Predigt zum 5. Sonntag nach Trinitatis - 30.6.2013

Textlesung: Lk. 14, 25 - 33

Es ging aber eine große Menge mit ihm; und er wandte sich um und sprach zu ihnen: Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen, damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten, und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann's nicht ausführen? Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit Zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit Zwanzigtausend? Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist, und bittet um Frieden. So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.

Liebe Gemeinde!

Sehr verlockend ist das nicht: Um Jesus nachzufolgen sollen wir "Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern" und dazu noch uns selbst hassen. Außerdem gilt es, "unser Kreuz zu tragen". Und nicht genug damit, wir sollen uns auch noch "von allem lossagen, was wir haben", also wie Nonnen und Mönche in Armut leben. - Wer wird diesem Jesus folgen?

Vielleicht will er die "große Menge", die damals mit ihm ging und uns heute ja nur abschrecken? "Lasst euch ja nicht auf meine Sache ein! Ihr schafft das sowieso nicht!" - Dann aber hätten diese Verse nun wirklich nichts im Evangelium verloren! Aber wenn es Jesus gelungen wäre, die Menschen damals zu vergraulen, wären diese Zeilen heute wohl auch gar nicht im Neuen Testament zu lesen, ja, es gäbe überhaupt kein Neues Testament. Die Frage ist wirklich: Was will Jesus mit diesen wenig gefälligen Worten erreichen? Was sollen diese völlig überzogenen Forderungen?

Mir fielen einige Stellen in den Evangelien ein, die genauso übertrieben klingen. Diese zum Beispiel: "Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist." (Mt.5,48) - Ja, wer kann denn das? Wenn einer das wirklich wörtlich verstehen wollte und es mit der Vollkommenheit versuchte, dann müsste er doch daran versagen! Oder die Stelle, in der Jesus einen Feigenbaum hat verdorren lassen: "Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, so werdet ihr nicht allein Taten wie die mit dem Feigenbaum tun, sondern, wenn ihr zu diesem Berge sagt: Heb dich und wirf dich ins Meer!, so wird's geschehen." (Mt.21,21) - Das konnte keiner von den Jüngern damals und mir ist auch heute noch niemand begegnet, der so etwas fertiggebracht hätte. Bei der Flutkatastrophe im Osten unseres Landes vor Wochen hätte der Beweis für solche Fähigkeiten erbracht werden können. Und dabei wäre es nicht einmal um Berge, sondern nur um die Versetzung und Erhöhung von Deichen gegangen. Schließlich sagt Jesus im Gespräch mit dem reichen Jüngling, der wissen wollte, wie er das Ewige Leben erlangt: "Es fehlt dir noch eines. Verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!" (Lk.18,18-27) - Auch das scheint mir übertrieben! Damals schon und noch mehr heute. Wer kann sich das denn leisten, alles zu verkaufen, was er besitzt, um dann wie Jesus heimatlos umherzuziehen und vom Bettel zu leben.

Es ist schon so: Das alles kann nicht so gemeint sein, wie es dasteht. Weder können wir je so vollkommen sein, wie unser himmlischer Vater, noch können wir Berge versetzen, noch wird einer bereit sein, alles aufzugeben, was er in dieser Welt besitzt - was wir auch als ziemlich leichtfertig ansehen würden, gerade dann, wenn eine oder einer noch Verantwortung als Mutter oder Vater für seine Kinder oder als Tochter oder Sohn für seine alten Eltern trägt. - Aber wie ist es gemeint? Und steht dabei nicht auf dem Spiel, dass wir Jesus überhaupt noch glauben können, was er sagt?

Was wir von Jesus am Ende der Geschichte vom reichen Jüngling lesen, scheint mir da wie der Schlüssel zum Verständnis dieser übertriebenen Forderungen. Dort steht: "Wie schwer kommen die Reichen in das Reich Gottes! Denn es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme." Daraufhin fragen ihn die Menschen, die das hören: "Wer kann dann selig werden?" Und jetzt kommt der für mich entscheidende Satz: "Jesus aber sprach: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich."

Jetzt könnten wir denken: Aha, Gott sieht das nicht so eng, wie sein Sohn. Salopp gesprochen: Bei Gott wird alles nicht so heiß gegessen, wie Jesus es gekocht hat! Aber so ist es wohl auch nicht. Ich glaube, wenn wir es noch ein wenig anders ausdrücken, kommen wir der Sache näher und verstehen sie noch besser: Gottes Maßstab ist nicht so streng wie der, den Jesus anlegt. Und das hat einen guten Grund: In Jesus spricht Gott uns direkt an. Er steht sozusagen vor uns und fragt uns, lockt uns, ihm zu folgen und stellt auch seine Forderungen. Und da hätte es wenig Sinn, wenn er sagte: Ihr müsst besser werden als bisher. Das wird jede und jeder anders verstehen. "Ihr sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater!", ist dagegen eine klare Ansage! Das entmutigt vielleicht manche. Andere aber, die es mit Gottes Sache ernst meinen, wird es anspornen und sie werden sich um größere Vollkommenheit bemühen.

Und wenn Jesus uns versprechen würde: Ihr könnt auch einen Feigenbaum verdorren lassen! Dann würde uns das doch kaum interessieren. Berge versetzen dagegen... Das ist eine Sache, die wäre so gewaltig, darin äußerte sich eine solche Macht, wie sie nur Gott selbst hat und einer, der ihm ganz eng verbunden ist! Wer das könnte, der dürfte sicher sein, dass er Gottes Kind ist, seine Tochter, sein Sohn. Und das sicher zu wissen, war schon immer ein starker Antrieb - nicht nur für Christen.

Schließlich ist da noch diese überzogene Forderung an den reichen Jüngling und an alle, die etwas besitzen in dieser Welt - also auch an uns: Verkaufe alles und gib's den Armen! Es kann nicht sein, dass jede und jeder das tut. Und wenn es möglich wäre, dann fehlte sehr bald ein Ziel, das uns überhaupt leben lässt. Wir wollen ja doch auch etwas gewinnen, weiterkommen, unsere Träume und Hoffnungen verwirklichen. Doch nicht nur, um dann alles wegzugeben! Das will auch Gott nicht von uns verlangen. - Was aber will er von uns? Wozu dienen Jesu übertriebene Forderungen?

Benutzen wir jetzt den Schlüssel, der in diesem letzten Satz der Geschichte vom reichen Jüngling zu finden ist: "Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich." Eigentlich wussten wir das doch schon immer: Gottes Gedanken sind nicht unsere Gedanken und seine Wege sind nicht unsere Wege! (Jes.55,8) Sie sind viel höher und sie sind ganz anders. Und Gottes Möglichkeiten sind nie am Ende und er lässt Dinge geschehen, an die wir nie gedacht hätten. Vor allem aber sieht Gott nicht unsere Taten allein, sondern unser Herz an. Und er beurteilt nicht das, was wir fertig bringen, sondern auch das, was wir wollten und worum wir uns nach Kräften bemüht haben.

Mit diesem Schlüssel in der Hand können wir die Fragen um die übertriebenen Forderungen Jesu lösen: Nein, wir werden niemals vollkommen sein wie Gott, aber wir können uns im Hintergrund unseres Denkens, Redens und Handelns nach immer größerer Vollkommenheit strecken. Und Gott wird uns dazu seinen Segen schenken. Und wir werden keine Berge versetzen, aber wir werden auf unserem Weg durch die Zeit, wenn wir an der Hand Gottes bleiben, immer erstaunlichere Dinge mit Gott erleben und manches davon wird uns persönlich viel größer erscheinen als das Versetzen eines Berges: Wenn Gott uns durch ein Gebet die Angst und alle Lasten von unserer Seele nimmt, wenn er uns nach durchwachter Nacht wieder einen Tag schenkt, an dem wir neuen Mut und neue Zuversicht bekommen oder wenn nach Monaten oder Jahren doch geschieht, was wir uns so sehnlich gewünscht haben, dann ist das mehr als einen Berg zu versetzen und wunderbarer ist es auch!

Und Gott verlangt auch nicht, dass wir alles hergeben und besitzlos leben. Was er von uns haben will und im Glauben an ihn und im Vertrauen auf ihn auch von uns bekommen kann, ist ein Umgang mit unserem Eigentum, das ja sein Geschenk ist und bleibt, der auch teilen kann, der nicht am Hab und Gut hängt, als lebten wir nur davon, sondern der sich immer bewusst ist, dass "der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern von einem jedem Wort, das aus dem Mund Gottes geht." (Mt.4,4)

Aber kehren wir jetzt noch einmal zu unserer heutigen Geschichte zurück und zu den anstößigen Worten, die Jesus hier sagt: Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. [...] Jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.

Ja, auch das ist übertrieben! Ja, auch diese Forderungen sind nicht genauso gemeint, wie sie im Evangelium stehen. Wenn wir hier noch einmal unseren "Schlüssel zum Verständnis" anlegen, dann lesen wir sie vielleicht so: Wenn einer mit Jesus leben will und kann nicht alle menschlichen Beziehungen und Bindungen dem unterordnen, dann kann Jesus ihn nicht brauchen. Das Leben mit Jesus ist das wichtigste für uns Christinnen und Christen. In seiner Spur zu gehen, ist der Sinn, ihm nachzufolgen führt ans Ziel unseres Lebens. Dafür lohnt es sich allemal, sich von Menschen und Dingen loszusagen, die uns am Leben mit Jesus hindern wollen. Menschen können uns nicht retten. Unser Besitz bleibt in dieser Welt und wird einmal anderen gehören. Was wir in unserem Leben mit Jesus sammeln, bleibt dagegen ewig. AMEN