1. Folge Auf Kirchenblättchens letzten Seiten plan ich, euch künftig auszubreiten, was so ein braver Pfarrersmann im Vogelsberg erleben kann. Die Hauptperson heißt Gottlieb Schein, hat Frau und auch drei Kinderlein, sein Pfarrort ist euch unbekannt; ich hab ihn Eichendorf genannt. Er wird auf eurer Karte fehlen, denn er und seine Tausend Seelen sind ja von mir erfunden nur, nebst Pfarrer Schein, der Hauptfigur. Jedoch die Worte, die ich wähle, was ich von Eichendorf erzähle, das könnte wohl auch hier geschehn, (wie ich das meine, sollt ihr sehn!) Wenn also Vieles auch erdichtet, ist doch der Sinn darauf gerichtet, dem Leser - ohne zu verletzen - sein eignes Abbild vorzusetzen, damit ein wenig er betrachte, was mir schon viel Gedanken machte. So trag ich euch jetzt mit Humor die erste der Geschichten vor: Pfarrer Schein und der Fußball An einem Sonntag im April beginnt, was ich erzählen will. Es ist gerade Mittagszeit und Fleisch und Klöße sind soweit. Die Pfarrfamilie sitzt zu Tisch und Frau und Kinder freuen sich auf gutes Essen und den Wein, doch Trübsal bläst Herr Pfarrer Schein. Hier ist der Grund für seine Sorgen: Zur Kirche, die er hielt am Morgen, erschienen grade vierzig Leute, obgleich die Predigt gut war heute. Und was noch mehr ihn deprimiert: die Männer waren nur zu viert, der Rest warn sechsunddreißig Frauen! wie soll man da Gemeinde bauen? So geht dem Pfarrer durch den Sinn: „Wer weiß, wann ich der letzte bin, von all den Männern hier im Ort, dies sonntags zieht zu Gottes Wort; ich frag mich, muss es denn so sein: der Gottesdienst - ein Fraunverein?“ Das alles geht ihm um im Kopf. Es schmeckt ihm heut aus keinem Topf, obgleich das Essen wohlgeraten - er würgt an Klößen und am Braten. Jetzt hat es auch die Frau gespitzt, dass ihm was auf der Leber sitzt. „Was hast du Gottlieb“, fragt Frau Schein. Drauf er: „Es muss das Wetter sein!“ Doch ahnt sie schon, worum es geht, zumal die Sonn am Himmel steht . Beim Nachtisch kommt ihr die Idee: Spazieren hilft bei manchem Weh; sie lädt die Ihren ein sofort zu einem Rundgang um den Ort. So gehn die fünf jetzt aus dem Haus und ziehn ins freie Feld hinaus, damit der arme Pfarrersmann mal an was andres denken kann. Da dringt von ferne an das Ohr ein brüllend lauter Männerchor und den fünf Wandrern wird es klar, dass dies ein Gruß vom Sportplatz war. Da kommt auch schon der Platz in Sicht; die Menschen stehen dicht an dicht und fast nur Männer überall und alle starrn auf einen Ball. Die Köpfe fliegen hin und her, die Männer schrein und schwitzen sehr, da stellen sich bei Pfarrer Schein Gedanken an den Morgen ein: Die Kirche leer, hier ist was los, dort gab es Fraun, hier Männer bloß, dort war es still, hier ist Geschrei, hier kostets Eintritt, dort wars frei. Hier gibts nur einen Ball zu sehn und das auch noch dazu im Stehn, und dann, wenn das schon alles wär: Es dauert noch ne Stunde mehr! Der Pfarrer greift sich an die Stirn, er fasst das alles nicht im Hirn: Wieso ein Ball hier Mann um Mann so ungeheuer bannen kann? Ich werds euch zeigen denkt Herr Schein; ich krieg euch in die Kirche rein; ihr werdet sehn, ich lerne schnell, die Kirch wird anders auf der Stell! Und kaum sind die fünf Scheins zu Haus, führt er schon seinen Vorsatz aus, schreibt einen Text fürs Tageblatt, das rings im Dorfe jeder hat. Am Montag schon kann jeder lesen: Der Pfarrer ist beim Sport gewesen und wird, wenn künftig Kirch er hält, es tun wies Männern auch gefällt. Darunter - riesig aufgemacht - hat diesen Hinweis er gebracht: Am nächsten Sonntag sollt ihr sehn, der Gottesdienst wird doppelt schön! Es sollen auch die Männer kommen; ich hab beim Fußball Maß genommen, drum lad ich euch heut herzlich ein, bis Sonntag grüßt euch: Pfarrer Schein. Am Sonntag sieht man Männer ziehn in langem Zug zur Kirche hin. Schon an der Türe wird gestutzt, weil man dort eine Kasse nutzt. Der Kirchenvorstand, der dort hockt, verkündet, was ein jeden schockt: Der Gottesdienst macht Euro drei, für vier ist Abendmahl dabei. Bald ist der erste Schreck verwunden, die Leute haben rein gefunden, jedoch - die Frage stellt sich - ein: Wo mögen nur die Bänke sein? Man steht herum im Kirchenraum, manch einer denkt: Ein böser Traum! Weil das doch wohl nicht möglich ist. Da naht sich schon der Organist. Der geht heut nicht, wies jeder kennt, zur Bank an seinem Instrument: besteigt die Brüstung ernst und rasch, zieht eine Pfeife aus der Tasch und schon beim ersten schrillen Pfiff erbebt das ganze Kirchenschiff. Auf geht die Tür, es tritt herein im schwarzen Dienstkleid Pfarrer Schein. Gemessen geht er durch den Saal, dem ersten Blick scheint er normal, doch sieht, wer tiefer blickt, im Nu unterm Talar die Fußballschuh. Als er jetzt vorn ein Weilchen steht, bevor er sich zum Volke dreht, entdeckt man: hinten an der Tracht ist eine Nummer angebracht. Als er jetzt regungslos verharrt, wird auf sein Lesebuch gestarrt, draus hängt, man sieht es ganz genau, ein Wimpelchen vom T.S.V. Eh es die fromme Schar begreift, hört man den Orgler, wie er pfeift, die Liturgie geht wie gewöhnt, nur dass dreimal ein Pfiff ertönt. Als Pfarrer Schein zur Kanzel schreitet, wird vom KV* was vorbereitet: (* KV= Kirchenvorstand) Man reicht den Männern, bitte sehr, Fanfaren von der Feuerwehr. Und auf des Orglers Pfeifsignal soll nun ein jeder Mann im Saal in die Fanfare, das tut gut, mal kräftig pusten: Tut, tut, tut. Als jetzt der Pfarrer donnernd spricht und seine Predigt unterbricht, gehn unter ihm, es ist famos, Fanfaren und Trompeten los. Der Lärm wird mehr und immer mehr, die Männer schrein und schwitzen sehr und manchem kommt es schon so vor: Der Pfarrer predigt Tor um Tor. Am Ende nennt der letzte Satz den Kirchbesuch-Tabellenplatz. Beim Schlusspfiff weiß die fromme Schar, dass diese Kirch „phantastisch“ war. Doch als sie jetzt nach Hause gehn, denkt mancher sich: „Wer kanns verstehn, dass nichts als Fußball einen Mann am Sonntag faszinieren kann?“ Und mancher Mann denkt sogar weiter: „Vielleicht ists auch für mich gescheiter, ich geh auch ohne Narretein mal öfter in die Kirche rein!“