Predigt zum 9. Sonnt. nach Trinitatis - 1.8.2010

Textlesung: Phil. 3, 7 - 11 (12 - 14)

Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet. Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwänglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn. Um seinetwillen ist mir das alles ein Schaden geworden, und ich erachte es für Dreck, damit ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird.

Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleichgestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.

Liebe Gemeinde!

Immer wieder kann man die Meinung hören, der evangelische Glaube wäre doch bedeutend einfacher, wenn wir - wie Paulus das vor seiner Bekehrung auch gedacht hat - das Gesetz Gottes zu erfüllen hätten und deshalb dann von Gott gerecht gesprochen würden. Ganz konkret und praktisch gesagt: Wir halten Gottes Gebote und er schenkt uns dafür die Auferstehung und seine Ewigkeit. Und wo es nicht so ganz klappt mit dem Leben nach dem Gesetz, da tritt Christus für uns ein und erwirkt uns Vergebung durch sein Leiden und Sterben am Kreuz von Golgatha - und wir werden durch ihn ganz gerecht vor Gott und können im Jüngsten Gericht bestehen.

Ja, so wäre es einfach und plausibel - denken viele. Und so entspricht es auch ziemlich genau der Vorstellung vieler Christen unserer Tage! Nur ist das nicht der evangelische Glaube!

Lassen wir uns einmal von Paulus erklären, wie es wirklich ist und dem Evangelium von Jesus Christus gemäß: "Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet. Ja, ich erachte es noch alles für Schaden gegenüber der überschwänglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn." Mit "Gewinn" meint Paulus sein früheres Leben nach dem Gesetz! Ja, er hat die Gebote Gottes ganz besonders streng beachtet! Wenn einer sich etwas auf seine Gesetzestreue hätte einbilden können, dann er! In seinem Gesetzeseifer und um Gott gefällig zu sein, hatte er ja auch die ersten Christen verfolgt, gefangen genommen und der religiösen Gerichtsbarkeit übergeben. Alles das aber nennt er jetzt "Schaden", bucht es nicht mehr als "Gewinn", sondern als "Verlust", ja, er bezeichnet es sogar als "Dreck"! Warum? Weil er Jesus Christus "erkannt" hat. Weil er verstanden hat, dass wir Gottes Gebote nie erfüllen können. Weil ihm klar geworden ist, dass Gottes Gesetz uns eigentlich nur deutlich machen will, dass wir aus uns selbst nicht gerecht werden können. Wir brauchen Hilfe dazu. Wir brauchen einen, der für uns das Gesetz erfüllt.

Von diesem einen spricht Paulus weiter: "... damit ich Christus gewinne und in ihm gefunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird." In diesem einen Satz liegt eigentlich der Kern und die Mitte des Evangeliums und die Mitte unseres evangelischen Glaubens! Aber diese "frohe Botschaft", leuchtet nicht sofort ein! Paulus musste auch erst einmal begreifen, dass vieles von dem, was ihm als geborener Jude wertvoll und teuer war, seit Jesus Christus in die Welt gekommen ist, nicht mehr galt. Sein jüdischer Glaube gründete ja auf der Meinung, wir Menschen müssten uns um ein gottgefälliges Leben bemühen und es ginge darum, akribisch Gottes Gebote und die über 600 Einzelvorschriften des göttlichen Gesetzes zu halten, wie sie in der Thora (den fünf Büchern Mose) aufgeschrieben sind. Wir wissen, weil wir es in der Apostelgeschichte lesen können (Apg. 9,3ff), dass Paulus durch ein sehr eindrückliches Erlebnis von Christus selbst zur Erkenntnis des neuen Glaubenswegs geführt worden ist. Und dieser neue Weg heißt: Aus uns selbst können wir Gott nicht gefallen. Wir sind und bleiben vor ihm Sünder ein Leben lang. Allein Jesu Opfer am Kreuz macht uns rein von aller Sünde und Schuld und öffnet uns die Tür zu Gott und einem befreiten Leben in seinem und unserer Nächsten Dienst.

Aber schauen wir noch, wie es bei unserem Reformator Martin Luther war. Auch er war in einem Glauben aufgewachsen, der von ihm verlangte, durch eigene Leistung gerecht vor Gott zu werden. Beten, Almosen geben, Fasten und manchmal auch sich selbst mit Schlafentzug oder mit der Geißel zu quälen gehörte zu den Übungen, die er als Mönch auf sich nahm, um Gott gnädig zu stimmen und vor seinem Urteil bestehen zu können. Bei ihm war es ganz ähnlich wie bei Paulus: Im sogenannten "Turmerlebnis" bekam er die alles verändernde Erleuchtung - und ausgerechnet noch durch einen Vers aus den Paulusbriefen, dem Galaterbrief, wo er las: "Der Gerechte wird aus Glauben leben" (Gal. 3,11). Er begriff daran, dass uns bei Gott nicht unser Bemühen, nicht unsere Arbeit und Leistung erwerben kann, dass wir ihm recht sind, sondern nur der Glaube an Jesus Christus und sein Opfer am Kreuz - für uns und alle Menschen. Nach dieser Nacht im Turm des Schwarzen Klosters in Wittenberg war Martin Luther ein anderer geworden. Er erzählt davon so: "Die Pforten des Paradieses waren mir aufgetan!" Er hatte das Geheimnis des evangelischen Glaubens verstanden und damit genau das, was Paulus auch in den Versen schreibt, die wir heute betrachten: "... dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird .

Liebe Gemeinde, das Vorbild des Apostels Paulus und unseres Reformators Martin Luther könnte uns zur Hilfe werden, heute den Glauben neu zu fassen und - wo wir ihn schon haben - zu festigen. Wir können an der Lebensgeschichte und dem Vorbild der beiden gleich einige wichtige Dinge ablesen, die zu einem Glauben gehören, der sich evangelisch nennen darf:

Die Mitte dieses Glaubens ist Jesus Christus. Nicht unsere Leistung, unser Bemühen um Gottes Gerechtigkeit, nicht unsere religiösen Bußübungen und Anstrengungen können uns Gottes Liebe gewinnen, sondern allein ER, der für unsere Sünde und Schuld in Leiden und Tod ging. Daran können wir nicht mehr herumdeuteln. Davon lässt sich nichts abziehen und wir können dem auch nichts hinzufügen. So wollte und will Gott es haben: Auf Jesus Christus sollen wir uns verlassen, ihm allein sollen wir Vertrauen im Leben und im Sterben. Er ist der Herr und sonst niemand. Er ist der Grund, warum Gott uns vergibt und uns die Auferstehung und seine Ewigkeit schenken will. Auf diesen Grund und sonst keinen, sollen wir unseren Glauben gründen und unser Lebenshaus bauen.

Aber - und jetzt rühren wir an das Geheimnis dieses Glaubens - nicht einmal diesen Glauben können wir uns erwerben oder durch Nachdenken oder Bemühen aneignen. Auch er ist ein Geschenk Gottes. Aber - und da sind wir wieder zurück beim Beispiel des Paulus und Martin Luthers - Gott will uns dieses Geschenk geben! Er bietet sogar einiges auf, dass wir begreifen, worauf sich unser Glaube richten soll! Der Tag, an dem unsere beiden Vorbilder im Glauben begriffen haben, war ein ganz außerordentlicher Tag! Dem einen gehen buchstäblich die Augen auf, nachdem er vorher blind gewesen ist. Der andere spricht vom "Paradies" in das er durch den neu gewonnenen Glauben eingetreten ist. Seitdem haben unzählige Christen diesen Glauben geschenkt bekommen. Und bei ihnen allen war es verbunden mit einem schönen, sie innerlich verändernden Erlebnis! Und es ist schön, wenn wir endlich den Kampf und Krampf hinter uns haben, Gott durch alle möglichen Anstrengungen und Angebote, durch unsere guten Werke, durch Spenden an wohltätige Einrichtungen, durch unsere Versprechen, uns zu bessern oder das, unseren Kirchgang zu steigern, für uns einnehmen zu wollen. Wenn wir durch sein Geschenk des Glaubens überwältigt, feststellen, dass Gott kein Rechenmeister ist, der unsere Sünden auf die eine und unser guten Taten auf die andere Seite schreibt und dann die Summe zieht, dann fühlen auch wir uns wie aus Blindheit sehend geworden und schon ein wenig wie im Paradies. Und dann gilt für uns auch nicht mehr, was ich am Anfang der Predigt gesagt habe, dass der Glaube, wie viele meinen, wenn wir ihn durch unsere Leistung erwerben könnten, doch einfacher wäre. Was könnte denn einfacher sein, als sich von Gott mit dem Glauben beschenken zu lassen?

Hier kommt nun sicher die Frage: Aber wie mache ich es denn, dass Gott mir diesen Glauben schenkt? Und ist das dann nicht auch wieder ein Bemühen meinerseits?

Auch hier ist die Antwort eigentlich ganz einfach: Fangen wir doch damit an, dass wir hören und uns sagen lassen, wie der Weg zum Glauben etwa bei Paulus und Martin Luther, aber auch bei allen anderen evangelischen Christen gewesen ist: Sie haben zuerst gehört und erkannt, dass nicht die eigene Leistung, die Mühe oder die Werke den Glauben erwerben können. Das zu wissen und dann sein Vertrauen eben nicht mehr auf Leistung, Mühe oder Werke zu setzen, macht unser Herz bereit für das Geschenk Gottes. Und um dieses Wissen müssen wir uns nicht bemühen. Wir hören davon und nehmen es an. Wir schauen auf die Vorbilder im Glauben und tun unser Herz auf - und Gott wird uns beschenken. AMEN