Aus dem zweiten Band der Gedichte von Pfr. Schein: "Neues von Pfarrer Schein" 12. Folge: Es gab ein wenig Zeit zum Dichten, hier ist die zwölfte der Geschichten. In dem gereimten Inhalt gehts um »Schein« und »Eichendorf«, wie stets. Doch liegt die Sache, will mir scheinen, mal heute mehr im Allgemeinen. Das heißt: Es geht um Dorf und Stadt, um etwas, was man nötig hat, will man sein Leben dieserzeiten als Mensch, zumal als »Christ« bestreiten und das wolln, glaubt man der Kartei, fast alle noch, ganz einerlei, ob sie in Land-, in Stadtregionen, in Eichendorf, in Frankfurt wohnen und wo noch sonst in dieser Welt. Jedoch die Wirklichkeit entstellt dies Bild. Man möge mir verzeihen, doch sind mir »Christen in Karteien« wie ein »Organ in Spiritus«, wie eine »innen taube Nuß«: Von außen schön, doch nicht lebendig, tot, hohl und leer nur innenwendig, drum etwas, was mein Mißtraun weckt, ein »Blanko-Scheck« - meist ungedeckt! Was nämlich »Christen«, ziemlich allen, die laut Kartei darauf entfallen, ermangelt, ist ganz einfach das: Ihr Lebenswandel hält nicht, was ein Christ auch praktizieren sollte. - Das war es, was ich sagen wollte, bevor ich wieder ganz konkret (- und so gefällig wies halt geht) hinüber in die Praxis leite. Es folgt von Serie »Zwei« das zweite Gedicht. Es trägt als Überschrift was heute Land und Stadt betrifft!): »Pfarrer Schein und das gelebte Christentum« Drei »Fälle« habe ich gewählt. Sie sind von »Eichen-dorf« erzählt, doch leicht nach -stadt zu übertragen. Und - wohl berechtigt! - muß man fragen, wirds, geht im Dorf schon Stück um Stück »gelebtes Christentum« zurück, in Städten nicht noch schlimmer sein? Ein erster Fall: Wir folgen Schein, wenn der heut, daß sie nicht erkaltet, der Jugend Christlichkeit entfaltet im Konfirmandenunterricht. Der ist - gottlob! - noch allen Pflicht und damit zwingende Bedingung für alle, dienlich zur Erringung von Geld und Gaben dann am Schluß, wenn Schein sie konfirmieren muß, um sie als »Christen« zu entlassen; (»entlassen« darf man wörtlich fassen!) Doch das ist lang noch nicht soweit; vielmehr heut scheinen lernbereit die Jungs und Mädchen in der Runde. Der Pfarrer plant für diese Stunde, daß jeder Konfirmand erfährt von »Liebe, die uns Gott gewährt« und die wir dann - als Christen eben an unsre Nächsten weitergeben. (Zumindest weitergeben solln und können auch, wenn wir nur wolln!) Um es mit einem Wort zu nennen: Was wir als »Nächstenliebe« kennen, stellt heut des Pfarrers Thema dar. Und es kommt an, ganz offenbar! Liegts an der Unterrichtsgestaltung? Gefällt heut seine Stoffentfaltung? Die jungen Leute sind gebannt, verfolgen alles sehr gespannt, ganz ohne Mucks und ohne Stören, sind aufmerksam und möchten hören, was Schein von dieser »Liebe« weiß. Auch meldet man sich rings im Kreis, denkt mit, gibt Antwort auf die Fragen, zum Beispiel jetzt: Sie sollen sagen, wie, dieser Nächstenliebe voll, ein Mensch tagtäglich leben soll, gesetzt, er will sich auch bequemen, die Sache christlich-ernst zu nehmen. Ein Junge meldet sich und spricht: Es sei die Liebe »jedem Pflicht«, der des »Herrn Jesu Namen« trage. Ihm sei es »lang schon eine Frage«, warum »die Welt so voller Haß«, er wisse »nur das eine«, daß die Christen »diesen guten Namen« als »Liebes-Auftrag« mitbekamen, ein »Heide, wer ihn anders führt! Der Junge schweigt. Schein ist gerührt. Wie tief sind hier schon die Gedanken, die sich um »Nächstenliebe« ranken! Wie rein, wie innerlich und echt! Kennt Schein die Jugend denn so schlecht? Steht er da heute gar am Ende an einer neuen Zeitenwende, wo »Glaube« wieder Raum gewinnt und »neue Christlichkeit« beginnt? Da sieht er weitres Fingerheben. »Man muß die Nächstenliebe leben«, spricht treffend jetzt ein zweiter aus, »ob unter andern, ob zu Haus, ein Christ soll allen liebend dienen!« Man nickt im Kreis mit frommen Mienen. Dem Pfarrer fehlt nun jedes Wort. Man meldet sich noch hier und dort, um dies und jenes zu ergänzen und zu erhöhn das helle Glänzen, das über dieser Stunde liegt. »Fürwahr«, träumt Schein, »die Liebe siegt, wofür ich Zeuge heut gewesen!« Zum Schluß wird noch ein Psalm gelesen, worauf Herr Schein die Stunde schließt, (- was ihn zum ersten Mal verdrießt!) damit die Mädchen und die Knaben noch etwas von dem Abend haben. Der Pfarrer mit beglücktem Sinn tritt augenfeucht zum Fenster hin, um, wenn sie jetzt nach Hause gehen, den frommen Kindern nachzusehen... Doch sind sie das, die er da sieht? Kann das denn sein? Ein Knabe kniet auf einem andern, ja, sie schlagen und beißen, zerren sich am Kragen, und jetzt, als sie die Köpfe drehn, kann es Herr Schein ganz deutlich sehn: Da balgen, ziehn sich an den Haaren, die zwei, die heut so eifrig waren und von der »Liebe« viel gewußt. Der Pfarrer staunt und denkt: Du mußt jetzt schnell nach draußen, mußt dazwischen, bevor sich diese heuchlerischen, maul-frommen Knaben dort im Dreck noch selbst zerfleischen. Doch - oh Schreck! - (- die Christlichkeit ist voll im Schwange!) da drüben ist noch mehr im Gange: Zwei von den Mädchen lassen grad die Luft aus einem Herrenrad. Es lehnt dort an der Friedhofsmauer. (Besitzer ist ein alter Bauer, der eben wohl ein Grab benetzt.) Herr Schein - am Fenster - ist entsetzt, denn jetzt vernimmt er lautes Pfeifen: Die Luft entweicht aus beiden Reifen. Des Schreckens doch noch nicht genug: Denn jetzt formiert sich auch der Zug von einer Handvoll Konfirmanden, die sich - wie stets - zusammenfanden, um in Gemeinschaft heimzugehn. Nur einen sieht man abseits stehn und das, obgleich sie all zusammen aus seines Dorfes Mitte stammen! Sie scherzen, lachen und gehn los, doch unter »ihresgleichen« bloß! Der Eine folgt ein Stückchen weiter; er ist und bleibt der Außenseiter, und das nach diesem Unterricht. Man hört es fast: Dem Pfarrer bricht die Welt entzwei, die christlich-heile; er ahnt verschwommen mittlerweile, daß Tun und Reden offenbar zwei Dinge sind, und vorhin war das Reden dran und jetzt das Leben und das ist etwas andres eben. Man weist die christliche Moral in Kirche und Gemeindesaal, spult mit den Lippen leicht und munter Gebot, Gebet und Psalm herunter und schlägt - jetzt hat man endlich Ruh! - von außen dann die Türe zu. Ein zweiter Fall von ziemlich vielen (- die ähnlich allerorten spielen): Im letzten Frühjahr, Anfang Mai, bemerkt Herr Schein ganz nebenbei von ferne, daß bei einer frommen, betagten Frau grad Kohlen kommen. Und diese Frau, das ist bekannt, lebt Jahre schon im Witwenstand, ist ganz allein und hinkt beim Laufen und wird wohl jenen Kohlenhaufen, den ihr der Lieferant gebracht, (wenns nicht ein andrer für sie macht) niemals in ihren Keller kriegen. Fünf Zentner Kohlen also liegen bei ihr vorm Haus am Kellerloch. Der Pfarrer denkt, man wird ihr doch bestimmt schon in den nächsten Tagen die Kohlen in den Keller tragen! Weiß doch ein Christ, was sich gebührt und schon als guter Nachbar spürt man doch bei Alten und bei Armen sowas wie Mitleid und Erbarmen. - Herr Schein hegt feste Zuversicht: Lang liegen diese Kohlen nicht! Es gehn ins Land rund 13 Wochen. Längst ist der Sommer angebrochen. Die Gärten prangen schön und grün, vor allen Häusern buntes Blühn in Eichendorf. Schein hat indessen der Witwe Kohlen ganz vergessen, da sieht er doch vor ihrem Haus, per Zufall nur vom Auto aus: Es liegt noch schwarz in ihrem Garten, fünf Zentner hoch. Die Kohlen warten noch immer, daß sich wer besinnt und hier ein gutes Werk beginnt. Wie lang, fragt Schein sich, wirds noch dauern? Nun gut, die meisten hier sind Bauern und haben grade viel zu tun und kaum mal Luft um auszuruhn; wie soll, wo Frucht und Gräser treiben, denn Kraft und Zeit für »Kohlen« bleiben? Nein, nein, bestimmt, man wird es sehn: In ein paar Wochen ists geschehn! Dann kann die Witwe ihre Kohlen gewiß aus ihrem Keller holen! Es ist halt so, oft fehlt die Zeit für die gelebte Christlichkeit! Wenn erst die Bauern all die Gaben der Ernte in den Scheunen haben, wenn Mehl gemahlen, Most gepreßt, dann, weiß der Pfarrer, das steht fest, wird sich gewiß ein Christ bequemen und eine Kohlenschaufel nehmen. (So glaubt es Schein - in seinem Sinn!) Und wieder gehen Wochen hin: Die kühlen Nächte des September, der erste Schnee dann im November in dicken Flocken kalt und weiß, und im Dezember Frost und Eis. Bis sich dann in den Weihnachtstagen Erinnrung meldet und ein Fragen: »Wies wohl der alten Witwe geht? Ob sie jetzt grad am Feuer steht, um von den Kohlen nachzulegen?« Mit einemal packt Schein ein Regen von Zweifel, ja, ihm wird ganz schwach: »Kam wohl noch alles unter Dach vor Kälte und dem ersten Schneien? Sind wohl die Kohlen noch im Freien?« Jetzt will ers wissen und sofort! Die Schuhe an, hin zu dem Ort, an dem - er muß Gewißheit kriegen! - seit letzten Mai die Kohlen liegen; beziehungsweise - dann zum Ruhm für Nachbarschaft und Christentum! - auch nicht mehr liegen, sondern lagen. Schein sputet sich, denn Zweifel nagen in seinem Innern, ja, zuletzt läuft er jetzt gar. Ganz abgehetzt steht er dann vor dem Haus der Alten. Da wölbt sich Schnee in sanften Falten und hat die Kohlen weiß bedeckt. - Der Pfarrer, traurig, blaß, erschreckt, beginnt - mehr innerlich - zu frieren und diesen »Fall« zu resümieren: Hier hat im Dorf wohl jedermann, der Augen hat und helfen kann, (besonders: die sich christlich nennen und sich zur »Nachbarschaft« bekennen) wobei sich Schein auch selbst verklagt!, als Christ und Mitmensch glatt versagt. Hier ist der dritte Fall von allen. Ich fürchte, er wird nicht gefallen, weil: er ist nicht so allgemein, vielmehr jetzt wagt es Pfarrer Schein den Leser selbst mal anzufassen und ihn - es wird ihm wenig passen! - an Nase, Wange oder Ohr zu zupfen, ja, es schwebt ihm vor, ihn beim Gewissen jetzt zu packen und ihn mal fest hineinzuzwacken. - Der langen Rede kurzer Schluß: Der Fall, den ich hier nennen muß, ist meiner nicht, noch irgendeiner, nein, lieber Leser, es ist deiner! Ich meine deine Christlichkeit, dein Leben, das sich oft sehr weit entfernt, von dem, was Christen reden. Ich frage dich und frage jeden, ob, wenn du Christi Namen nimmst, du auch mit dem zusammenstimmst, wozu wir uns damit verpflichten. - Dein Fall - ich muß ihn nicht erdichten! - ist dir ja wohl recht gut bekannt! Und eben drum ist Schein gespannt, ob du jetzt Zeit und Muße findest, die Angst und Hemmung überwindest und bei der guten Sache bleibst und deinen Fall hier selbst beschreibst; probiers doch mal in Reim zu fassen (ich habe etwas Platz gelassen!): _______________________________ _______________________________ _______________________________ _______________________________ _______________________________ _______________________________ _______________________________ _______________________________ _______________________________ Soso, du hast in vielen Stunden nicht einen guten Reim gefunden?! Und auch der Platz war dir zuviel?! Wie dem auch sei, wir sind am Ziel, denn das steht jetzt wohl felsenfest: Daß sich dein Fall nicht reimen läßt, mit dem, wie Christen leben sollen; hätt es sich sonst nicht reimen wollen?! Aus diesem Grund fiel dir nichts ein! Denk drüber nach! Es grüßt dich Schein.