Predigt zum Sonntag "Reminiszere" - 28.2.2010

Textlesung: Röm. 5, 1 - 5 (6 - 11)

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist.

Liebe Gemeinde!

Warum soll ich es nicht zugeben: Heute wollte ich etwas Bestimmtes sagen - und habe dann erst geschaut, ob der Predigttext für diesen Sonntag etwas dazu hergibt. Das Amt der Predigt bewegt sich ja immer zwischen dem, was man verkündigen soll und dem, was man verkündigen will. Oder anders gesagt: Mal führt das, was der Prediger erlebt zu einer Predigt und mal das, was uns aus der Heiligen Schrift zu hören verordnet ist.

Aber ich bin in diesen Versen aus dem Römerbrief fündig geworden! Da steht etwas drin, das deckt durchaus ab, was ich heute gern sagen wollte. Aber dazu komme ich erst später. Gehen wir heute vom Leben, vom Er-lebten aus!

Immer wieder kann man von Gemeindegliedern hören, dass einen dieses oder jenes nichts angeht, dies oder das nicht kümmern muss, dass man sich "in etwas hineinhängt", ein Thema aufgreift, das einen doch gar nichts angeht oder dass man sich in persönliche Dinge mischt, die ganz und gar nicht die eigene Sache sind. Aber ganz konkret:

Wenn man zum Beispiel gefragt wird: Haben Sie schon gehört, die beiden, die schon so lange zusammenleben, gehen jetzt auseinander?, wenn man dann vielleicht antwortet: "Das wundert mich nicht. Verheiratet zu sein, sich einander öffentlich - am besten vor dem Altar Gottes - versprochen zu haben, ist halt doch etwas anderes und bindet die Menschen mehr als bloß so zusammenleben ...", dann bekommt man hinterher garantiert zugetragen: "Dass die beiden auseinander gehen ist doch schon schlimm genug. Muss der Pfarrer (der Prädikant, der Herr ...., die Frau ......) auch noch sein (ihr) Süppchen darauf kochen.

Oder wenn eine Frau oder ein Mann aus der Gemeinde sich irgendwo zum zweiten oder gar dritten Mal kirchlich trauen lässt und man um einen Kommentar gebeten wird ... Wenn man dann sagt: "Ich halte eine zweite Trauung in der Kirche für sehr problematisch, in der katholischen Kirche gibt es sie überhaupt nicht! Und die Wiedertrauung ist etwas, was man sich sehr reiflich überlegen sollte, schließlich hat man es ja schon einmal versprochen: "... bis dass der Tod uns scheidet ..." Und außerdem ist das oft eine Sache, die nur deswegen erbeten wird, weil es in der Kirche halt so feierlich ist ..." Wenn man solche Gedanken äußert, dann hört man wenig später ganz gewiss aus Kreisen der Betroffenen: "Soll unsere Tochter, unser Sohn denn ohne den Segen Gottes heiraten? Wir haben "in unserer Gemeinde" ja erst gar nicht gefragt und sind gleich woanders hingegangen, wir wissen ja, dass man bei uns so etwas nicht anbietet!" Oder man besinnt sich bei einem solchen Anlass sogar einmal auf seine Konfession und sagt: "Schließlich sind wir doch evangelisch! Da gibt es doch eine zweite Trauung!"

Und ist ein junger Mensch der Gemeinde aus der Kirche ausgetreten und man hat öffentlich davon gesprochen, dann kommt einem mit Sicherheit hinterher zu Ohren: "Das ist doch jedermanns eigene Sache! Das geht niemand anderes etwas an. Eine Frechheit, das in der Gemeinde bekannt zu machen - wo wir's doch nicht einmal der Oma gesagt haben, weil die sich so aufgeregt hätte!"

Immer wieder heißt es: Privatsache, meine Angelegenheit, was geht dich das an?

Aber jetzt komme ich zu ihnen, sie kennen das doch auch: Der Junge des Nachbarn hat öffentliches Eigentum beschädigt. Mutwillig! Was machen seine Eltern? Sie geben der Haftpflichtversicherung an, es wäre "nur versehentlich geschehen". Aber der Junge brüstet sich noch mit seiner Tat vor den Kameraden! - Hier wurde eine Gelegenheit versäumt, dem Jungen ein Stück Sorgfalt und eigene Verantwortlichkeit deutlich zu machen. - Schneiden sie das Thema bei den Nachbarn an, werden sie hören: "Das ist unsere Sache! Willst du dich in unsere Erziehung reinhängen? Dein Kind ist auch nicht besser!"

Ein alter Mensch im Dorf wird von seinen Leuten eigentlich nur ausgenutzt. Keiner im Haus kümmert sich wirklich um ihn. Niemand fährt ihn einmal irgendwohin: Nicht zum Altennachmittag des roten Kreuzes, nicht zum Seniorenkreis der Gemeinde oder zur Abfahrtsstelle für die Jahresfahrt der Kommune. Und er wollte doch so gern und er könnte das auch noch ... Sie gewinnen nach und nach den Eindruck, es ginge eigentlich nur um die gute Rente, die der alte Mensch bekommt. Von Fürsorge und Pflege ist ansonsten wenig zu spüren. - Aber sagen sie da einmal etwas! Sie stechen in ein Wespennest! Man wird sie angehen und ihnen unmissverständlich klar machen: Das ist unsere Privatsache! Halte dich da bloß raus!

Oder sprechen sie einen Menschen in ihrer Nähe auf seinen Glauben an, etwas, was anscheinend als besonders verwerflich gilt. Sie sagen ihm sogar, er wäre doch Christ, aber er schimpfe öffentlich eigentlich doch nur über die Sache der Christen. Oder: Er wolle doch, dass sein Kind konfirmiert wird, er würde es aber während der Konfirmandenzeit überhaupt nicht begleiten, vielmehr im Stich lassen. - Sie werden von diesem "Christen" etwas davon hören, dass besonders der Glaube eine "Privatangelegenheit" ist!

Oder - das wäre wahrscheinlich das allerschlimmste, was sie tun könnten - sie erinnern einen noch nicht so lange Verheirateten, der fremd geht, an das, was er seiner Frau bei der Trauung - vor Gottes Angesicht - versprochen hat. Auch in diesem Fall werden sie wenig Verständnis ernten, vielmehr würde so geantwortet: Das ist meine Privatsache! Kümmere dich um deinen eigenen Dreck!

Liebe Gemeinde, das stimmt aber nicht! Das alles sind keine Privatsachen der Einzelnen! Denn - und jetzt komme ich zu dem Satz aus der heutigen Predigtlesung, der mir zu dem gepasst hat, was ich schon lange einmal sagen wollte: "... die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist." Jawohl, wenn es manche auch nicht glauben wollen, es ist die Liebe, die uns anspornt, unseren Mitmenschen auch das zu sagen, was sie nicht hören wollen. Es ist die Liebe, die uns die Grenze der angeblichen Privatangelegenheit überschreiten lässt. Und es ist die Liebe, die uns immer wieder dazu bewegt, eben nicht bei unserem "eigenen Dreck" zu bleiben. Denn - noch einmal: Es ist keine Privatsache, was wir als Christen oder auch als Glieder der Gesellschaft tun. Und ich will das aufzeigen an allen Beispielen, über die ich gesprochen habe:

Es ist keine Privatsache, wenn nach so und so langer Zeit der Probe eine Beziehung kaputtgeht, in der man nur so zusammengelebt hat. Da bleiben Verletzungen zurück, die werden die Fähigkeit der Menschen beeinträchtigen, sich neu zu binden und vielleicht doch noch das Glück des Lebens zu finden. Mit dem Misstrauen, das da dem anderen Geschlecht gegenüber entsteht, vergiften die davon Betroffenen ihr eigenes Leben, oft das ihrer Kinder und vielleicht ihrer ganzen Umgebung.

Und es ist keine Privatsache, wenn sich Menschen ein zweites oder gar drittes Mal kirchlich trauen lassen. Was sagt das denn öffentlich über die Verbindlichkeit der Trauung? Welchen Eindruck bekommen denn z.B. junge Leute, die sich auf ihre erste Ehe freuen und die Trauung sehr ernst nehmen wollen, wenn sie sehen, wie sich andere scheinbar leicht und in ihrem Gewissen ungebunden über ihr einmal oder gar zweimal gegebenes Versprechen hinwegsetzen?

Und es ist nicht nur die Sache jedes Einzelnen, ob er sich von der Kirche und vom Glauben der Christen durch Austritt abwendet. Bei jüngeren Leuten gibt es da etwa Patinnen und Paten, denen das durchaus sehr schmerzlich ist, wenn sie sehen, dass die ihnen einmal Anbefohlenen der guten Sache den Rücken kehren. Aber auch wir andere empfinden das doch mit Recht als sehr traurig: Da zerschneidet einer das Band, das ihn mit der Gemeinde, ja, mit der Gemeinschaft seines Ortes verbunden hat. Das gilt selbst dann, wenn dieses Band, diese Verbindung in der Vergangenheit wenig sichtbar war. Dass man zur selben Gemeinde gehört, wäre aber immer noch ein Anknüpfungspunkt gewesen, zu dem man jederzeit hätte zurückkehren können. Es tut unendlich weh, wenn man erwarten und befürchten muss, dieser oder jener Mensch hat nichts mehr, was ihn im Alter oder in Zeiten der Not tragen und halten wird.

Und es ist nicht nur die Angelegenheit der Eltern, die ihr Kind falsch erziehen. Zuerst einmal haben sie das spätere Verhalten ihres Kindes mitverursacht, das dann oft lautstark beklagt wird. Und sie schädigen immerhin die Gemeinschaft, wenn sie durchgehen lassen, was ihr Kind mit öffentlichem Eigentum tut. Und sie sorgen mit ihrer Erziehung dafür, dass dieses Verhalten oft auch noch in der nächsten und übernächsten Generation praktiziert wird!

Und der Opa, die Oma im Haus, die nur ausgenutzt werden? - Können uns die Tränen solcher alten Menschen gleichgültig sein? Müssten wir nicht alles tun, um sie vor diesem Schicksal zu bewahren? Und selbst um die, die ihnen das antun, müsste es uns gehen. Wenn da noch Kinder im Haus sind, was sehen die denn ihren Eltern ab? Kriegen sie hier nicht ein schlechtes Beispiel vorgeführt, wie man das macht mit den alten Leuten und wie man mit ihnen umgeht? Wie werden sie wohl selbst einmal mit ihren Eltern verfahren, die heute ihre Alten so behandeln? Darum noch einmal die Frage: Ist das wirklich Privatsache?

Und da ist jetzt noch der Glaube, auf den sie die Mitmenschen ansprechen. Geht der auch nur jeden selbst an? Hat Jesus gesagt: Geht alle in euer Kämmerlein und habt dort in guten Gedanken, Bibellese und Gebet, eure ganz persönliche Religion! Oder hat er gesagt: Geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker! Und hat er etwa gewollt, dass alle sich vereinzeln und jeder seinen ganz privaten Weg geht und dass sich um die, die sich verloren oder verlaufen haben, kein anderer kümmert? Hat er uns nicht vielmehr das eindeutige Bild seiner Gemeinde hinterlassen: Eine Herde und ein Hirt! Und kennen wir nicht seine klare Botschaft: Es wird mehr Freude über einen einzigen sein, der verloren war und wiedergefunden ist als über 99, die schon immer dabei waren?

"... die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist." Wenn das wirklich so ist, dann gibt es nichts - zumal in der christlichen Gemeinde - was die Privatsache des Einzelnen wäre. Im Gegenteil: Unser Herr wird einmal Rechenschaft von uns fordern, wie sehr sich unsere Liebe auch um die Mitmenschen gekümmert hat, ja, auch um jene, die ausdrücklich sagen, wir sollen uns nicht um sie scheren! Es kommt nicht aus der Liebe, wenn wir uns abschrecken lassen dadurch, dass diese oder jene unseren Rat oder unsere kritischen Anfragen in den Wind schlagen. Es werden auch einmal Zeiten kommen, da sind dieselben Menschen dankbar, dass wir und unsere Liebe nicht lockergelassen haben!