Predigt zum Vorl. Sonntag im Kirchenjahr - 15.11.2015

Textlesung: Mt. 25, 31 - 46
Wenn aber dernn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen.

Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen, und ihr habt mich nicht besucht.

Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.

Liebe Gemeinde!

Selten ist der Bezug von einem Bibeltext zu den gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Fragen und Problemen deutlicher gewesen als gerade bei diesen Worten Jesu über das "Weltgericht". Darum komme ich heute auch nicht daran vorbei, diesen Bezug zu benennen und von Jesu Worten her die gesellschaftliche und politische Antwort auf die Fragen zu beurteilen.

Sie haben das bestimmt schon erkannt, dass es um das so genannte Flüchtlingsproblem geht, bei dem wie in der Geschichte vom Weltgericht grob zwei Positionen einander gegenüberstehen. Die eine ist mit dem Wort der Bundeskanzlerin: "Wir schaffen das" treffend beschrieben. Die Gegenposition, deren Vertreter immer lauter ihre Meinung verkünden, könnten wir mit der Aussage charakterisieren, dass es eine Obergrenze der Zahl von Flüchtlingen geben muss, die wir in unserem Land aufnehmen können.

Sicher treffen diese beiden Positionen nicht zu hundert Prozent die im Weltgericht beschriebenen zwei Gruppen von Menschen und ihr Verhalten. Es geht mir aber besonders darum, wie die erste Gruppe, die hier die "Schafe" genannt wird, so ganz ohne Berechnung handelt: Sie haben nicht einmal gemerkt, dass sie in der Nachfolge Jesu den geringsten Brüdern geholfen haben. Die zweite Gruppe, die Jesus "Böcke" nennt, hat angeblich die geringsten Brüder und ihre Not gar nicht wahrgenommen. Aber ich denke, dass müssen wir ihnen nicht glauben.

Wenn wir das auf das "Flüchtlingsproblem" und die unterschiedliche Haltung dazu übertragen, dann haben die "Schafe" unserer Tage keinen Augenblick darüber nachgedacht, wie die Aufnahme einer so großen Zahl von Asylbewerbern tatsächlich zu schaffen sein soll. Sie haben nur die große Not gesehen, was die Flüchtlinge auf ihrem beschwerlichen und gefährlichen Weg zu uns durchgemacht haben und ihre Bedürftigkeit der Hilfe.

Die "Böcke" dagegen sehen zuerst die große Menge der Menschen, die bei uns Schutz suchen und fragen, wie das gehen soll, rechnen die Zahl der Flüchtlinge hoch und berechnen die Kapazitäten der vorhandenen und noch zu schaffenden Unterkünfte und was das alles kostet.

Liebe Gemeinde, sicher haben Sie jetzt Anfragen an diese doch sehr vereinfachte Sicht. Zum Beispiel diese: Ist das nicht sehr leichtfertig und riskant, wenn Politiker und Prominente oder auch einfache Bürger nur die Not der Flüchtlinge sehen und gar nicht daran denken, dass ihre Blauäugigkeit unser Land spalten kann - was ja schon begonnen hat? Und auf der anderen Seite: Haben die Leute, die sehr realistisch davor warnen, dass wir die Aufnahme, Versorgung und Integration so vieler Menschen eben nicht schaffen, nicht guten Grund für ihre Erwartungen und auch dafür, sie öffentlich auszusprechen? - Vielleicht wird sie das jetzt wundern, aber ich finde, beide Anfragen und sicher noch einige mehr sind berechtigt. Jedenfalls von unserem Standpunkt des so genannten gesunden Menschenverstands aus.

Wenn wir jetzt aber noch einmal zurückkehren zur Geschichte vom Weltgericht und hören, was die "Schafe" dem Weltenrichter sagen, dann wird uns klar, dass es in der Nachfolge Jesu nicht zuerst um den "gesunden Menschenverstand" geht: "Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?" Und wir können jetzt auch sagen, worauf es eigentlich ankommt: auf das Herz!

Das wirft nun gleich wieder die nächsten Fragen auf: Wenn es uns nunmal nicht gelingt, unser Herz sprechen zu lassen, was ist dann? Wenn wir halt gar nicht anders können, als die Kapazitäten und die Kosten hochzurechnen, die entstehen, wenn immer mehr Flüchtlinge bei uns Zuflucht suchen? Ja, wenn wir eben realistisch sind und in unserem Leben gelernt haben, die Dinge nüchtern und sachlich zu sehen und uns nicht zu vorschnellen Sätzen hinreißen zu lassen, die von Herzen kommen, wie der: "Wir schaffen das!"? Dann, liebe Gemeinde, dann sind Jesu Worte über das Weltgericht für uns eine Mahnung, ein Weckruf und vielleicht ein neuer Anfang!

Die Mahnung heißt: Ihr rechnet hoch, ihr berechnet Kapazitäten und Kosten, aber ihr rechnet nicht mehr mit Gott, mit seiner Hilfe, seiner Macht und seinen Möglichkeiten. Der Weckruf ist: Wacht auf, denn ihr habt euch vom Vertrauen zu Gott entfernt. Und der neue Anfang entsteht vielleicht heute, wenn ihr dorthin zurückkehrt, wo Jesu Nachfolgerinnen und Nachfolger auf ihr Herz hören und sich auf Gott verlassen, der uns dieses Herz gegeben hat.

Gewiss, auch unser Verstand kommt von Gott. Auch unsere Fähigkeit zu planen, unsere Möglichkeiten einzuschätzen und zu berechnen kommen von Gott. Aber zuerst ist unser Herz gefragt, ob es die Not der Mitmenschen sieht. Zuerst soll unserem Herzen nahegehen, dass die Flüchtlinge unsere Hilfe brauchen. Zuerst sollen wir uns auf Gott verlassen und ihm vertrauen, dass er uns bei der Hilfe hilft und wenn wir den Flüchtlingen beistehen auch uns beisteht.

Ich weiß nicht, ob es uns gelingen kann, unseren so genannten gesunden Menschenverstand zurückzudrängen. Ich weiß auch nicht, ob wir - so wie die Gerechten in Jesu Geschichte - sogar dahin finden, dass wir nicht einmal mehr bemerken, wo wir die Hungrigen gespeist, die Fremden aufgenommen und bekleidet und den Durstigen zu trinken gegeben haben. Ich weiß aber dies: Es ist möglich, dass wir wieder hinschauen lernen, die Not der Menschen sehen, wahrnehmen, was sie auf sich genommen und hinter sich haben und dass wir ihnen unser Herz öffnen. Und ich weiß, dass nach dem zweiten Weltkrieg, als so viele Flüchtlinge aus dem Osten, zum Beispiel aus Schlesien und dem Sudetenland, aus Ost- und Westpreußen zu uns kamen, zuerst kaum jemand für möglich gehalten hat, dass so viel Menschen in unseren Dörfern und Städten aufgenommen und integriert werden können. Aber es ist doch gelungen. Ich sage: Mit Gottes Hilfe, mit der wir auch bei unseren gegenwärtigen Problemen rechnen können...oder besser: auf den wir vertrauen dürfen.

Vielleicht hätte die Kanzlerin besser gesagt: "Wir schaffen das - mit Gottes Hilfe!" Jesu Worte über das Weltgericht jedenfalls wollen uns Mut machen, uns die Not der Flüchtlinge und aller Menschen, die unsere Hilfe brauchen, im Vertrauen auf Gott zu Herzen gehen zu lassen. AMEN