Predigt zum 2. Sonnt. n. Epiphanias - 17.1.2010

Textlesung: Röm. 12, (4 - 8) 9 - 16

Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß. Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er. Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er's gern. Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für klug.

Liebe Gemeinde!

Das ist heute ein bisschen wie bei einem Fortsetzungsroman: Am letzten Sonntag waren auch Verse aus dem Römerbrief dran und zwar die aus dem selben Kapitel des Briefes, die gerade vor den heute vorgeschlagenen stehen. Ja, es ist sogar so, dass die Worte, die heute den Anfang des Textes gebildet haben, beim letzten Mal der letzte Teil der Lesung waren. Fünf Verse kamen also am letzten Sonntag und heute doppelt vor. Das gibt es m.W. sonst an keiner anderen Stelle der Predigttextordnung. Was müssen das also für wichtige Verse sein!

Und wirklich: Die Verse, die wir heute und schon am vergangenen Sonntag gehört haben, sind entscheidend wichtig. Es ist das Bild vom Leib und seinen Gliedern, mit dem Paulus die Gemeinde der Christen vergleicht. Und weil dieses Bild so wichtig ist und uns so viel sagen kann, wollen wir seine einzelnen Züge einmal einen nach dem anderen durchgehen:

- Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.

Ich finde gerade diesen Teil des Bildes von der Christengemeinde noch einmal besonders wesentlich! Wie geht es uns denn immer wieder mit den Gaben, die wir mitbekommen haben? Ist das nicht ganz seltsam damit: Wir schauen nämlich meist zuerst nach dem, was die anderen so alles tun und können! Dann stellen wir fest: Diese Frau kann viel besser mit Kindern umgehen als ich. Oder: Dieser Mann hat einfach viel mehr Fähigkeiten zu schreiben und Gefühle oder Sachverhalte auszudrücken und in die rechten Worte zu fassen. Oder: Was kann dieser oder jener doch so gut kochen oder rechnen oder organisieren ... Und wie groß sind doch ihr Geschick und seine handwerklichen Fähigkeiten, wie schnell kriegt sie Kontakt und wie wunderbar kann er singen ...

Aber - merken Sie's? - nach sich selbst fragen die Menschen, deren Umgang mit den Gaben anderer ich beschrieben habe, nicht! Es ist gerade so, als hätten sie selbst nun wirklich gar nichts zu bieten und Gott hätte ihnen jedes Talent verweigert. - Aber so ist es doch gar nicht! Wie leicht geht uns doch die Gartenarbeit von der Hand, wie schön können wir malen, wie groß ist unser Wissen in diesem oder jenem Bereich, wie gut können wir zuhören und trösten, wie schnell kommen wir auf eine gute Idee und wie können wir mit unserer Begeisterung andere Menschen anstecken ... All das haben wir nicht gesehen, so als wäre das doch alles nichts.

Aber nun stellen Sie sich doch einmal vor, die anderen, deren Gaben und Können wir vielleicht bewundern, würden es genauso halten: Sie staunten auch nur über die Talente der anderen Menschen - vielleicht unsere! - und ihre eigenen nähmen sie gar nicht wahr. Dann würde am Ende keiner mehr seine Gaben sehen und schon gar keiner würde sie noch zum Wohl seiner Mitmenschen einsetzen! Das wäre doch schrecklich! Und es wäre auch völlig gegen die Idee des Bildes vom Leib der Gemeinde und gegen die Absicht unseres Herrn wäre es sowieso!

Darum noch einmal: Wir haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist und untereinander ist einer des andern Glied! Wir haben die Gaben! Wir zuerst! Also schauen wir dorthin, wo unsere Talente liegen! Und diese Gaben sollen wir für andere einbringen. Denn gerade an diesen unseren Gaben mangelt es den anderen! So ist das! - Danach können wir immer noch auch die Talente der anderen wahrnehmen, gern auch darüber staunen und die anderen loben und ermutigen, ihre Gaben doch auch für die anderen Glieder des Leibes Christi nutzbar zu machen.

Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß.

Vielleicht nehmen wir das nicht zu wörtlich! Denn wenn wir an die biblischen Vorbilder aus dem alten Testament denken, kann uns ja wirklich jede Lust daran vergehen, als Propheten aufzutreten! Aber das Amt des Propheten war und ist immer auch ein Wächteramt. Das könnte heißen, dass Propheten heute darauf achten, ob denn, was heute in der Kirche, in der Gemeinde, aber auch in unserer Gesellschaft und in allen Bezügen, in denen wir stehen, noch dem entspricht, was wir glauben und im Glaubensbekenntnis aussprechen. Propheten in diesem Sinn, könnten z.B. fragen und dann dafür oder dagegen aufstehen, ob die Ladenöffnung am Sonntag der Botschaft des Evangeliums entspricht oder ob, wie einer öffentlich redet, mit dem Gebot der Nächstenliebe in Einklang gebracht werden kann. - Solche Propheten haben wir viel zu wenige!

Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er.

Ist Ihnen das, wenn sie's noch einmal gehört haben, jetzt nicht auch so gegangen? Denken wir da nicht: Ja, das wäre eigentlich richtig, wenn die Leute, denen ein Amt übertragen worden ist, es zum Wohl der Mitmenschen und beim Leib Christi zur Wohlfahrt der Gemeinde ausüben würden. Es heißt ja schließlich im Staat nicht umsonst „Minister", das ist das lateinische Wort für „Diener". Und in der Kirche etwa soll der Amtsträger ja nicht ein Pfarrherr sein, sondern ein „Pastor", ein Hirte der Menschen, die ihm anvertraut sind. - Aber wie haben wir eben gedacht?: Eigentlich wäre das richtig so - aber leider ist es oft ganz anders. So ist es also Zeit für eine Neubesinnung: Alle Ämter - und das gilt in der Welt und in der Kirche! - begründen niemals eine Herrschaft über andere oder auch nur eine Sonderstellung. Jedes Amt bedeutet, dass man erster Diener, erste Dienerin der Menschen ist, die einem dieses Amt gegeben haben. - Wenn eine solche Auffassung vom Amt um sich greifen würde, wir würden die Welt und die Kirche nicht wiedererkennen!

Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er. Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er.

Wenn wir hier einmal nicht gleich an die Frau Pfarrerin oder den Herrn Pfarrer denken ... dann geht uns vielleicht auf, dass wir ja auch gegenüber unseren Kindern und Enkeln, aber auch gegenüber allen Menschen aus der jungen Generation unserer Gemeinde eine solche Aufgabe haben: zu lehren und zu mahnen!

Woher sollen es die jungen Leute denn sonst haben als von uns, dass sie diese oder jene Tradition kennenlernen, dass sie wissen, wie man sich in einer bestimmten Situation verhält, wie viel ein Gruß bedeutet und warum wir aufeinander hören sollen und aufeinander achten ... Haben wir das denn nicht auch von unseren Eltern und Erziehern gelernt? Und haben wir das - vielleicht manchmal gegen anfänglichen Protest - nicht doch gern aufgenommen und dann erfahren, weil es einfach gut ist, bestimmte Verhaltensregeln zu achten, Rücksicht aufeinander zu nehmen und das Wohl unserer Mitmenschen in unser Denken einzubeziehen. Und ich will auch das noch sagen: Manche Erwachsene haben das durchaus auch noch nötig, dass wir sie lehren (nicht be-lehren!) und ruhig auch einmal mahnen - es muss ja nicht gleich mit erhobenem Zeigefinger sein. - Wenn sich mehr solche LehrerInnen und MahnerInnen fänden, was täte das unserer Gemeinde, unserer Gemeinschaft und Gesellschaft so gut!

Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn.

„Lauterer Sinn" - das meint vielleicht, dass unsere Gabe, die wir anderen schenken, frei bleibt von eigenen Interessen. Es soll um das gehen, was unser Mitmensch braucht, wenn wir geben, nicht um unsere eigene Wohlfahrt. Wer darauf schielt, was er, wenn er gibt, wohl zurückerhält, der sollte es lieber ganz lassen zu schenken. Denn es ist kein „lauteres" Geben mehr, wenn ich es um meines Vorteils willen tue. - Geschenke, die von Herzen kommen und nicht aus der Berechnung, machen die Menschen auch viel glücklicher - die Beschenkten und die Geber!

Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er's gern.

Da ist es, dieses uralte, scheinbar überholte und unverständliche Wort: Barmherzigkeit. Aber wer die frohe Botschaft von Jesus Christus begriffen hat, wer auch nur eine Ahnung von dem hat, was an Weihnachten, Karfreitag und Ostern geschehen ist, der kann und der wird verstehen, was gemeint ist. Aber ich vermeide jetzt das andere altertümliche Wort: Gnade und sage es so: Gott sieht unsere Fehler, unsere Schuld, alles schlechte Denken und alles böse Handeln nicht an; es gilt für ihn nicht, weil Jesus Christus am Kreuz dafür bezahlt hat und wir frei sind. Das ist seine Barmherzigkeit! Und so sollen wir auch an unseren Nächsten handeln: barmherzig - ohne sie festzulegen auf das, was sie vielleicht uns angetan haben, ohne sie festzunageln darauf, wie sie immer schon waren und dass sie sich gewiss nicht ändern können. Auch wir sollen sie annehmen und ihnen vergeben, wie Gott uns annimmt und vergibt.

Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig.

Hier meinen wir jetzt sicher, es ginge noch um eine ganz spezielle Sache, die nur ganz wenige, einzelne Leitungspersönlichkeiten betrifft. Das stimmt - und stimmt auch nicht. Denn wir andere, die nicht einer Gemeinde vorstehen, haben doch irgendwo - in der Familie, in einem Verein, in einer Partei oder einer Interessensgruppe - ein Amt oder eine Leitungsaufgabe. Und überall soll das gelten: Sorgfältig sein, nach Kräften dem Ganzen dienen, alle mitnehmen auf dem Weg, dass keiner zurück oder gar allein bleibt, die Bedürfnisse aller bedenken und berücksichtigen und nicht sich selbst und die eigene Meinung durchsetzen wollen ...

Liebe Gemeinde, was würde hier nun besser passen, als wenn wir noch einmal den zweiten Teil der Verse hören, die uns heute zu predigen vorgeschlagen sind:

„Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für klug."