Predigt zum 19. Sonntag nach Trinitatis - 10.10.2010

Textlesung: Eph. 4, 22 - 32

Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen, und gebt nicht Raum dem Teufel. Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut, damit er dem Bedürftigen abgeben kann. Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören. Und betrübt nicht den heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung. Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

Liebe Gemeinde!
Stellen sie sich vor, sie bekommen zum Geburtstag einen neuen Anzug, ein neues Kleid geschenkt. (Die Konfirmanden und die Jüngeren unter uns denken vielleicht an ganz schicke Klamotten, mit den man sich wirklich überall sehen lassen kann.) Was machen Sie damit? - Nun, Sie hängen sie in den Schrank und gehen weiter in Ihren alten Kleidern unter die Leute! - Aber nicht etwa, weil das neue Kleidungsstück nicht zu Ihnen passt - im Gegenteil. Es steht Ihnen sehr gut. Jeder würde zu Ihnen sagen: Das sitzt ja ganz großartig! Und die tollen Farben! - Sie aber lassen es trotz allem im Schrank verschwinden und tragen lieber die alten Sachen, voller schadhafter Stellen und Flecke, farblos, ohne Form und Sitz. - Seltsam, nicht wahr? Wer kann das begreifen?
Und wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich auch so einen Anzug (so ein Kleid) zu Hause! Ich habe ihn (es) auch noch nie angehabt, jedenfalls nicht, wenn ich mich in der Öffentlichkeit zeige - nicht einmal am Sonntag. Das schöne Kleidungsstück hängt auch bei mir nur im Schrank. Ich lüfte es von Zeit zu Zeit. Aber sonst? Wirklich: Ich muss auch über mich selbst den Kopf schütteln. Was ist das nur für ein merkwürdiges Verhalten! - Wie meinen Sie? Sie wissen nichts von einem neuen Kleid, einem neuen Anzug? (Ihr Konfirmanden und ihr Jungen meint: "Wenn uns doch nur jemand so schicke Kleider schenken würde!")

Aber haben wir das eben nicht alle gehört: "Zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist!" Und wir wissen doch auch, wie dieses neue Kleidungsstück aussieht; wir kennen seine Farben: "Wahrheit ... dem Bedürftigen geben ... Worte der Erbauung". Und wir wissen sogar, warum wir dieses Kleid geschenkt bekommen haben, den Anlass sozusagen: "Seid vielmehr gegeneinander gütig, barmherzig, und vergebet einander, wie auch Gott durch Christus euch vergeben hat!"
Wir haben also dieses Kleid, diesen Anzug, diese schicken Sachen. Sie gehören uns und passen uns. Wir sähen gut damit aus und wir könnten und wir sollten sie auch tragen. - Aber wir lassen sie zu Hause im Schrank hängen! Und auch heute Morgen haben wir diese schönen Kleider nicht angezogen! Es ist vielmehr das alte, fleckige Kleid, das wir auf dem Leib haben, der zerschlissene Rock, die speckig-graue Hose ...

Eben bei der Lesung des Textes zu dieser Predigt haben wir uns vielleicht sogar in unseren alten Kleidern in Positur gesetzt, haben sie um uns gestrafft, sie am Revers oder Kragen gepackt - so als wollten wir nicht von ihnen lassen. Die eine unter uns hat dabei den Gedanken gehabt: "Was passt dieser alte Text doch so gut für die oder den!" Dass diese Worte vielleicht auch für sie selbst gemeint waren, ist ihr nicht aufgegangen. Ein anderer hat bei "Zorn" oder "Diebstahl" oder "faulen Worten" wieder Erinnerungen an Erfahrungen mit Menschen aus seinem Gedächtnis heraufgeholt ... Dabei ist das vielleicht ja bei Gott inzwischen längst vergeben und für immer abgetan? Wir aber - in unserem alten Kleid - wollen sie nicht loslassen und nicht endlich auch verzeihen.
Noch einer hier hat bei sich gedacht: "Was hat das alles denn für einen Sinn? Hören die Leute diese Botschaft des Wortes Gottes überhaupt? Wollen sie diese Botschaft hören? Und sperre ich mich nicht auch selbst immer wieder gegen Gottes Wort, wenn es mich verändern will, wenn Gott mir sozusagen das neue Kleid hinhält und das alte von mir nehmen will?" - Ich will auch hier ganz ehrlich sein: Der (die) so gedacht hat, bin ich gewesen!
Warum hängen wir eigentlich so an den alten Kleidern? Das hat wohl viel mit Gewohnheit zu tun:

- Wir sind jahrelang immer denselben Weg zu unserer Arbeitsstelle gefahren. Erst eine Baustelle, über die wir uns auch noch sehr aufregen, lässt uns eine kürzere Strecke zum Arbeitsplatz entdecken.

- Sitzen jetzt hier im Gottesdienst nicht auch alle immer wieder auf denselben Plätzen? Und in diesem oder jenem Gemeindekreis, bei der Vorstandssitzung, beim Vereinsabend ...? Suchen wir da nicht auch immer wieder denselben Platz auf und ärgern uns, wenn schon ein anderer darauf sitzt?

- Die neue Matratze im Bett mag ja gesünderes Liegen versprechen, aber es dauert eine sehr lange Zeit, bis wir uns mit ihr wohl fühlen! Immer wieder denken wir voll Sehnsucht an die alte Matratze: die hatte die Kuhle an der richtigen Stelle!
Andererseits stürzen wir uns doch auch gern auf alles "Moderne", alles Neue:

- Die Werbung weiß schon, warum sie das Wörtchen "neu" so gern verwendet!

- Und wenn wir ein neues Auto haben, fahren wir dann nicht auch einmal völlig unnötig spazieren? Wer lässt es seinen Nachbarn nicht gerne sehen, dass er einen neuen, vielleicht teuren Wagen angeschafft hat?

- Erblicken wir an Heiligabend in der Christvesper nicht auch jedes Jahr so manchen Pelz, so manche Kette, die hier vorgeführt werden, weil sie neu sind?

Warum also lassen wir das neue Kleid, den neuen Anzug, die schicken Sachen, die uns Gott geschenkt hat, zu Hause im Schrank hängen und verbergen sie vor aller Augen?
Gut: Wir hängen an den alten Sachen. Sie sind uns alle mehr oder weniger vertraut, die Dinge, von denen wir hier hören: die Lüge, der Zorn, das faule Geschwätz ... Aber diese "Kleider" sind unansehnlich, stehen uns nicht, passen nicht zu uns! Die neuen Sachen dagegen sind uns wie angemessen, bringen unseren Typ als Menschen und besonders als Christen zur Geltung und sitzen wie angegossen! Und keiner kann sagen, wir wollten damit nur herausstreichen, was wir uns leisten können: Die Kleider sind uns schließlich geschenkt worden! Und den anderen auch! Keiner hat diese neuen Kleider den anderen voraus! Sie hängen bei uns allen zu Hause im Schrank! Dort aber gehören sie nicht hin, denn wir haben sie bekommen, dass wir sie auch tragen!

Und da ist noch etwas, hören wir nur genau hin: "Und betrübt nicht den heiligen Geist Gottes!" Das muss den Schenker dieser neuen schönen Kleider doch wirklich kränken, wenn wir die guten Sachen, die er uns gibt, in unserem Kleiderschrank verbergen! - Doch, es ist schon so: Wir legen alle hier dasselbe merkwürdige Verhalten an den Tag! Wir sitzen hier in unseren alten Kleidern und wollen nicht von ihnen lassen. Und entspricht das nicht auch dem Bild, das wir voneinander haben?: Der hat immer das an. Die trägt immer jenes. Der hat dies oder das an sich - schon seit Jahren und wohl für immer!

Liebe Gemeinde, wenn wir - die wir heute hier beisammen sind - nun alle auch gemeinsam einen Entschluss fassen: Weg mit den alten Sachen! Zur Altkleidersammlung damit! Und her mit den neuen Kleidern, die uns Gott angemessen und geschenkt hat!: den Anzug der "Wahrheit". Den Rock der "Güte". Die Hose der "Barmherzigkeit". Die neue, weite Kluft der "Vergebung". Fassen wir doch endlich den Mut, diese neuen Kleider anzuziehen! Und geben wir auch einander Raum und Möglichkeit, Altes abzustreifen und das Neue anzulegen. Dabei müssen wir uns darauf einstellen, dass wir einander ein völlig neues Bild abgeben. Darum wollen wir offen sein für die neuen Sachen unserer Schwestern und Brüder!
Noch einmal: Wollen wir das heute nicht wirklich miteinander abmachen: Am kommenden Sonntag treffen wir uns alle wieder hier - und tragen die neuen Sachen! Wenn keiner von uns kneift, können wir den Mut dazu finden! Stellen sie sich vor: Die eine im lichtweißen Gewand der Wahrheit! Die Empore drüben strahlte vom Hellblau der Güte! Hier und dort und vorn und hinten das Bunte der gegenseitigem Liebe. Und überall das Gold der Vergebung - der Vergebung Gottes und untereinander! Welche Pracht würde dieses Gotteshaus füllen!
Und auch ich will (wenigstens unter meinem Talar) meinen neuen Anzug tragen. Wenn ich in die Kirche komme und wenn ich hernach wieder gehe, sollen sie ihn sehen: das Grün meiner Hoffnung, dass Gott selbst die Menschen bewegen kann und verändert! Das Gelb meines neuen Muts, dass nicht umsonst ist, was ich hier im Auftrag Gottes predige. Und das Violett auch der eigenen Umkehr: Es ist kein Grund zu resignieren und zu meinen, die Botschaft Gottes käme nicht mehr an die Menschen.
Und geben wir diese Gedanken doch auch noch weiter - auch an alle, die heute nicht hier sind. Sagen wir ihnen: Ihr könnt auch endlich das alte Kleid abtun. Gott hat uns ein neues geschenkt. Lasst es nicht länger nutzlos im Schrank hängen. Zieht es an und lasst euch damit sehen. Und zeigen wir ihnen, dass wir sie nicht länger auf ihre "alten Kleider" festlegen. Vergeben wir und geben wir so dem neuen Kleid und dem neuen Anfang Raum!
Ich glaube fest, dass wir dem "heiligen Geist Gottes" damit Freude machen. So wird in unsere Feier auch noch das Rot seiner Liebe kommen. Wie prächtig wird das hier in unserer Kirche werden - und auch draußen! Bis nächsten Sonntag also, liebe Gemeinde - im neuen Kleid! - Abgemacht? AMEN