Predigt zum Altjahrsabend - 31.12.2011

Textlesung: 2. Mose 13, 20 - 22

So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

Liebe Gemeinde am Altjahrsabend!

Das war eine kurze Beschreibung der Wüstenwanderung der Israeliten, nachdem sie aus Ägypten ausgezogen sind. Eine sehr kurze Beschreibung für eine Wanderung, die am Ende 40 Jahre gedauert hat. Aber was ist ihre Botschaft? Was will sie uns an der Schwelle eines neuen Jahres sagen?

Vielleicht denken wir bei "Wolkensäule" an den Sinai, den Berg, an dessen Fuß das Volk Israel wartet, während Mose - oben auf dem Berg - von Gott die Tafeln mit den 10 Geboten empfängt? Dazu heißt es im 2. Buch Mose: "Als nun Mose auf den Berg kam, bedeckte die Wolke den Berg, und die Herrlichkeit des Herrn ließ sich nieder auf dem Berg Sinai, und die Wolke bedeckte ihn sechs Tage; und am siebenten Tage erging der Ruf des Herrn an Mose aus der Wolke. (2.Mos.24,15f) Die Wolke war also auch hier schon das Zeichen der Anwesenheit Gottes. Vielleicht denken wir aber auch daran, dass Berge, besonders Vulkane, in alter Zeit immer schon als Sitz von Gottheiten galten?

Was auch immer uns dabei einfällt, wenn wir Wolken- und Feuersäule hören, in dieser Geschichte von der langen Wanderung Israels durch die Wüste ist etwas entscheidend anders: Die Wolkensäule bleibt nicht oben auf irgendeinem Berg fest und unbeweglich stehen, wie ein Gipfelkreuz. Die Feuersäule speist sich nicht oben aus dem Krater und erneuert sich dort ständig aus dem Schoß der Erde. Hier ist von einem Zeichen für einen Gott die Rede, der seinen Sitz nicht auf irgendeinem Berg oder sonst einem Ort hat, sondern der mitgeht mit seinem Volk, der seine Menschen begleitet, bei ihnen ist und ihnen immer voraus ist, "um sie den rechten Weg zu führen", wie es hier heißt.

Es ist also gar nicht so wenig, was wir in diesen kurzen Zeilen über den Gott Israels erfahren, der ja auch unser Gott ist: Er hat keinen festen Ort, an dem er aufgesucht und angebetet werden muss. Er ist überall da, wo die Menschen sind, die ihn verehren. Ja, er kommt sogar zu seinen Menschen, geht mit ihnen auf all ihren Wegen, bleibt bei ihnen - nicht nur 40 Jahre, nein, ein Leben lang!

Wie von selbst gehen unsere Gedanken ja jetzt ein paar Tage zurück nach Weihnachten, zur Geburt unseres Herrn, den wir den Sohn Gottes nennen. Finden wir an der Krippe Jesu nicht einiges wieder, was wir in der uralten Geschichte von der Wüstenwanderung Israels gefunden haben, nur vielleicht noch klarer, deutlicher und mehr zu Herzen gehend: In diesem Kind hat Gott auch keinen festen Ort in dieser Welt! Nicht im Palast wird Gott auf dieser Erde geboren, sondern in einem Viehstall. Gott kommt zu den Menschen - und zu den Ärmsten, den Ausgestoßenen und Verachteten zuerst: Hirten und Sterndeuter sind die ersten, die davon erfahren. Und sie beten das Kind nicht im Tempel, nicht in irgendeinem Gotteshaus, sondern in einem Stall zwischen Ochs und Esel an. In diesem Jesus, in diesem Kind, dass zum Heiland der Welt wird, geht Gott, wenn wir ihm glauben, alle Wege mit uns und voraus. Er ist bei uns auf den sonnenbeschienenen Höhen unseres Lebens und er bleibt bei uns in den Zeiten, in denen uns der Weg hinabführt in die dunklen Täler des Leids, der Trauer, der Krankheit und der Behinderung - bis ans Ende - nicht nur ein Leben lang, sondern ewig! So ist manches, was wir als Christinnen und Christen mit unserem Herrn erfahren und erleben dürfen, schon in der Geschichte der Wüstenwanderung Israels abgebildet und vorweggenommen und zeigt uns, dass der Gott Israels der Vater Jesu Christi und unser aller Vater ist.

Aber schauen wir noch einmal in die alte Geschichte der Wanderung Israels durch die Wüste. Etwas haben wir noch nicht in unsere Geschichte mit Jesus Christus übertragen, nämlich die zwei Zeichen für die Anwesenheit Gottes, von denen hier die Rede ist: "Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten." Was sind für uns heute diese zwei Dinge, die uns den rechten Weg zeigen und uns den Lebensweg erhellen, damit wir sichere Schritte in die richtige Richtung tun können?

Was zeigt uns den rechten Weg?

Mir fielen gleich einige Beispiele für ein und dieselbe Sache ein: Ich musste an unsere Großeltern und Urgroßeltern denken, die in einer Zeit gelebt haben, in der es noch keine allabendliche Zerstreuung durch das Fernsehen gab, in der auch noch nicht über 100.000 Bücher jährlich neu auf den Markt kamen. Wie oft haben sie noch ihre Winterabende - ohne elektrisches Licht! - bei Kerzenschein mit einer Handarbeit verbracht und dann mit einer Lesung aus dem einzigen Buch, das sie hatten, beendet: der Bibel. Und vielleicht gingen sie danach erfüllter und fröhlicher in ihre Schlafkammer als wir heute - nach einem Tatort oder einer Talkshow?

Aber mir fielen auch Menschen aus unseren Tagen ein, die jeden Morgen vor oder nach dem Frühstück ihr Losungsbuch in die Hand nehmen und sich ein gutes Wort Gottes in den Tag mitgeben lassen. Oft genug sparen sie sich diese Zeit buchstäblich vom Munde ab oder sie stehen dafür sogar früher auf, als sie das müssten. Und sie scheinen dadurch ja auf eine schöne und hilfreiche Weise zu gewinnen, sonst hätten sie diese Lesung wohl schon lange wieder ein- und stattdessen den Wecker auf fünf Minuten später gestellt.

Schließlich musste ich an die Menschen denken, die wie Sie heute (Abend) die biblische Botschaft nicht lesen, sondern hören und ausgelegt bekommen wollen. Und ich will das nun gar nicht als die Krönung des Gebrauchs der Bibel hinstellen, nur weil ich die Aufgabe der Auslegung der Heiligen Schrift übernommen habe. Es ist doch vielmehr so, dass Sie, als regelmäßige Gottesdienstbesucher, immer wieder einmal hier auch Predigten hören, die Ihnen nicht so eingehen und nicht in Ihre Lebensumstände hineinsprechen. Und - unsere Konfirmanden werden bestätigen - manche Predigt ist einfach nur langweilig und uninteressant, weil sich schon der Predigttext der Predigerin oder dem Prediger nicht erschlossen hat. Aber - und hier kommt eben noch ein wichtiger Gedanke hinzu - das Wort Gottes sucht unser Ohr und unser Herz nicht nur mit Texten und Geschichten, die uns eingängig sind und unser Interesse finden. Manchmal will Gott uns auch auf Dinge aufmerksam machen, die wir noch nie bedacht haben und die doch wichtig sind oder vielleicht später in unserem Leben wichtig werden können: Mit Krankheit oder gar dem Sterben zum Beispiel beschäftigt sich niemand so gern! Trotzdem legt Gott uns in seinem Wort immer wieder einmal einen Gedanken vor, der sich - sozusagen bevor wir ihn brauchen können - in unser Gedächtnis stiehlt. Wenn es dann soweit ist, dass er uns nötig wird, dann ist er schon da - vielleicht tief drinnen in unserer Erinnerung, aber er ist da! - Es ist also Gottes Wort, das uns den rechten Weg zeigt, wie damals die Wolkensäule den Israeliten! Und wir tun gut daran, nach dem Wegweiser, der Heiligen Schrift, zu schauen.

Was aber erhellt uns den Weg, dass wir die richtigen Schritte tun können?

Ich glaube, dazu ist ihnen jetzt auch schon etwas eingefallen, denn es ist immer ganz in der Nähe, wenn wir uns mit Gottes Wort beschäftigen. Ich will dazu auch ein paar Beispiele geben:

Die Alten, unsere Vorfahren, haben den Abend jedes Tages nicht nur mit einer Bibellese beschlossen, sondern sie haben ganz am Ende, bevor sie zu Bett gingen, auch noch die Hände gefaltet und für die Bewahrung über Tag gedankt und ihre Bitte um eine ruhige Nacht und ein gesundes Erwachen vor Gott gebracht. Dann hat ein gemeinsames Vaterunser und ein Segen die Abendandacht abgeschlossen.

Die Menschen, die heute an jedem Morgen das Losungsbuch vornehmen, schließen mit ihrer Lesung oft genauso. Häufig endet der Losungstext ja sogar in einem Gebet. Oft aber sprechen die Menschen auch noch ein paar eigene Bitten oder sie danken für die Ruhe und Erholung der Nacht.

Und wenn wir nun noch an die Predigt denken, die im Gottesdienst der Gemeinde das Wort der Heiligen Schrift laut werden lässt: Auch sie ist umrahmt vom Gebet, am Eingang des Gottesdienstes und am Ende in der Fürbitte und dem Vaterunser. Die Fürbitte nimmt dabei häufig die Gedanken der Ansprache noch einmal auf, formt sie in Bitten um und in Dank dafür, dass Gott uns überhaupt nicht ohne sein gutes Wort gelassen hat, sondern uns Weisung und Hilfe gibt, unser Leben in dieser Welt zu bestehen. - So ist es also das Gebet, das uns den Weg erhellt, dass wir den Weg nicht verfehlen, sondern ans Ziel kommen, das Gott uns bereitet hat.

Und beides, das Wort Gottes in der Heiligen Schrift und unser Gebet gehören untrennbar zusammen und sind heute die Zeichen dafür, dass Gott bei uns ist und mit uns den Lebensweg geht. Amen