Predigt zum 18. Sonntag nach Trinitatis - 19.10.2014

Textlesung: Eph. 5, 15 - 21

So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und nutzt die Zeit; denn es ist böse Zeit. Darum seid nicht töricht, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist. Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen. Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde!

Paulus findet hier recht drastische Worte, aber auch solche, die uns nicht mehr so geläufig sind: "Seid nicht töricht!" Wir würden sagen: Seid nicht dumm! Und: "Sauft euch nicht voll Wein!" Wir würden sagen: Meidet den Alkohol! Und für "unordentliches Wesen" würden wir wohl eher von schlechtem Lebenswandel sprechen.

Stattdessen sollen wir die Zeit nutzen, die uns in dieser Welt noch bleibt. Noch! Dahinter steht der Gedanke, der bei Paulus und seinen christlichen Zeitgenossen noch ganz lebendig war, dass Christus bald wiederkommt und wir auf das Weltende zugehen.

Wenn es hier heißt: "Es ist böse Zeit", dann werden sicher einige von uns - wenigstens innerlich - mit dem Kopf nicken. Neulich hat es einer unserer hochrangigen Politiker in einer Rede deutlich ausgesprochen, dass wir auf der Welt so viele Probleme, Krisen und Kriege haben, wie nie in den letzten fünf oder sechs Jahrzehnten. Wenn wir noch die an vielen Orten auf unserem Globus sichtbaren Folgen des Klimawandels und die allenthalben fortschreitende Kälte in unserer Gesellschaft hinzunehmen und die Tatsache, dass sich viele Menschen nicht mehr von einer vollen Arbeitsstelle ernähren können und Millionen zukünftiger Rentner die Altersarmut droht, dann ergibt sich ein sehr düsteres Gesamtbild unserer Welt in diesen Tagen und manchen Menschen, auch und gerade Christen darunter, fällt da durchaus das Wort "Endzeit" ein.

Was setzt Paulus gegen diese doch sehr trübe Sicht der Dinge?

Wir sollen "sorgfältig darauf sehen, wie wir unser Leben führen", "weise" sein, "auf den Willen Gottes achten und ihn befolgen" und "die Zeit nutzen", die uns in dieser Welt noch bleibt.

Liebe Gemeinde, bevor ich nun mit eigenen Worten beschreibe, was ein "gutes Leben" wäre, was "weise" meint und was der "Wille Gottes" über uns ist, möchte ich eine Geschichte nacherzählen, die mir gleich beim ersten Lesen der Worte aus dem Epheserbrief, die wir heute bedenken sollen, eingefallen ist. Sie heißt Himmel und Hölle und ich weiß nicht, wer sie aufgeschrieben hat:

Es ist die Geschichte von einem Mann, der nach einem durch und durch egoistischen, unmoralischen Leben starb. Nur einen Augenblick später fand er sich in einer Welt voll hellen Sonnenscheins, leiser Musik und weißgekleideter Gestalten wieder. "Junge, Junge, das hätte ich nicht erwartet", sagte er sich. "Wahrscheinlich hat Gott ein weiches Herz für einen schlauen Halunken wie mich."

Er wandte sich an eine der Gestalten in weißem Gewand und sagte: "Kumpel, ich habe Grund zu feiern. Kann ich Ihnen einen Drink spendieren?" Die Gestalt antwortete: "Wenn Sie alkoholische Getränke meinen, die gibt es hier nicht." - "Kein Schnaps, was? Na ja, wie wär's dann mit einem Kartenspielchen? Skat, Doppelkopf, Poker, was Sie wollen." - "Tut mir leid, aber wir spielen hier auch nicht." - "Ja, was machen Sie denn dann den ganzen Tag?", fragte der Mann. "Wir lesen Psalmen. Jeden Morgen gibt es eine Bibelstunde und nachmittags einen Gebetskreis." - "Psalmen! Den ganzen Tag die Bibel? Junge, Junge, ich sage Ihnen was, mit dem Himmel ist wirklich nicht viel los!"

Da lächelte die Gestalt in Weiß und sagte: "Ich sehe, dass Sie nichts verstehen. Wir sind im Himmel; Sie sind in der Hölle."

Hier könnte die Geschichte eigentlich zu Ende sein. Immerhin sagt sie uns schon etwas ganz Wichtiges: Der Himmel ist kein Ort, in dessen Richtung wir mit dem Finger zeigen und sagen könnten, "da oben" ist er. Genauso ist die Hölle nicht irgendwo "unten" und besteht auch nicht aus Feuer und Schwefel und es tummeln sich in ihr auch keine kleinen roten Gestalten mit Mistgabeln. Der Verfasser der Geschichte beschreibt Himmel und Hölle so:

Der Himmel besteht darin, dass man gelernt hat, die Dinge zu tun und zu genießen, die uns menschlich machen, Dinge, die nur Menschen tun können. Die schlimmste Art von Hölle, die ich mir vorstellen kann, die schlimmste Hölle ist die Erkenntnis, man hätte ein wirklich menschliches Wesen, ein wahrer Mensch sein können, aber nun ist es zu spät. Wir hätten die Befriedigung kennen lernen können, uns um einen anderen Menschen zu kümmern, großzügig und aufrichtig und loyal zu sein, unseren Geist und unser Herz zu entwickeln, unsere Triebe zu beherrschen, statt uns von ihnen beherrschen zu lassen, aber wir haben es nie getan.

Liebe Gemeinde!

Zugegeben, diese Beschreibung von Himmel und Hölle lässt viele Fragen offen: Wie sieht der Himmel aus, wie die Wesen, die ihn bevölkern. Was müssen wir in der Hölle erwarten. Wer wird uns da begegnen. Aber ich glaube mit dem Verfasser der Geschichte, wir müssen überhaupt von unserer Vorstellung abrücken, der Himmel und die Hölle wären irgendwo weit weg außerhalb unserer Welt. Jedenfalls sagt die Geschichte nichts darüber, ob Himmel und Hölle irgendwo auch einen "geographischen" Ort haben. Dagegen beantwortet sie uns die Frage, wo Himmel und Hölle ganz gewiss zu finden sind, nämlich in uns selbst - und das nicht erst in Gottes Ewigkeit, nein, schon hier und heute.

Das haben wir ja vielleicht schon einmal gehört, aber hier wird doch sehr deutlich, was den Himmel und die Hölle in uns ausmacht. Kurz gesagt, heißt "im Himmel sein": Dinge zu tun, so zu reden, denken und zu handeln, dass wir menschlich werden und bleiben. Die Hölle in uns ist: Wenn wir es in unserem Leben verfehlen, menschlich, das heißt ein wahrer Mensch zu sein.

Und wir dürfen auch wissen, was es in der Praxis heißt, menschlich zu leben: Sich um andere Menschen "zu kümmern, großzügig und aufrichtig und loyal zu sein, unseren Geist und unser Herz zu entwickeln, unsere Triebe zu beherrschen, statt uns von ihnen beherrschen zu lassen." Ganz gewiss könnten wir hier noch viele Eigenschaften ergänzen und viele Tugenden, die für uns einen wahren Menschen ausmachen. Und wir würden als Christen sicher auch noch den Glauben an Gott nennen und die Nachfolge Jesu Christi und die Nächstenliebe und sonst noch einiges, was uns als Christinnen und Christen wichtig ist. Aber ich denke, es ist klar, was uns die Geschichte lehren möchte: Unser eigenes Verhalten, wie wir leben und handeln ist unser Himmel oder unsere Hölle. Und auch das, was die Geschichte uns weiter sagen will, stimmt sicher: Es ist ein großer Schmerz und es ist die eigentliche Hölle, wenn wir es versäumen, was wir doch eigentlich könnten, nämlich wirklich menschlich zu sein, so zu leben, dass wir schon heute den Himmel in uns haben, eben all das für die Mitmenschen zu tun, was der Erzähler an guten Taten und Eigenschaften aufzählt. Und auch da können wir ihm doch nur Recht geben: Es ist wirklich gut, es schenkt uns Glück und befriedigt uns, wenn wir menschlich sind, großzügig, aufrichtig und loyal... Warum also sollten wir uns nicht einladen lassen, wahre Menschen zu werden?

Eines, liebe Gemeinde, was der Verfasser der Erzählung schreibt, müssen wir allerdings aus der Geschichte herauslösen und in unsere Situation übertragen. Ich meine das, was am Ende dieses Satzes steht: "...man hätte ein wirklich menschliches Wesen, ein wahrer Mensch sein können, aber nun ist es zu spät." Es ist dieses "zu spät", was eben noch nicht unser Verhängnis ist. Wir leben noch - die Erzählung bezieht sich aber auf die Zeit nach dem Tod. Hören wir noch einmal den ersten Satz der Worte des Paulus aus dem Epheserbrief: "So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und nutzt die Zeit." Es ist für uns eben nicht zu spät, ja, nach unserem Glauben als Christen ist es nie zu spät, so lange wir leben: Denken wir an die "Arbeiter im Weinberg" (Mt.20,1-16): Noch die Arbeiter der letzten Stunde erhalten den vollen Lohn. Oder denken wir an den "Verlorenen Sohn" (Lk.15,11-32). Er hat alles durchgebracht, alles verprasst und verspielt, er darf nicht mehr erwarten, je wieder seines Vaters Sohn zu heißen und er erwartet es auch nicht. Aber der Vater wartet schon auf ihn und empfängt ihn mit offenen Armen, setzt ihn wieder als seinen Sohn ein und feiert ein Fest mit ihm.

Nein, es ist nie zu spät! Darum nutzen wir die Zeit. Wenn wir bis heute auch die Hölle in unserem Leben hatten, morgen kann der Himmel in uns beginnen. Auch Paulus will uns wie der Verfasser der Geschichte dazu ermuntern, so zu werden, wie Gott uns gemeint hat: "Lasst euch vom Geist erfüllen. Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus." Amen