Predigt zum Buß- und Bettag - 17.11.2010

Textlesung: Röm. 2, 1 - 11

Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest. Wir wissen aber, dass Gottes Urteil recht ist über die, die solches tun. Denkst du aber, o Mensch, der du die richtest, die solches tun, und tust auch dasselbe, dass du dem Urteil Gottes entrinnen wirst? Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet? Du aber mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufst dir selbst Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jeden geben wird nach seinen Werken: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Leben; Ungnade und Zorn aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die Böses tun, zuerst der Juden und ebenso der Griechen; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden allen denen, die Gutes tun, zuerst den Juden und ebenso den Griechen. Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott.

Liebe Gemeinde!

Da haben wir doch sicher noch die Gedanken und vielleicht auch die Worte der Predigt zum Reformationstag im Kopf: "Unsere Erlösung, unser ewiges Heil kommt allein durch den Glauben an Jesus Christus, der für uns gestorben ist und nicht durch unsere Mühen, unsere Werke und Verdienste." - Und dann so etwas: "Gott wird einem jeden geben nach seinen Werken: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Leben; Ungnade und Zorn aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die Böses tun ..." Wie passt das zusammen? Gar nicht! Es kann aber auch nicht zusammenpassen, denn es ist an unterschiedliche Menschen mit einem ganz unterschiedlichen Glauben gerichtet: Am Reformationstag etwa sind die Christen angesprochen, die das Evangelium, das Martin Luther für uns wiederentdeckt hat, begriffen haben. Sie wissen, dass wir allein durch das Blut Jesu Christi gerecht gemacht sind vor Gott. Die Verse heute (am Bußtag) wenden sich dagegen an solche - damals vornehmlich an die Juden (von Rom) - die in der Erfüllung des Gesetzes die Gerechtigkeit vor Gott finden wollen. Oft war es allerdings so, dass manche Anhänger des jüdischen Glaubens meinten, schon im Hören auf das Gesetz Gottes läge ihr Heil. Denen sagt Paulus hier unmissverständlich: Wenn ihr auf Werke (des Gesetzes) vertraut, dann müsst ihr sie auch tun. Wenn ihr aber streitsüchtig seid und die Wahrheit nicht achtet und Gottes Willen nicht gehorcht, vielmehr Böses tut, dann kommt Gottes Zorn, Trübsal und Angst über euch!

Es kommt also immer darauf an, was unser Glaube ist und worauf wir unser Vertrauen setzen: Allein auf Jesus Christus oder auf uns selbst und unsere Werke und Verdienste. Wer für das Gesetz lebt, der wird auch nach dem Gesetz be- und vielleicht verurteilt. Wer sich allein auf Christi Kreuz verlässt, der wird Gottes Güte und seine Vergebung finden - und er wird nach Kräften, aus reiner Dankbarkeit gegenüber seinem Erlöser, gute Werke tun und Gottes Willen zu erfüllen versuchen.

Jetzt könnten wir denken, die Worte des Paulus sind ja also gar nicht für uns evangelische Christinnen und Christen bestimmt. Wir denken doch nicht gesetzlich und vertrauen ja nicht auf unsere Werke. Und Jesus Christus ist auch der, auf den wir uns im Leben und im Sterben verlassen; er ist unser Herr und Heiland. Aber wenn wir hier ganz ehrlich sind, in uns gehen und nach den tiefsten Gründen unseres Denkens und Handelns fragen, werden wir es merken: wie viel Gesetzlichkeit doch noch in uns ist, wie sehr wir auch in unserer Sache mit Gott noch Verdienste suchen und der Meinung verhaftet sind, wir müssten Gott doch gewiss besser gefallen, wenn wir uns mehr als andere um gute Taten bemühen und uns mehr als die Mitmenschen für unsere Nächsten einsetzen.

Darum sind die Worte des Paulus heute wohl doch an uns gerichtet und sie passen durchaus auch für uns. Darum gehen wir ihnen einmal entlang und fragen wir uns, wo wir in Gefahr stehen, Jesus Christus und sein Kreuz als tiefsten Grund unseres Glaubens zu verlassen (und vielleicht zu verraten):

"Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du auch bist, der du richtest. Denn worin du den andern richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest." - Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten (und schon in den vergangenen Jahren) einige Male erleben müssen, dass Politiker, kurz nachdem sie ihr politisches Amt aufgegeben haben, eine hoch dotierte Anstellung in der Wirtschaft angenommen haben. Ich denke, keine und keiner von uns hat das gutheißen können. Wenn der Anstellungsträger dann auch noch ein Unternehmen ist, dem vorher durch den entsprechenden Politiker Millionenaufträge vermittelt worden sind, dann verurteilen wir das zutiefst und finden es ehrlos und unanständig. Aber ich frage Sie und mich selbst einmal ganz persönlich: Wenn sich uns eine solche Chance bieten würde? Wenn wir miteinemal zu Spitzenverdienern werden und sich die vielleicht jahrelang geknüpften Beziehungen endlich lohnen könnten, würden wir dann nicht zugreifen? Und würden wir das, was wir dann tun, immer noch als unanständig und nicht ehrenhaft empfinden? Es wäre gewiss eine große Versuchung und mancher von uns würde ihr erliegen. Und es wäre doch auch eine Handlungsweise gegen unsere innerste Überzeugung, denn wir wissen es doch, dass unser Heil nicht darin liegt, dass wir Einfluss oder viel Geld gewinnen, sondern allein im Kreuz Christi. Und wir wissen auch, dass Beziehungen auszunutzen, für uns Christen kein guter Weg ist, in Ämter oder Anstellungen zu gelangen.

"... verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?" Ist es nicht wirklich immer wieder so bei uns, dass wir - auch im religiösen Leben - meinen, wir müssten uns irgendwie hervortun, mehr tun als andere, besser sein. Wobei dieses Mehr und dieses Besser sein etwas ist, was wir uns auflegen oder auferlegen lassen wie eine Pflicht. Das kann ein Dienst in unserer Familie und Verwandtschaft sein. Das kann die Mitarbeit in der Kirchengemeinde sein oder unsere Bereitschaft zum Spenden und Opfern für Menschen in der Ferne oder Nähe, die unsere Hilfe brauchen. Sie fragen jetzt sicher: Aber was ist denn daran schlecht, wenn wir uns so einsetzen? Ich antworte: Der Einsatz ist nicht schlecht, alles was wir da tun ist im Gegenteil gut und wichtig und für die Menschen, denen wir es tun, hilfreich. Aber die Motive sind oft nicht gut. Sie sind davon geprägt, dass wir meinen, wir müssten uns mühen und einsetzen - weil wir Gott dadurch mehr gefallen, ihn vielleicht auch für uns einnehmen und günstig stimmen. Noch einmal: So ist es oft, nicht immer. Wenn es aber so ist, dann handeln wir gegen das Wissen, dass Gott in Jesus Christus schon alles für uns getan hat, was unser Heil ist und uns zum Ewigen Leben führt. Wir können dem nichts mehr hinzufügen - in Ewigkeit nicht! - was Gottes Liebe zu uns oder seine Güte mit uns vergrößern könnte. Denn - und das sagt Paulus ja hier auch ausdrücklich - "es ist kein Ansehen der Person vor Gott". Um des Kreuzes Christi willen hat Gott uns ewig lieb. Weil ER sich für uns in den Tod gegeben hat, ist Gott voller Barmherzigkeit und Güte für uns. Wenn wir das begriffen haben - oder sagen wir besser: wenn uns das in unserem Herzen begeistert und in unserer Seele überwältigt hat, dann werden wir nach Kräften alle guten Taten und viele gute Werke tun. Weil wir dankbar sind. Zutiefst und ehrlich dankbar.

"Du aber mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen ... der du streitsüchtig bist und der Wahrheit nicht gehorchst und Böses tust, häufst dir selbst Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes." Liebe Gemeinde, hier sind wir nun auch beim Thema dieses Tages: bei der Buße. Und die haben auch wir Christen nötig! Immer wieder fallen wir zurück in Verhaltensweisen, die uns als durch Christus erlöste Menschen, nicht wohl anstehen: Ja, "verstockt" sind wir, wenn wir im Gespräch darauf beharren, Recht zu haben, wenn wir doch schon lange wissen, die Meinung der anderen Seite ist richtig. "Verstockt" sind wir, wenn wir Gewohnheiten oder Denkweisen nicht ändern, die nicht zu einem Christen, einer Christin passen - und das obgleich wir eigentlich erkannt haben, dass wir uns dringend ändern müssten. Aber wir "gehorchen" halt nicht immer "der erkannten Wahrheit", weil es uns unbequem ist und zu mühsam. Und auch deshalb, weil es uns oft ja auch einen Vorteil bringt, wenn wir so bleiben, wie wir sind. Aber da sind wir dann auch bei dem "Bösen" von dem Paulus spricht, denn es ist böse, nicht dass zu tun, was wir als das Wahre und Richtige erkannt haben und es ist böse, darin zu verharren, wie wir immer schon waren, wenn wir der Güte und Barmherzigkeit Gottes begegnet sind und an den Herrn Jesus Christus glauben!

Liebe Gemeinde, der Buß- und Bettag ist uns zwar als Feiertag vor Jahren genommen worden. Wir aber wollen ihn weiter als einen Tag der Besinnung halten und verstehen und die Worte des Paulus bedenken, uns an ihnen prüfen und hoffen, dass uns auch die Verheißung am Ende der Verse gilt und für uns wahr wird: Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden allen denen, die Gutes tun. AMEN