Aus dem ersten Band der Gedichte von Pfr. Schein: "Was so ein braver Pfarrersmann im Vogelsberg erleben kann" 4. Folge Die vierte der Geschichten nun, hat mit Geschwätz und Tratsch zu tun. Der Stoff dazu stammt wie gewöhnlich aus Eichendorf, weshalb persönlich, Du, lieber Leser, nicht gemeint! (Das gilt selbst dann, wenn es so scheint, als seis direkt an dich gerichtet, - es ist erfunden und erdichtet! »Pfarrer Schein und der Dorftratsch« In Eichendorf, so scheint es Schein, muß Tratsch ein echter Volkssport sein, ja, mehr noch: eine Leidenschaft, der man sich weiht mit ganzer Kraft. Es tratscht das Kind und noch der Greis, mal tratscht man laut, doch - meistens - leis, beim Essen (außer es gibt Fisch!), an Kirchweih (über Bank und Tisch!), zu Hause und auch auf der Gasse, mal nur zu zweit, mal in der Masse, mal Neues, meistens alte Hüte: »Nein! Unerhört! Du liebe Güte!« Worüber tratscht man denn im Ort? Von Urlaub, Ehe und vom Sport? Nein, lieber Leser, ganz daneben! Auch nicht vom Tod und nicht vom Leben. »Vom Wetter?!« Nein, zu früh gefreut! Das Tratscher-Thema sind: Die Leut! Was dieser tut, was jener macht, was sie erlebt, was er gedacht, was fast passiert wär, (doch nicht ganz!), von Fritz und Irma, Ruth und Franz..., das wird im Dorf herumgereicht, durch zehn und zwanzig Münder - leicht! Ins Ohr gehts rein, dann kurz zerkaut, dann hin zum Nächsten - unverdaut, und dann, es ist schon wunderbar, obgleichs in vieler Munde war, wird Tratsch, gleich einem Hefebrei, nicht kleiner, sondern groß dabei! Auch weiß am Ende keiner mehr: Wo kommt denn das Gerücht bloß her? Ein jeder hat es nur »gehört« und war darob mit recht empört und legt es, kaum hat ers im Ohr, sogleich dem nächsten besten vor, und dieser setzt die Reihe fort, bald weiß mans hier und bald auch dort, nur einer weiß es längst noch nicht: der, über den man tratscht und spricht! Doch der Betroffne mag sich sagen: Wenn was von Mund zu Mund getragen ein dutzend mal im Tratsch-Verkehr, dann weiß den Ursprung keiner mehr! Bis hierher wars nur Theorie. Ein Praxis-Beispiel zeigt nun wie das endet, wenn der Tratsch - konkret - den Weg durch zehn Stationen geht. Der Bürge dieses »Falls« ist Schein. Doch Eichendorf ist viel zu klein, als daß wir hier - was kaum zu fassen! - ganz un-verhüllt erscheinen lassen, drum sind verändert alle Namen der tratsch-betroffnen Herrn und Damen. Nun aufgepaßt, denn hier beginnen sich die Gerüchte zu entspinnen: Ein erster hört die Neuigkeit: »Bei Alma ist es bald soweit! Sie wird, wenn wieder Schwalben fliegen, ihr nächstes (fünftes!) Kindchen kriegen.« Der zweite aber hat vernommen: statt »Alma«, »Anja« wirds bekommen! Das kriegt der dritte nun gesagt, der reicht es weiter ungefragt. Der vierte freilich staunt nicht schlecht, die Meldung kommt ihm grade recht, denn er weiß: Anjas Gatte war am Bau in Kairo fast ein Jahr! Beim fünften ist dann schießlich schon perfekt die kleine Sensation: Die Anja Meier kriegt was Kleines! Ein Wunder ists und was für eines, denn als die Schwangerschaft entstand, war Vater Meier nicht im Land! Beim sechsten ruht es eine Zeit, (zum Tratsch fehlt die Gelegenheit!), und als ers schließlich weiterreicht, ists wiederum verändert leicht: Aus »Meier« wurde »Müller« jetzt. Der siebte ist nun sehr entsetzt, denn - hier spielt auch der Zufall mit - die »Anjas« sind im Ort zu dritt, auch »Anja Müller« ist dabei, sie war erst fünfzehn letzten Mai! Der »Vater« wird gleich mitgenannt, zwar namentlich noch nicht bekannt, doch hörte man von ungefähr, daß es ein Mann aus »Kairo« wär! Der achte hat ihn gar gesehen mit Anja beim Spazierengehen. Der neunte geht noch etwas weiter: Nicht »einer« nur, da war ein zweiter, die schlichen jüngst um Anjas Haus und sahen wie Ägypter aus! Der zehnte schließlich hört schon schlecht, versteht die Sache nicht so recht; aus »Anja«, »Kairo«, »fünfzehn Jahr«, stellt ihm sich so das Ganze dar: Die »Anja« ist des Nachbars Hund, zwar »fünfzehn« schon, doch noch gesund, hat nun in ihren alten Tagen noch einmal Junge auszutragen. Auch kennt man schon den Schwerenöter: Des Müllers »Karo«, dieser Köter! So läuft die Dorf-Gerüchte-Kette, drum wage keiner eine Wette auf das, was wohl des Tratsches Kern, denn den ahnt niemand, - nicht von fern! Doch denk ich mir, daß ihr jetzt wißt, wie weits vom Tratsch zur Wahrheit ist! Zurück zu Schein, dem Pfarrersmann, denn auch er selbst war dann und wann schon Mittelpunkt im Klatsch-Geschehn. (Und kann man das nicht auch verstehn, daß wenn zum Tratsch der Stoff ermangelt, man sich das Thema »Pfarrer« angelt, um in geschehnisarmen Zeiten, aus ihm den Stoff sich zu bereiten, aus dem ein rechter Tratsch gemacht? - Selbst wenn die Sache nur erdacht!) Wievielmal schon kam Schein zu Ohren, was nur die Phantasie geboren, was aufgebauscht und aufgebläht von losen Zungen ausgesäht.. Wie oft auch mußt er sich schon fragen: »Wie kann ein Mitmensch sowas sagen? Weiß er denn nicht was draus entsteht und wie im Tratsch das weitergeht?« Und schließlich - oft schon dachte er: »Wie kommt jetzt wohl gerade der dazu, von rein privaten Dingen so leichthin unters Volk zu bringen?« Hier leg ich euch jetzt »Fälle« dar, wo Schein zum Tratsch der Anlaß war, wo er und seine Art zu leben dem Klatsch die Nahrung abgegeben. Auch hier zeig euch die Praxis drastisch, was theoretisch wenig plastisch: Ein erster Fall schlägt schwer zu Buche: Es handelt sich um »Hausbesuche«. »Schein hätte«, weiß man weit und breit, »für solche Dinge keine Zeit!« »Er sei - mit sämtlichen Gedanken - nur bei der Jugend, nicht bei Kranken!« Doch: »hab er sich nicht aufzuhalten mit jungen Leuten, denn die Alten wärn kirchlich doch von größrem Wert!« Kurzum: »Er liege ganz verkehrt mit Flötenkreis und Jugendstunde, der Jungscharvorbereitungsrunde und allen andern solchen Sachen!« »Der Pfarrer soll Besuche machen!« Das ist die Eichendorfer Meinung und viel gehörte Tratsch-Erscheinung. Schein würde gern, die solches sagen, in aller Ruhe mal was fragen: Zuerst: Wart ihr nicht auch mal jung, mit jugendlichem Geist und Schwung; stands damals mit der »Kirchlichkeit« auch schon so gut? Wart ihr bereit, am Sonntagmorgen aufzustehn und hin zum Gottesdienst zu gehn? Wart ihr nicht - wie die Jugend heute - meist auch zu träg - als junge Leute? Sagt selbst, ist das nicht - traurig zwar - für heut, wie damals, leider wahr?! Und dann: Glaubt ihr, das sei so fein, in heutgen Zeiten jung zu sein? Zwar äußerlich herrscht keine Not, doch - grad die Jugend - ist bedroht vom bösen Geiste dieser Zeit: von Wachstumswahn und Käuflichkeit, vom Leben »um der Güter willen«, die freilich nicht die Sehnsucht stillen, die tief in jedem Menschen wohnt: Ein Leben finden, das sich lohnt, das frei von äußerer Verzierung, doch voller Sinn und Orientierung. Wer soll es denn die Jungen lehren, dem Un-geist dieser Zeit zu wehren und nicht nur, Geld und Gutes wegen sich Zukunftspläne anzulegen? Wer weiß die Botschaft, die hier nützt? Wer kennt den Herren, der uns schützt vor Wahn und Hoffnungslosigkeit? - Sind das nicht wir, die Christenheit? Und schließlich: Solln wir das nur sagen den Menschen in den alten Tagen - und nicht auch schon den jungen Leuten? Wievielmal mehr wird das bedeuten, wenn schon ein Junger etwas findet, an das er sich fürs Leben bindet und das ihm Ziel und Richtung weist und Sinn und Fülle ihm verheißt?! Darum meint Schein: In Jugendjahren muß das schon jedermann erfahren: Wort und Gemeinde sind der Halt, der alle trägt, ob jung, ob alt! So hält nun Schein dem Tratsch entgegen: »Zwar ist an Alten mir gelegen und ich besuch sie, wenn ich kann und tus ja doch auch dann und wann, doch möcht den Jungen ich daneben - die Gründe hierfür nannt ich eben - in ganz besondrem Maße dienen, - und wünschte mir, es käm von ihnen auch mal so was wie »Dank« zurück: ein Kirchgang oder auch ein Stück nur mehr an Zuverlässigkeit bei unsrer Jugendkreisarbeit; denn, hier sprech ich die Jugend an, natürlich fragen Frau und Mann den Pfarrer, der die Jugend liebt, ob sies auch wert, daß man sich gibt in ihren Dienst mit ganzer Kraft und ob das auch Gemeinde schafft, kurzum: ob es ihm auch gelingt, daß er zur Kirch die Jungen bringt! Dort aber sieht man Jugend nicht! Ein Argument, das leider sticht.« Doch Schein hört noch nicht auf zu hoffen und sagt es hier noch einmal offen und jedem Tratscher laut ins Ohr: »Die Jugendarbeit geht mir vor!« »Doch euch zum Trost: Ganz von allein, wirds bald vielleicht schon anders sein, denn auch der Pfarrer wird ja älter und seine Jugend-Liebe kälter.« »Mein eignes Alter wird mirs weisen, wann ich mich widme andren Kreisen.« Ein zweiter Fall ist nicht »persönlich«, vielmehr: die Meinung ist gewöhnlich: » Ein Pfarrer ist ein fauler Mann«, die Lehrer kommen auch gleich dran, denn weiß im Dorf schon jedes Kind, daß beide selten tätig sind. »Der eine schafft des sonntags nur, der andre lebt in Dauerkur«, deshalb auch möchten Groß und Klein gern Pfarrer oder Lehrer sein! Schein, der als Pfarrer hier beschossen, hat für sich selbst zwar längst beschlossen, an solchem Tratsch sich nicht zu stören und einfach gar nicht hinzuhören, doch hört man das so oft und viel, kommt noch was anderes ins Spiel: Schein meint, dem ganzen Pfarrerstande gereicht dies - unverdient - zur Schande! Denn er weiß wohl, was Pfarrer tun, bis in die Nacht, wenn andre ruhn. Er kennt des Perners Amtsgeschäfte und wie das zehrt die Nervenkräfte, an fremden Kreuzen mitzutragen. Er weiß von 16-Stunden-Tagen, vom Beistand bei so manchem Kummer und langen Nächten ohne Schlummer. Und schließlich weiß er auch ganz gut, wie schwer man sich am Samstag tut, wenns heißt die Predigt ausarbeiten und alles andre vorbereiten: Die Lieder und die Liturgie, die Lesung und die Worte, die die Gläubigen dann hören sollen - (und scheinbar gar nicht hören wollen, denn kämen sonst - mal abgesehn von Weihnacht, wenn die meisten gehn - nur die paar Mann zum Gotteshaus?) Und dann, wie siehts denn heute aus in den Gemeinden ringsumher?: Beschaulich ist das längst nicht mehr! Der Pfarrer, der die Rosen gießt, im Garten seine Zeitung liest, der stammt aus einer andern Zeit! Das Arbeitsfeld ist heute weit und deckt ein riesiges Gebiet, - auch wenn der Tratscher das nicht sieht und denkt, er dürft im falschen Glauben, solch dumme Sprüche sich erlauben: Wie der von »faulen Pfarrersleuten, die sich vor ieder Arbeit scheuten« und was sie alles sonst noch sagen. Auch hierzu möchte Schein was fragen: »Nehmt doch - zum Beispiel - unsern Ort. Wie viele Kreise gibt es dort??? Ihr wißt es nicht? Ich dacht es mir! Wir haben fünfzehn Gruppen hier, für Alte und auch für die Jungen, da wird gelacht, gespielt, gesungen, gesprochen und auch nachgedacht und oft und gerne Spaß gemacht, mal hört man, was die Bildung hebt, mal wird Geselligkeit erlebt. Für jeden gibts ein Angebot, drum schafft mir euer Tratschen Not und scheint mir dumm und ohne Ahnung. So hört nun bitte die Ermahnung: Es ist dem Pfarrer schlecht vergolten, wird er hernach noch faul gescholten!« Im übrigen läßt Schein recht gern die ach so arbeitsamen Herrn, die ihn - bis heut - für faul gehalten, einmal an seiner Stelle walten: Wärt Ihr nur einen Tag lang Schein, Ihr wolltet nie mehr Perner sein! und hättet sein Versprechen drauf: Auch euer Tratschen hörte auf! Ein dritter Fall sei hier verschwiegen und auch die weitren, denn sie liegen nicht alle so im Allgemeinen, - und unserm Pfarrer will es scheinen, er komme besser jetzt zum Schluß, bevor er deutlich werden muß, und etwa gar noch Dinge nennt, die jemand von den Lesern kennt... Doch klug ist, wer auch schweigen kann! Es grüßt Euch Schein, der Pfarrersmann!