielleicht Bekannte, die beiden wohl befreundet sind?" Die Antwort kommt nicht so geschwind, weil die Befragten eifrig kauen und Speisen Ton und Stimme stauen. Doch einer schließlich prustet, spuckt, dann würgt er dreimal bis er schluckt; der Mund ist leer, es ist soweit, der junge Mensch ist sprechbereit: "Sie fragen uns da schöne Sachen, ob wir hier 'in Verwandtschaft machen', ob wir 'befreundet' oder was, - die Antwort ist: uns reizt der Spaß! Hier kann man Bier in Strömen kriegen und schlemmen, daß sich Tische biegen; dazu wird man heut' nicht nur bloß den Hunger, auch den Plunder los, - der liegt zu spät'rem Polter-Zwecke in einem Wagen um die Ecke - auch paßt das heut' grad wunderbar, weil lange Zeit kein 'Sperrmüll' war, und hier, den Glückwunsch auf den Lippen, ist dir's erlaubt, ihn abzukippen! Nein, wirklich, diese Polter-Nacht ist etwas, was uns Freude macht: Du wirst bewirtet bis zum Morgen, kannst dich von deinem Schrott entsorgen, auch herrscht hier massenhaft Betrieb, das ist dir grad als Fremder lieb, mußt von den Leuten niemand kennen, weißt nicht einmal, wie die sich nennen, von denen du dich füttern läßt! - Drum: dreimal Hoch aufs Polterfest und auf die Dinge, die wir mögen, das Feiern an gefüllten Trögen, auf diesen schönen, alten Brauch und dann - naja - aufs Brautpaar auch." Dem Pfarrer - Wahrheit macht betroffen - stehn lang noch Mund und Augen offen. So also sieht es wirklich aus: Auch Fremde füllen hier das Haus, den Hof, den Garten - und in Massen! Schein schweigt und staunt und kann's nicht fassen, doch bleibt zum Staunen wenig Zeit, denn eben grade ist's soweit, man hört die ersten Polter-Sachen vom Hof her bersten und zerkrachen, und Schein, er kam ja, bitte sehr, auch selbst zum Polterzwecke her, bahnt hofwärts sich jetzt, trotz der Enge, den Durchgang durch die Menschenmenge. Jetzt steht er da, schaut und erkennt, was diese Zeit heut' "Poltern" nennt: Die Fracht von zirka fünfzehn Wagen wird volkreich da herbeigetragen und bergeweise liegt sie schon. Von wegen "Porzellan" und "Ton"! Herr Schein sieht alte Autoreifen, Konfetti und Computer-Streifen, Kotflügel, siebzehn an der Zahl, sogar ein altes Urinal (!), Bauschutt und elf zerbeulte Kannen, Waschbecken und gar Badewannen, und immer noch ist lange nicht des Polter-Treibens Schluß in Sicht. Nein, jetzt, die Masse jauchzt und zittert, wird ein TV-Gerät zersplittert und Stücke zischen durch die Luft. Kaum ist die Explosion verpufft, da kommen die herangefahren, die vorhin auch im Garten waren, die Fremden, wie sie Schein erklärt. Und grade jener "Fresser" fährt den Hänger, ohne Halt und Säumen, zum Hof hinein. Statt abzuräumen wird leicht ein Schalter angetippt und mittels Öldruck abgekippt. Jetzt sieht man Schein - mit Grausen - gehn. Er hat für heut' genug gesehn, genug "gepoltert" und erlebt. Und jetzt, wie er so heimwärts strebt, strebt auch der Sinn und die Gedanken, die sich um diesen Abend ranken: Wie sah man heute doch in Mengen zum Poltern sich die Leute drängen; und wer begleitet Mann und Braut, wenn Schein sie in der Kirche traut? - Setzt wohl nur er hier beim Vergleichen ein großes, dickes Fragezeichen? Und dann hängt alles, was geschieht - wie man's am Beispiel "Poltern" sieht - nicht ab von dem, was wir bereiten?! Dient also nicht - wer will's bestreiten? - das Speisen-Angebot und wohl (wie meist!) der viele Alkohol dazu, den Wahn noch anzufeuern?! Schein meint, hier hilft nur Gegen-Steuern!: Zurück zum Poltern früh'rer Zeit, als Angebot und Möglichkeit, dem Paar mit Prosten und mit Singen, die besten Wünsche darzubringen. Ein Bier, ein Korn, doch dann ist Schluß, weil man die Grenzen achten muß. Das wird des Paares Nerven schonen, weil weite Fahrten sich nicht lohnen, man bleibt - mit Freunden! - unter sich und mit der Zeit wird hoffentlich die gute Sitte wiederkehren: Ein Glückwunsch und ein Hoch zu Ehren des Bräutigams und seiner Braut. Doch maßvoll, ehrlich und nicht laut, wobei uns alle leiten sollte, wie man es selber haben wollte. Gewiß, man darf's auch dann noch wagen zu poltern, etwas zu zerschlagen, doch, wie gesagt, halt "etwas" nur, das übrige der Müllabfuhr, die ist auf sowas eingerichtet. Ich hab' für heut' genug gedichtet. Auch hab' ich jetzt nicht länger Frist, weil wieder Polterabend ist. Auch stehn im Schrank - heut' wird es passen! - seit letztem Mal die alten Tassen! Wird's heute wohl schon besser sein? Na hoffentlich! Es grüßt euch Schein.