Aus dem ersten Band der Gedichte von Pfr. Schein: „Was so ein braver Pfarrersmann im Vogelsberg erleben kann“ 5. Folge: Hier nun die fünfte der Geschichten. Sie will in Vers und Reim berichten vom ärgsten Laster dieser Zeit... (Jedoch in aller Heiterkeit; auch spar ich mir für dieses Mal den „Zeigefinger der Moral“), will einfach frei hier phantasieren, des Lesers Lachen provozieren, und dass er sich zu Herzen nimmt, was heutzutage leider stimmt: Zum Ernst wird leicht, was anfangs Spiel: aus gut wird schlecht, tut man zu viel und noch die beste Sache leidet, wenn man nicht Übertreibung meidet! Doch gilt das letztgesagte nicht für dieses Pfarrer-Schein-Gedicht: Hier würzt vielmehr die Übertreibung die sonst zu nüchterne Beschreibung! Bevors nun losgeht, prägt euch ein: Was ihr auch lest, - es ist bloß „Schein“! »Pfarrer Schein und das Fernsehen« Ihr wisst, vier Stunden Unterricht gehören zu des Pfarrers Pflicht, so müssen sich an zweien Tagen die Schüler mit dem Pfarrer plagen. Oft ist es freilich umgekehrt: Denn wird das Lernen sehr erschwert, wenn Kinder abends erst um zehn - und oft noch später! - schlafen gehn. Ihr solltet morgens sie erleben: Wie sie in ihren Bänken kleben, wie sie auf ihren Tischen hängen und schleichen in den Schulhausgängen... Ihr fragt nun sicher nach dem Grund, warum zu solcher späten Stund die Kinder erst zu Bette gingen... Am Fernsehn lags vor allen Dingen! Und dann an Eltern, die erlaubt, was Kindern dann den Schlaf geraubt. - Der Leser denkt jetzt: „Gibts denn das!? Ist die Beschreibung nicht zu krass?“ Vor allem fragt er sorgenvoll, wos solche Eltern geben soll, die Kinder - wirklich nicht zu fassen! - so leichthin vor die Röhre lassen und noch dazu zur Abendzeit! Ja, sind denn die noch recht gescheit!? Halt! Wartet, eh ihr den verdammt, der ganz aus eurer Nähe stammt, und hört, auch wenns nicht angenehm: aus Eichendorf ist das Problem! Die Eltern - könnt ihr mir verzeihn? - sind Schäfchen von Herrn Pfarrer Schein und euch darum nicht gar so fern. - Als nächstes würde ich euch gern ein Stücklein in die Praxis leiten; ich lad euch ein, Schein zu begleiten, wenn der, des morgens weit vor acht, sich fröhlich auf die Socken macht, denn in der ersten Stunde schon lehrt er die Kinder „Religion“. Das heißt, er würde sie gern lehren, doch gibts da Dinge, die erschweren auch noch den besten Unterricht, und das sind Dinge von Gewicht! So seht euch das nun selber an, denn eben tritt der Pfarrersmann beschwingten Schritts zur Tür herein... Wo mögen nur die Kinder sein, fragt der Besucher sich sofort, denn Grabesstille, nicht ein Wort ist rings im Klassenraum zu hören. Wolln sie durch Disziplin betören? Genießt Herr Schein so viel Respekt? Wird wohl ein Anschlag ausgeheckt? Wird gleich das Chaos sich erheben? Sind heute Noten zu vergeben? Nein! Weit gefehlt! Schaut euch doch um, dann seht ihr wohl den Grund: warum... Denn dreißig Kinder, still und brav, sie liegen da in tiefstem Schlaf! Auf ihre Mienen traumbewegt, hat süßer Schlummer sich gelegt. Die Züge sind entspannt und weich und mancher lächelt - engelgleich! Ein kleiner Kerl mit Sommersprossen liegt da, als sei er hingegossen, und jetzt - jetzt spricht er traumentrückt, er lispelt „Dallas“ ganz verzückt. Jetzt wird es dem Besucher klar, dass gestern dann wohl Dienstag war! Schein steht jetzt vor der Klasse vorn, er ist ganz ruhig und ohne Zorn. Wir sind gespannt und voll der Frage: Wie meistert Schein wohl diese Lage? Wird er mit Toben und mit Brüllen das Klassenzimmer jetzt erfüllen? Wird er mit Stoßen und mit Schütteln probiern, die Kinder wachzurütteln? Ach was! Er kennt doch seine Kleinen! So greift er nun auch zu der feinen und oft erprobten Rezeptur: Mit einem Griff zur Tasche nur, hat er jetzt ein Gerät zur Hand mit Stereo-Kassettenband und drückt - mit einem Lächeln - zart die Taste mit der Aufschrift: „Start“. Und schon erklingt so laut wie nie die Dallas-Titelmelodie! Kaum ist verhallt der erste Ton, beginnt auch die Bewegung schon: Hier sieht man Arm und Beine rucken und dort ein erstes Augenzucken, ein allgemeines Gliederstrecken hebt an, ein Gähnen und sich Recken, auch kommt in die Gesichter Leben: das erste Augendeckel-Heben, ein erster Blick, ein erstes Sichten und man beginnt sich auszurichten nach dort, wo gleich, wie jeder meint, Miss Elly und J. R. erscheint... doch dort steht nur der Pfarrersmann, fängt fröhlich nun zu lächeln an, denn es geschah, was er bezweckt: er hat die Kinder aufgeweckt, und eh sie sich noch recht versehn, gibt er Kommando, aufzustehn und aus den Bänken rauszutreten. - Sie schlafen wieder sonst - beim Beten. Dann kann die Stunde ja beginnen für Schüler und für Schülerinnen. Wie wird Herr Schein sie wohl gestalten, um seine Kinder wachzuhalten? Wir staunen, wie Herr Schein das schafft, denn das ist wirklich sagenhaft! Schaut doch, wie er da vorne steht und voll Elan auf Sendung geht. Jawohl, ganz recht, ich sagte „Sendung“, denn unter Einsatz und Verwendung von Stoff aus sämtlichen Programmen, stellt er sein Fernsehn jetzt zusammen: Zunächst - als „Tatort“ - Kain und Abel, als „Derrick“ dann den Turm zu Babel, die Sintflut und den Archenbau, macht Schein zur „Telezirkus“-Schau; und dann - nein, wirklich wunderbar! - auch das vom ersten Menschenpaar: Von Schlange und verbotnen Früchten, wie beide essen und dann flüchten, um hinter Paradieseshecken sich schuld- und schamhaft zu verstecken, wie Gott sie stellt und schuldig heißt und dann des Gartens sie verweist... heut Morgen fehlt auch dieses nicht: Schein bringts als „Ehen vor Gericht“! Die dreißig Kinder sind gebannt und ihre Nerven angespannt, die Augen folgen schreckgeweitet, wenn Schein jetzt Gänsehaut verbreitet... Es folgt - die ersten zittern schon - die Horror-Spätfilm-Attraktion. Der Pfarrer wählt für dieses Mal den Titel „Jona und der Wal“. Doch dann, der lieben Kleinen wegen und um die Spannung anzuregen, macht Schein sich jetzt von Skrupeln frei: Der „Wal“ taucht auf als „Weißer Hai“! Gleich wird nun auch der Gong erklingen, doch Schein will rasch noch etwas singen; so hält ers immer - ganz zum Schluss - wenn er zum Ende kommen muss: Heut schmettert er nun - schön wie nie! - das kleine Psalmenpotpourri. Die Kinder findens fernsehreif: „Musik ist Trumpf“, bei Schein heut „live“! Jetzt endlich tönt das Pausenzeichen und schließt die Stunde ohnegleichen, denn wer hat sowas je erlebt, dass Fernsehn auch die Bildung hebt?! Schein spult jetzt noch das Band zurück, denn gleich geht mit dem Dallas-Stück die Sendung - ganz genau wie hier - noch einmal los in Klasse vier! Nun ohne länger zu verweilen, sehn wir Herrn Schein zur Türe eilen, ist auch zum Gehen höchste Zeit, denn man ist wieder schlafbereit und hat die Augen zugemacht. Schein schließt die Tür. - Dann Gute Nacht! Noch vieles wäre hier zu schildern aus Eichendorf in bunten Bildern. Von oft erlebten Wirkungsweisen des Fernsehns in Gemeindekreisen: So läuft im Fraunverein nicht viel, steht im Programm ein Fernsehspiel. Der Jugendraum ist arg verwaist, wenns Dallas oder Krimi heißt. Auch bei den jungen Ehepaaren gibts leider ähnliches Gebaren: Den Clubraum - montags - fegt, wie schade, Herrn Hecks (ur-deutsche!) Hitparade. Und selbst am Sonntag steht zur Wahl schon früh ein Film im Zweit-Kanal. Den schalten wohl auch viele ein, (die Kirche müsst sonst voller sein!) denn das ist leicht und angenehm, man räkelt sich und sitzt bequem und macht auch mal die Augen zu, genießt die Sonntagmorgenruh. Soll man sich denn auf harten Bänken bewegen lassen, mitzudenken? Soll man, anstatt mal abzuschalten, dort singen und die Hände falten? Ach nein, man ist zu müd und matt: Die Kirche dem, ders nötig hat! (Und das sind stets die andern bloß!) Ich schließe hier, sonst wird zu groß dies fünfte Pfarrer-Schein-Gedicht; und überfordern will ich nicht die mir geneigte Leserschar - (wies wohl beim letzten Male war!) Heut, lieber Leser, sei nicht bang, es währt nur noch zehn Zeilen lang: Ich bitte euch jetzt zweierlei: Den Sonntag haltet fernsehfrei und immer abends, seid so nett, schaut, ob die Kinder auch im Bett und ob sie unter Daunendecken kein kleines Zweit-Gerät verstecken... (als Eltern werdet ihr ja wissen, die Kleinen sind oft recht gerissen!) Dann schaltet halt den Kasten ein! Und seid gegrüßt von Pfarrer Schein!