Kultur beim Heimatabend Als Oberhesse in Niederbayern Ich frag’ mich oft, warum in Scharen die Leute in die Ferne fahren, vielleicht nach Rom, Athen, Madrid ... Man nimmt sich Wörterbücher mit, um in der Fremde zu bestehen und bei Bedarf dort nachzusehen: Was heißt denn „Brot“, was „Wein“ und „Bier“, wie bucht man einen „Tisch für vier“? Es scheint dabei das Unbekannte das Lockende und Int’ressante! Man hat (berechtigt!) den Verdacht, dass mancher solche Reisen macht, um seinem Alltag zu entfliehen, ein andres Leben anzuziehen wie einen Mantel, wie ein Kleid. - Da sind wir, denk’ ich, jetzt bereit, den Blick nach Bayern hin zu lenken, denn „Fremderes“ lässt kaum sich denken, und „unbekannter“ geht es nicht! Auch wer gern fremde Sprachen spricht, kommt voll und ganz auf seine Kosten! Ein weit’rer positiver Posten: Das Bayernland ist nah und groß, es geht schon weit vor Würzburg los, reicht westlich bis zur Schweiz hinunter und südlich bis zum Chiemsee runter. Im Osten liegt der Bayernwald (wo, dass sich’s reimt, „die Büchse knallt“), dort hat’s - auch sprachlich! - seinen Gipfel bei Passau, wo ein deutscher Zipfel die Donau sich mit Öst’reich teilt. - Dort hab’ ich jüngst zur Kur geweilt und will mit Versen jetzt und Dichten zum zweiten Mal davon berichten. Wie man im Titel lesen kann, ist heut’ der Heimatabend dran: Nachdem’s mein Herbergswirt empfohlen, beschloss ich, endlich nachzuholen, was über Jahre ich verschmäht. Ich hielt in „bay’risch“ strikt Diät, ging also kulturell im Hemde, doch diesmal lockte mich das Fremde, so brach ich nach dem Kartenkauf ins unbekannte Bayern auf: In der Hotelpension „Babette“ war meines „Heimatabends“ Stätte. Ich trat hinein, der erste Blick erkannte: Hier gibt’s Blasmusik! Der Dirigent tat einen Schnalzer und die Kapelle spielte Walzer. Ich sah im Saal mich langsam um: Ein bunt gemischtes Publikum aus Indern, Persern, Kongolesen Japanern, Saudis, zehn Chinesen (wo einer ganz dem andern glich!) und noch ein Deutscher - das war ich! - Der Vorhang hebt sich und ein Hühne betritt als Wilddieb jetzt die Bühne. Im Hintergrund der Königssee und noch ein Wald aus Pappmaschee, davor der Wilddieb auf der Lichtung. Man zieht ein Reh aus rechter Richtung, jetzt langsam in die Mitte vorn ... Der Hühne zielt auf Kimme - Korn, ein Schuss zerreißt des Saales Stille, der Dirigent rückt seine Brille und gibt das Zeichen nun für „Tusch“, denn Heidi springt aus einem Busch, wo eben noch das Reh gelegen, beginnt wie sterbend sich zu regen, das Blut strömt, wo der Wilddieb traf, dann stürzt sie, liegt nun wie im Schlaf. Der Wilddieb beugt sich weinend nieder, schließt mit der Hand die toten Lider, dann ist die erste Szene aus. Der Vorhang fällt. Es gibt Applaus. - Die zweite Szene ist recht heiter: Ein Haus, ein Fenster, eine Leiter und noch ein Lederhosenmann. Der legt am Haus die Leiter an, wohl um ins Fenster einzusteigen, wo jetzt sich blaue Augen zeigen von einer Maid ganz stramm und schön! Statt Blasmusik ertönt Getön von Xylophon und leisen Flöten. Man sieht das Mädchen zart erröten, indessen sich der Bursch ermannt, an Arm und Bein die Muskeln spannt und jetzt ersteigt die ersten Sprossen ... Da wird von oben er begossen aus einer Kanne riesig groß. Die Maid ist jetzt die Oma bloß! Sie greift der Leiter Holme oben und stößt sie um und schaut von droben, wie unsern Burschen nichts mehr hält: Er stürzt hinab, der Vorhang fällt. - Statt Szene drei kommt in der Pause für alle Gäste eine Jause: Beim Essen wird’s im Saale laut: Zwei Würstel gibt’s mit Senf und Kraut, dazu ein Bier aufs Haus für jeden, gesponsert durch das „Brauhaus Eden“. - Dann endlich kommt die Szene drei: Man merkt es schnell, es geht dabei jetzt um die Mundart hier in Bayern: Ein Wirtshaustisch, man ist am Feiern und ruft im „sprachlichen“ Verkehr sich Witze lautstark hin und her. Die Männer die zusammensitzen, begeistern sich an ihren Witzen, indessen bleibt das Publikum ganz ernst, verständnislos und stumm. - Den Abendschluss, das wird man kennen, markiert, was Bayern „Platteln“ nennen. Man schlägt dabei sich auf den Po, die Waden, Schuhe sowieso und schreit dazu mit spitzen Lippen, derweil am Hut die „Pinsel“ wippen. - Dann endlich war der Abend aus. Das Publikum ging still nach Haus, da fragt mich einer der Chinesen: „Was wal die Splache denn gewesen?“ Ich zucke mit den Schultern nur: „Ich weiß es nicht, doch war’s Kultur!“ Manfred Günther Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine 47