Predigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis - 31.8.2014

Textlesung: 2. Sam. 12,1-10.13-15a

Und der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt's wie eine Tochter. Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat. Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter. Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei. Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. Und Nathan ging heim. Und der HERR schlug das Kind, das Urias Frau David geboren hatte, so dass es todkrank wurde.

Liebe Gemeinde!

Eine packende Geschichte mit sehr ernsten Zügen, so könnten wir diese Verse zusammenfassen. Aber erst einmal wollen wir uns in aller Kürze die Vorgeschichte in Erinnerung rufen:

König David hatte aus dem Fenster seines Palastes eine wunderschöne Frau beim Baden beobachtet. Da sie mit Uria, einem seiner Soldaten verheiratet war, konnte er sie nicht seinem Harem einverleiben. Also sorgt er dafür, dass der Hauptmann seiner Truppen den Uria bei einem Kriegszug in die vorderste Reihe stellt. Die anderen Soldaten ziehen sich im Kampfgetümmel zurück. Uria fällt. Seine Frau ist frei für die Verbindung mit David. Hier setzt die Geschichte, die wir eben gehört haben ein: "Und der HERR sandte Nathan zu David..."

Was der Prophet dem David erzählt, ist packend, habe ich gesagt. Und das ist es im wahrsten Sinne des Wortes. Nathan baut geschickt eine Falle auf: "Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm." Warum sollte David hier schon denken, es ginge um ihn und um das, was er getan hat? Reiche und Arme gab es in seinem Königreich viele! Auch die Sache mit dem Schäflein, das der arme Mann mit so viel Liebe und Fürsorge aufzieht, ist wohl nichts Ungewöhnliches gewesen, jedenfalls hat David sicher noch nicht begriffen, worauf die Geschichte hinauswill: "Er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt's wie eine Tochter." Ja, warum denn nicht, wird der König gedacht haben. "Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war." Jetzt schnappt die Falle zu und es wird "ernst": "Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat!" Der König weiß noch nicht, dass er selbst der Reiche ist, aber er spricht ihm das Urteil. Nathan ist am Ziel: Er packt David mit dem einfachen Satz: "Du bist der Mann!"

Liebe Gemeinde, Sie haben das vielleicht jetzt gemerkt: Mich begeistert diese Geschichte immer wieder, wenn ich sie höre oder an sie denke. So müsste man einem Mitmenschen sagen, was er Falsches getan hat. Und - das wollen wir auch nicht verschweigen - so müsste auch uns immer wieder einmal einer deutlich machen, was wir uns haben zu Schulden kommen lassen. Wie aber ist es damit im praktischen Leben bestellt? Sind unsere Erfahrungen da nicht ganz anders? - - -

Ein Kollege hat sich dem Chef gegenüber sehr unkollegial geäußert. Er hat einen anderen Mitarbeiter der Firma angeschwärzt und verleumdet. Was tun wir, wenn wir davon etwas mitgekommen?

Gehen wir zu dem verleumderischen Kollegen und stellen ihn zur Rede? Bearbeiten wir ihn, dass er wieder gut macht, was er angerichtet hat? Oder schweigen wir, ziehen uns vielleicht von diesem Kollegen zurück und lassen ihn nur mit Blicken und unserem Verhalten spüren, dass wir nicht in Ordnung finden, was er getan hat? Die Frage ist allerdings, ob er das überhaupt bemerkt?

Der Nachbar zur Rechten aus unserer Straße lästert bei jeder Gelegenheit über die Migrantenfamilie, die seit ein paar Monaten schräg gegenüber wohnt. Die Leute sind eigentlich ganz in Ordnung und bemühen sich um Anpassung und ein Leben, das die "Einheimischen" nicht befremdet oder gar stört. Trotzdem: Der Nachbar hört nicht auf mit seinem Geschwätz über die Migranten. Viel Unwahres ist in seinem Reden über sie. Manches, was sie auch in ihrer Ehre herabsetzt.

Nutzen wir die Gelegenheit einer Begegnung mit dem Nachbarn, um ihm unsere bessere Meinung über die "Fremden" mitzuteilen? Versuchen wir ihn abzubringen von seiner Lästerei? Oder denken wir: Was geht's uns an? Und: Warum soll ich für diese Migranten das eigene gute Verhältnis zu diesem Nachbarn gefährden? - Wobei die Frage allerdings bleibt, ob das ein "gutes" Verhältnis ist?

In dieser Art könnte ich noch einige Beispiele finden. Nicht er-finden, wohlgemerkt, denn so oder ähnlich geht es zu in vielen Lebensbereichen: Zwischen Parteigenossen, Vereinsmitgliedern, Freunden und sogar in der Familie.

Nun werden Sie denken: Wir heißen doch nicht Nathan und wir sind auch keine Propheten. Außerdem haben wir doch gar keinen Auftrag, unsere Mitmenschen zur Rede zu stellen! Gewiss, das erste stimmt: Nathan heißen wir nicht. Aber Propheten...? Die sollen wir schon sein, wenn Gott uns dazu gebrauchen will. Und einen Auftrag dazu haben wir allemal! Wenn Unrecht geschieht, wenn Menschen böse und gemein, hinterhältig und verletzend gegenüber anderen sind, dann geht uns das an! Denken wir daran was Jesus seinen Leuten gesagt hat, also auch uns: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten." (Lk.10,27ff) Wer in dieser Liebe steht, kann nicht schweigen, wenn seinem Mitmenschen Unrecht getan wird. Er kann aber sich aber auch demgegenüber, der das Unrecht tut, nicht so geben, als wäre alles in Ordnung.

Oder denken wir an das 8. Gebot: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten! Wir wissen, dass wir zu kurz greifen, wenn wir nur nicht lügen. Hier geht es um die Wahrheit. Wenn nicht wahr ist, was einer sagt oder tut, dann sind wir gefordert, uns dagegen zu stellen. Und nicht nur, indem wir uns abwenden oder feige heraushalten oder böse Blicke senden. Die Wahrheit muss aus- und angesprochen werden, sie muss ans Licht. Was die Wahrheit ausmacht, hat Martin Luther in seiner Erklärungen zum 8. Gebot sehr schön so formuliert: Nicht falsch Zeugnis ablegen heißt auch "dass wir unsern Nächsten [...] entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren." Und selbstverständlich ist das auch immer von der anderen Seite her zu sehen: Wir selbst sollen uns auch dem öffnen, was uns ein anderer als unser Nächster zu sagen hat, wenn er es wahrhaftig und in der Liebe tut. Wir sollen darüber nachdenken, es uns zu Herzen nehmen und befolgen, wenn er Recht hat.

So unangenehm das auch sein mag, das falsche Reden und Handeln eines Mitmenschen anzusprechen oder anzunehmen, dass ein anderer uns zurechtweist - es hat eine große Verheißung. David bereut und spricht so zu Nathan: "Ich habe gesündigt gegen den HERRN." Darum kann ihm vergeben werden: "Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen..."

Auch wir dürfen auf Vergebung hoffen, wenn uns Leid tut, was wir versäumen oder was wir Unrechtes sagen oder wenn wir falsch handeln, denn Gott ist gnädig. AMEN