Meisenterror Harte Zeiten für Vogelfreunde Wie war das in den letzten Jahren so schön, denn ich war unerfahren. Als Motto galt: Was ich nicht weiß, das macht mir auch den Kopf nicht heiß! Ich hatte keine blasse Ahnung und drum nicht die geringste Planung. Ich dachte nur: Jetzt ist es Zeit (schon lange lag es ja bereit!), dann ging es los: Meist im November, viel seltener erst im Dezember. Es tat mir gut und machte Spaß, gab Seele, Herz und Auge was. Man musste ständig sich bewegen, um nachzuschütten und zu -legen, was grade, wenn du älter bist, gesundheitlich ein Mittel ist, die Körperkräfte zu bewahren. - Nun will ich’s endlich offenbaren: Es war die Vogelfütterung, sie hielt mich fröhlich, fit und jung, war meiner Lebensfreude nütze und meinem Kreislauf eine Stütze ... Doch leider ist es so nicht mehr! Mein Vogelhäuschen ist noch leer. Kein Futtersack ist aufgerissen, auch mein Balkon noch nicht ver ... dreckt, die Meisenknödel noch verdeckt, durch eine Plane gut versteckt. - Nun wird sich wohl mein Leser fragen, wie das denn kam? Ich will’s ihm sagen: Ich bin seit neulich leider schlau! Da trat am Schluss der Hessenschau ein Fachmann auf für Vogelkunde, der sprach: Jetzt sei noch nicht die Stunde, zur Fütterung, man warte ab! Dann nannte er noch kurz und knapp den Starttermin für Futtergaben: Wir müssen Schnee im Garten haben, der liegen bleibt, doch auch zugleich zwei Grad im Unter-Null-Bereich und nicht nur kurz, nein, für die Dauer! - Mich macht dies Wissen ziemlich sauer: Vorbei ist Spaß und Fütterlust, statt Augenfreude hab’ ich Frust und innerlich Entzugsgefühle. Wo bleibt der Schnee, die Dauerkühle? Wann darf ich endlich wieder ran an Meisenring und -knödel, wann? - Nun wären solche Fragen, Klagen für sich genommen zu ertragen! Doch kommt nun folgendes hinzu: Ich bin mit Meisen längst per Du durch früh’re frühe Fütterungen! Doch scheint’s inzwischen durchgedrungen bei Meise, Amsel, Fink und Star: Es ist nicht mehr, wie’s einmal war! Der Mann, der einst mit Trank und Fressen nicht sparte, hat uns jetzt vergessen! Vielleicht auch ist er krass verarmt? Dass der sich gar nicht mehr erbarmt ... und was die Vögel sonst noch meinen! - Seit neulich jedenfalls will’s scheinen, als gäb’s bei ihnen den Beschluss, dass jetzt der Terror helfen muss: Wenn Morgendämmerung sich lichtet, beginnen Meisen zielgerichtet mit ihrem Kamikaze-Flug! Die Fensterscheibe trifft ihr Bug, es knallt im Raum, die Vögel drehen und lassen Heck und Pürzel sehen, dann „schießen“ sie aus vollem Rohr, und schwingen wieder sich empor, um für die kommenden Paraden an meiner Eibe nachzuladen, mit deren Frucht im Vogeldarm sehr schnell ein ganzer Meisenschwarm (und dies beharrlich und begeistert) die Fensterscheiben dir verkleistert, und Eibenfrucht ist Pattex pur! Der Fink indessen setzt sich „nur“ auf Fensterrahmen um zu klopfen! Man möchte sich die Ohren stopfen, beim stundenlangen „Klack-Klack-Klack!“ Derweil in ihrem schwarzen Frack die Amseln - ohne nachzuputzen! - den Boden vom Balkon beschmutzen. - Jedoch, was mache ich dabei? Ist mir das alles einerlei? Natürlich nicht! Ich hab’ besonnen mit meiner Gegenwehr begonnen: Minütlich trete ich hinaus auf den Balkon und rufe aus: „Ihr lieben Stare, Finken, Meisen, lasst euch von mir doch unterweisen, was gut für euch und richtig ist! Euch füttern schadet, dass ihr’s wisst! Der Fachmann sagt: Ihr müsst noch warten! Liegt erst der Schnee in meinem Garten, dann streu’ ich euer Leibgericht! Nur jetzt, da geht das halt noch nicht!“ - Nun fragt man wohl, konnt’ es gelingen, den Vögeln Einsicht abzuringen? Natürlich nicht! Ich kann’s versteh’n! Sie wollen endlich Futter seh’n! Ihr Magen knurrt! Was hilft da Reden? Wann tut sich auf der Garten Eden?, das ist’s allein, was int’ressiert! - Nun hab’ ich lang bevor es friert und schneit beschlossen, ohne Zieren des Fachmanns Wort zu ignorieren! Schon Morgen - endlich! - ist’s soweit: Bei mir ist wieder Fütterzeit! Manfred Günther Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 29