Predigt zum 9. Sonnt. nach Trinitatis - 5.8.2012

Textlesung: Jer. 1, 4 - 10

Und des HERRN Wort geschah zu mir: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.

Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: "Ich bin zu jung", sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.

Liebe Gemeinde!

Ganz klar: Wir denken hier sofort, dass diese Worte doch wohl nicht uns meinen! Uns hat Gott nicht schon ehe wir geboren wurden "bereitet" und "ausgesondert", und wir sind auch nicht zu Propheten bestellt. Darum kämen wir auch niemals in die Lage, uns gegen einen solchen Auftrag wehren zu müssen. Was aber sollen wir dann mit diesen Versen anfangen? Können wir an ihnen nur etwas darüber erfahren, wie es dem Propheten Jeremia ergangen ist ... oder sollen sie auch uns etwas sagen? - - -

Irgendwie ist der Gedanke doch abwegig, dass wir alle zu Propheten werden sollten! Es gibt schließlich auch andere - nicht weniger wichtige - Aufgaben! Zum Beispiel sind wir alle von Gott dazu bestellt, unsere Mitmenschen zu lieben! Und treu und verlässlich zu sein, ist auch ein Auftrag, der für uns alle gilt. Auch sollen wir einander nach Kräften helfen und beistehen, einer den anderen trösten, aufbauen, wenn wir ganz unten sind, Hoffnung machen und uns gegenseitig den Glauben stärken. - Aber tun wir das immer?

Gut, wir sagen dann vielleicht weder, ich tauge nicht dazu, noch wir wären zu jung... Aber denken oder sprechen wir dann nicht vielleicht so oder so ähnlich: "Ich kann diesen Mitmenschen einfach nicht lieben, er hat mich zu sehr gekränkt!" - "Mein Nachbar hat mich furchtbar enttäuscht! Er hat mich so hängen lassen, als ich ihn gebraucht hätte, obwohl er mir Hilfe versprochen hatte - da muss ich jetzt auch nicht verlässlich sein und mein Wort halten!" - "Mir steht auch keiner bei und Trost kriege ich schon gar keinen, warum soll ich mich da um andere bemühen? Und was den Glauben angeht, der ist sowieso jedermanns Privatsache!"

Aber es gibt auch noch ganz andere, speziellere Aufgaben, die jede und jeder von uns hat. Ich glaube fest, dass es Gott ist, der uns damit beauftragt, ja, ich könnte auch sagen, dass uns Gott dazu von Mutterleib an "bereitet und aussondert". Ich denke da an die Aufgabe, die wir als Eltern und Großeltern haben, unseren Kindern und Enkeln gute Erzieherinnen und Erzieher zu sein und ein Vorbild dafür, wie man menschlich und christlich lebt. Und wenn wir keine eigenen Kinder haben, dann haben wir diesen Auftrag für unsere Patenkinder und alle Kinder und Jugendlichen in unserer Nähe. Denn es ist immer die Erwachsenengeneration, an der die Jüngeren in ihrem Denken, Reden und Verhalten Maß nehmen und sich orientieren.

Vielleicht haben wir auch das Talent, Menschen zu führen oder sind mit besonderer Weitsicht und der Fähigkeit begabt, unterschiedliche Meinungen zusammenzubringen und das Leben eines Gemeinwesens zu organisieren und die Wohlfahrt einer Gemeinschaft zu fördern. Dann sollten wir uns um ein politisches Mandat bemühen oder uns für die Wahl in den Vorstand unserer Kirchengemeinde oder unseres Vereins bewerben. Überall in solchen Ämtern braucht es Leute, die bereit sind, Verantwortung für andere zu übernehmen und die nicht zuerst an das eigene Fortkommen oder die eigene Karriere denken.

Ganz wichtig ist der Auftrag, den gewiss auch einige von uns mitbekommen haben: Ich meine den, anderen Menschen beruflich oder im Ehrenamt zu dienen, sie zu pflegen, zu betreuen, für sie zu sorgen und für sie zu sprechen, wo sie das selbst nicht (mehr) können. In Krankenhäusern, in Alten- und Pflegeheimen und in Behinderteneinrichtungen ist großer Bedarf an Frauen und Männern, die dort nicht zuerst einen Job suchen, sondern aus Berufung und mit der Kraft und der Ausdauer der Nächstenliebe für die Kranken, Alten und Schwachen arbeiten.

Und es gibt viele andere, noch speziellere Aufgaben, die uns Gott gestellt hat: Eine hat gestalterische Fähigkeiten mitbekommen. Einer ist mathematisch begabt. Eine Dritte schreibt gern und kann überhaupt gut mit der Sprache umgehen. - Ich bin ganz sicher, jede und jeder von uns hat eine solche ganz eigene Begabung, vielleicht auch zwei oder drei. Auch die Gabe, den Glauben der Christen fröhlich vorzuleben, davon zu sprechen und dafür zu zeugen gehört in diese Reihe.

Liebe Gemeinde, genauso fest, wie ich glaube, dass jede und jeder solche Gaben - oder sagen wir jetzt: Aufgaben - von Gott mit auf den Lebensweg bekommen hat, genauso fest bin ich davon überzeugt, dass keine und keiner von uns diese Aufgaben nur für sich selbst erfüllen soll. Wir Menschen, zumal wir Christinnen und Christen, sind für die Gemeinschaft gemacht, füreinander, damit in der Gemeinde alle Gaben zusammenwirken und eine und einer den anderen damit dienen, ihnen Trost, Freude, Hilfe und Beistand geben kann, je nachdem.

So ist es doch wohl für uns ganz selbstverständlich, dass einer, der gut verdient oder Vermögen hat, mehr auf den Teller oder in den Klingelbeutel legt, wenn für die Armen in unserer Gesellschaft oder die Hungernden in der Welt gesammelt wird, als einer, der jeden Cent selbst zum Leben braucht. Und von denen, die gut reden können, erwarten wir beim Vereins- oder Kirchenjubiläum doch wohl auch zuerst, dass sie die Festansprache übernehmen, nicht wahr?

Aber ist es nicht seltsam, dass wir solche Erwartungen eher bei den Gaben anderer haben? Warum nur sind wir nicht bereit, unsere eigenen Begabungen genauso selbstverständlich anderen zum Nutzen einzusetzen? Da hört man z.B. die pensionierte Pädagogin sagen, wenn es um die Mitarbeit bei der Hausaufgabenbetreuung von Grundschülern geht: "Ich bin doch schon drei Jahre raus aus der Schule - und außerdem war ich in der fünften bis zehnten Klasse eingesetzt!" Und von dem ehemaligen Buchhalter, der zum Kassenwart des Gesangvereins vorgeschlagen wird, kann man hören: "Ich war in einem mittleren Unternehmen tätig. Von einer Vereinskasse habe ich keine Ahnung!"

Wenn ein Mensch trösten kann, weil er viel Einfühlungsvermögen hat, es aber nicht tun will, dann ist das noch einmal eine ganz andere, ernstere Sache. Und wenn der, dem ein fester Glaube geschenkt ist, nicht davon sprechen mag, weil er diesen Glauben für seine Privatsache hält, dann würden wir sicher alle sagen, dass sich ein echter Christ, der diesen Namen mit Recht tragen will, hier nicht entziehen darf.

Aber warum sind wir oft so...zurückhaltend, wenn es um unsere Gaben und darum um den Auftrag Gottes an uns geht? - Das hat viele Gründe. Sicher auch solche, die wir nicht allein verantworten. So gibt uns diese Zeit heute doch sehr viele Möglichkeiten, uns in unsere eigene kleine Welt und in die eigenen vier Wände zurückzuziehen. Wir brauchen einander oberflächlich betrachtet nicht mehr so, wie noch vor 40 oder gar 60 Jahren. Fast jeder hat sein eigenes Auto, ist also nicht darauf angewiesen, dass ihn ein anderer zur Arbeit oder sonstwohin mitnimmt. Die meisten Menschen leben nur noch in der Kleinfamilie oder ganz allein und müssen sich wenig nach den Wünschen und Bedürfnissen anderer richten. Selbst unsere Unterhaltung machen wir uns allein: In vielen Haushalten gibt es sogar mehrere Fernseher und jeder kann sein eigenes Programm wählen.

Wie gesagt: Wir verantworten die Möglichkeiten der Zeit nicht allein, aber wir haben es oft auch aufgegeben, uns am einen oder anderen Punkt dagegen zu stemmen - und das müssten wir! Denn wir spüren es genau, dass wir nicht für ein solches Leben geschaffen sind, das uns mehr und mehr vereinzelt und von den anderen Menschen trennt. Und wenn wir nur einmal aufmerksam in uns hinein horchen, dann merken wir es deutlich: Wir leiden auch daran, dass wir uns so voneinander abwenden und abwenden lassen. Wie Gott zu Jeremia gesprochen hat, haben wir gehört. Ob er nicht zu uns so spräche: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und gab dir Gaben mit und Aufgaben. Was würde Gott uns wohl sagen, wenn wir ihm entgegnen: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht dazu; die Aufgabe zu erfüllen, denn ich bin zu jung, zu alt, habe keine Lust und will auch lieber für mich sein...?

Dem Jeremia, der die Aufgabe hatte, ein Prophet zu werden, hat Gott versprochen: "Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund." Und er hat ihm gesagt: "Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir!" Gott wird auch mit uns sein, wenn wir die Gaben anwenden, die er uns geschenkt hat und seine Aufträge an den anderen Menschen erfüllen. Und Freude wird uns das auch noch machen und es wird unseren Glauben stärken und unser Leben bereichern. AMEN