Predigt zum Ewigkeitssonntag - 20.11.2011

Textlesung: Lk. 12, 42 - 48

Der Herr aber sprach: Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht? Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht. Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen.

Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen, dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen. Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, hat aber nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden müssen. Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.

Liebe Gemeinde!

„Schön" sind diese Verse nicht. Und sie erfüllen auch ganz und gar nicht unsere Erwartungen am Ewigkeitssonntag. Wir hatten uns erhofft, hier in der Kirche ein wenig Trost zu finden, wenn wir an unsere Verstorbenen denken. Denn das tun wir heute und das hat uns heute Morgen auch in diesen Gottesdienst geführt. Und jetzt diese harten, unbarmherzigen Worte: „Er wird ihn in Stücke hauen lassen", „er wird viel Schläge erleiden müssen", „er wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen" ... Was soll daran tröstlich sein? Ja, wer ist hier überhaupt gemeint? Doch wohl nicht die Menschen, an die wir heute voll Traurigkeit denken?

Hier kann ich ein klares Nein sagen! Unsere Verstorbenen, die Menschen, von denen wir Abschied nehmen mussten, sind nicht gemeint! Aber bevor wir hier weiterfragen und -denken, wollen wir die Gelegenheit nutzen, mit einer falschen Vorstellung aufzuräumen, die uns immer wieder in den Sinn kommt, wenn wir einem Menschen die Trauerfeier halten und ihn zu Grabe tragen. Wobei eigentlich schon falsch ist, dass wir „ihm" die Trauerfeier halten.

Der Mensch, der gestorben ist, hört nicht mehr, was beim Abschied von ihm und über ihn in der Kirche, der Trauerhalle oder am Grab gesprochen wird. Er ist nicht mehr in dieser Welt. Er kann seinem Leben und allem, was er in seinen Jahren getan oder versäumt hat, nichts mehr hinzufügen und nichts mehr abziehen. Gewiss werden wir jetzt sagen: Aber das ist doch ganz klar und das wussten wir auch schon! Trotzdem gefiele es uns besser, wenn bei einem Gottesdienst zum Abschied der Sarg unseres Verstorbenen in der Kirche stünde und nicht schon draußen in der Trauerhalle..., wo er oder sie doch „nicht wirklich dabei ist". Noch einmal, weil es nunmal wahr ist: Er oder sie ist nicht mehr in dieser Welt! Er oder sie hört nicht mehr, was wir in der Beerdigungsfeier hören!

Aber kehren wir zurück zu diesen ernsten Worten: „Er wird ihn in Stücke hauen lassen", „er wird viel Schläge erleiden müssen", „er wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen"... Es ist kein Zweifel, hier sind wir gemeint! Zugegeben: Das sind sehr harte Worte, aber wir erkennen daran, dass es hier auch um sehr wichtige Dinge geht! Aber worum geht es?

Jesus spricht von einem „klugen und treuen Verwalter". Und wir Menschen des 21. Jahrhunderts dürfen hier selbstverständlich auch an „kluge und treue Verwalterinnen" denken. Und was ist die Aufgabe eines solchen Verwalters? Sie sind vom Herrn „über seine Leute" gesetzt, „damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht". Hier sind also Menschen angesprochen, die auf irgendeine Weise für andere Verantwortung tragen. Aber bevor wir uns nun Gedanken darüber machen, ob hier nicht vielleicht an Vorgesetzte im Betrieb, an Vorsitzende im Verein oder in der Kirche an KirchenvorsteherInnen gedacht ist, nehmen wir das doch ganz einfach so, wie es gemeint ist: „Menschen, die auf irgendeine Weise für andere Verantwortung tragen", also wir alle!

Und das ist doch auch so: Dass wir Verantwortung füreinander, Aufgaben und Aufträge aneinander haben. Unser ganzes Leben lang ist das so: Denken wir an die Mütter und Väter, die ihre Kinder lieben und pflegen und in ein eigenes Leben hinein begleiten und eigentlich doch auch wenn die Kinder längst erwachsen sind mit Rat und Tat für sie da sind. - Was für eine Aufgabe!

Oder denken wir an unsere Freundinnen und Freunde: Haben wir uns einmal miteinander eingelassen und vertraut gemacht, dann können wir uns einander nicht mehr entziehen, es sei denn durch einen wirklich schmerzhaften Bruch - schmerzhaft auf beiden Seiten. - Wir sind füreinander verantwortlich! Schließlich gibt es auch noch diesen Auftrag - und den gibt es in unserer und der kommenden Zeit immer häufiger: Dass wir - jetzt als Kinder - unsere alten Eltern betreuen, sie pflegen und ihnen das Gefühl vermitteln, dass wir gern für sie sorgen, dass wir uns freuen, sie in unserer Nähe zu haben, dass sie nicht übrig, sondern uns wichtig und lieb sind! - Das ist nicht leicht! Sie haben es gemerkt: Von den anderen Aufgaben und Aufträgen in Betrieb, Verein oder der Kirche habe ich gar nicht gesprochen. Die gibt es auch und die kommen für manche Menschen noch zu allem anderen hinzu. Nicht gesprochen habe ich aber auch von der Verantwortung, an die Jesus hier sicher zuallererst und ganz besonders gedacht hat: Ich will sie einmal Verantwortung für den Glauben unserer Mitmenschen nennen.

Ganz gewiss hätte es Jesus mehr gestört und erzürnt, wenn Väter oder Mütter ihr Kind das Beten nicht mehr lehren, als wenn eine oder einer dem Freund die Freundschaft aufkündigt. Und ganz gewiss wäre ihm auch wichtiger gewesen, dass zwischen Menschen, die in Ehe oder Familie miteinander leben, auch der Glaube an seinen (unseren!) himmlischen Vater eine Rolle spielt, als dass ein Chef seinem Angestellten regelmäßig für seine Arbeit dankt.

Wie sagt Jesus: „Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht?" Darum geht es: Was einem Menschen von einem anderen „zusteht". Und das sind eine ganze Menge Dinge, die alle mit der Grundhaltung des Glaubens zu tun haben:

Unseren Kindern und Enkeln steht von uns zu, dass wir ihnen das, woran wir selbst glauben nach Kräften lieb und wert machen: Indem wir mit ihnen und für sie beten, ihnen von unseren Erfahrungen mit Gott erzählen und ihnen die Geschichten der Bibel nahebringen.

Allen Menschen, die mit uns das Leben teilen, steht von uns zu, dass wir die Fragen des Glaubens, z.B. Vergebung, Tod, Hoffnung, Auferstehung und Ewiges Leben nicht ängstlich vermeiden, sondern ansprechen, wo sie dran sind und dafür einstehen, was wir glauben und was uns wichtig ist.

Unseren Eltern schließlich steht zu, dass wir sie in der gleichen Liebe, wie Gott sie für uns alle hat, umsorgen, pflegen und ihnen auch im Alter ein würdiges Leben bereiten und damit ein Zeugnis ablegen, wie der Glaube in unserem Innern aussieht. - Das ist die Verheißung, die Jesus für solche Verwalter hat: „Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht."

Liebe Gemeinde, vielleicht fragen Sie sich jetzt, warum uns diese Worte Jesu ausgerechnet heute am Totensonntag oder Ewigkeitssonntag, wie er auch heißt, zu bedenken vorgelegt sind?

Einen Grund dafür haben wir schon besprochen: Weil heute - wie auch bei jedem Abschied von einem Menschen - die Botschaft der Predigt eigentlich nicht die Toten, sondern die Lebenden angeht! Dann aber auch, weil in unserer Zeit fast nur noch über Äußerlichkeiten gesprochen, nachgedacht und über sie informiert wird. Die wesentlichen Fragen sind an den Rand des gesellschaftlichen und privaten Lebens verdrängt worden: Worüber reden wir, wenn wir uns im Alltag begegnen? - Über das Wetter und die Benzinpreise. Was fragen wir unser Kind zuerst, wenn es nach Hause kommt? - Was hast du für eine Note in der Englischarbeit? Was fällt uns als erstes ein, wenn unser Vater seit Tagen schlecht schläft? - Ob dir der Arzt nicht einmal ein anderes Medikament verschreiben sollte?

Heute hören wir von dem, was anderen Menschen von uns „zusteht", wenn wir an Gott, wenn wir an Jesus Christus glauben. Wir haben als Christinnen und Christen Aufgaben an anderen Menschen. Der Glaube ist auch ein Auftrag, von dem zu erzählen, den ins Gespräch zu bringen und für den zu zeugen, auf den sich unser Glaube bezieht: Jesus Christus. Schließlich sind wir auch verantwortlich dafür, dass die Mitmenschen, besonders unsere Ehegatten, Kinder, Enkel und unsere anderen Angehörigen und alle, die wir liebhaben, an unserem Denken, Reden und Handeln ablesen können, wie sich Christinnen und Christen in dieser Zeit verhalten und was sie glauben.

Um unsere Verstorbenen wollen wir uns heute wie zu aller Zeit keine Sorgen machen. Sie sind bei Gott geborgen und in guter Hut. Wir, die noch leben und zu leben haben, wollen uns darüber sorgen und Gedanken machen, was uns von unserem Herrn an Glauben anvertraut ist und wie wir ihn durch unser Vorbild und Zeugnis an unsere Mitmenschen weitergeben können. „Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern." AMEN