Predigt zum 20. Sonntag nach Trinitatis - 18.10.2015

Textlesung: Mk. 10,2-12.(10,13-16)

Und Pharisäer traten zu ihm und fragten ihn, ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau; und sie versuchten ihn damit. Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose geboten? Sie sprachen: Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden. Jesus aber sprach zu ihnen: Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben; aber von Beginn der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen, und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Und daheim fragten ihn abermals seine Jünger danach. Und er sprach zu ihnen: Wer sich scheidet von seiner Frau und heiratet eine andere, der bricht ihr gegenüber die Ehe; und wenn sich eine Frau scheidet von ihrem Mann und heiratet einen andern, bricht sie ihre Ehe.

Liebe Gemeinde!

Ihr erster Gedanke war sicher wie meiner auch: Das sind aber Worte Jesu nur für Menschen, die geschieden sind oder sich scheiden lassen möchten. Vielleicht können sie auch noch denen etwas sagen, die Jesu Stellung zur Ehe erfahren wollen. Aber sonst?

Wenn wir glücklich verheiratet sind, wie man so sagt, oder wenn wir keinen Partner mehr haben, dann wird uns dieser Bibelabschnitt eher weniger interessieren. Und überhaupt: Gibt es nicht wichtigere Themen, über die wir nachdenken sollten, Themen, die uns alle betreffen? Wenn wir uns noch einmal den Wochenspruch ins Gedächtnis rufen: "Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe", dann wären die Liebe zu Gott oder die Nächstenliebe vielleicht solche Themen? Aber die Ehescheidung???

Irgendwie ist man als Prediger(in) des Evangeliums aber gewohnt und man fühlt sich dazu verpflichtet, den Predigttext zum jeweiligen Sonntag auch zu predigen. Sonst ist man ja schnell versucht, immer wieder die selben biblischen Texte und die Fragen, die sie aufwerfen, zu besprechen. Und bald wird man dann auf der Kanzel nur noch seine "thematischen Steckenpferde" reiten. (Was es ja auch geben soll.)

Also hören wir noch einmal auf Jesu Antwort auf die Frage: "...ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau?" Was sagt Jesus den Pharisäern: "Was hat euch Mose geboten?" So antworten die Pharisäer? "Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden." Dabei beziehen sie sich mit Recht auf ein Wort aus dem 5. Buch Mose. (Dtn. 24,1) Jetzt aber wird es doch interessant auch für Menschen, die nicht direkt von Scheidung betroffen sind oder für ihre Ehe die Scheidung erwägen, denn Jesus bringt gleich zwei völlig unerwartete Gedanken ins Gespräch: "Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben; aber von Beginn der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau." Und diese Gedanken finde ich nun doch wert, dass wir alle heute darüber nachdenken und ich glaube, wir kommen dabei sowohl der Gottesliebe als auch der Nächstenliebe auf die Spur.

Wenn wir das ernst nehmen, dass Mose um der Hartherzigkeit der Menschen willen ein Gesetz Gottes entschärft hat, dann können wir nicht anders, als dass wir sagen: Eigentlich gilt, dass die Ehe nicht geschieden werden darf! Womit wir ganz nah bei der Auslegung dieses Gebots durch die katholische Kirche und durch unseren Reformator Martin Luther sind. Und wir sind auch nah beim Volksmund, der davon spricht, dass "Ehen im Himmel geschlossen werden!" Dabei dürfen wir ergänzen: Darum können sie auf Erden nicht geschieden werden.

Aber - und da sind wir wieder zurück beim Gesetz Moses - weil wir nunmal Menschen sind und weil es das nun einmal gibt, dass Menschen zu spät bemerken, dass ihre Liebe zu gering ist für ein ganzes Leben oder dass sie einfach nicht zusammenpassen, darum gibt ihnen die Liebe Gottes eine Möglichkeit, aus der Ehe wieder herauszukommen, ohne dass er die Menschen für immer verwirft.

Wohlgemerkt: Das darf nicht leichtfertig geschehen, dass Menschen sich scheiden lassen. Nicht so, wie es wohl schon zur Zeit Jesu war und heute oft genug noch ist, dass einem Mann seine Frau äußerlich nicht mehr gefällt, dass sie ihm zu alt oder vielleicht auch zu selbständig geworden ist und er sie loswerden will. Oder dass eine Frau erst in der Ehe bemerkt, dass ihr Mann ihr nicht das Leben ermöglichen kann, das sie sich gewünscht hat und dass sie bei anderen Männern durchaus bessere Chancen hätte, eine gewisse gesellschaftliche Stellung zu erreichen - dass sie sich dann von ihm lossagt und die Scheidung einreicht. Und es gibt noch viel mehr äußerliche Scheidungsgründe. Unter diesen allen ist aber kein wirklicher Grund, sich von seinem Ehepartner zu trennen, jedenfalls keiner, der vor Gottes Gesetz bestehen kann.

Das Wort Jesu: "Um eures Herzens Härte willen...hat Gottes Gesetz erlaubt, dem Partner einen Scheidebrief zu schreiben", will uns helfen, mit der Schuld fertigzuwerden, der Schuld die immer damit verbunden ist, wenn wir unser Versprechen brechen, in Freude und Leid, in guten und in schweren Zeiten mit einem anderen Menschen das Leben zu teilen - "bis der Tod uns scheidet!" Gott gibt uns also die Möglichkeit, aus der Schuld auch wieder herauszukommen. Er will uns vergeben, auch wenn wir sein Gebot gebrochen haben.

Liebe Gemeinde, das eben ist es, was am heutigen Predigtthema "Ehescheidung" weit über die Scheidung hinausweist: Es gibt keine Schuld vor Gott, die nicht vergeben werden kann. Sei es die Bosheit, die wir gegenüber einem Mitmenschen begehen, seien es Diebstahl, Betrug oder Verleumdung, seien es Mangel an Liebe, Untreue oder Verachtung... Wir sollen bei unserem Partner bleiben und wir sollen die Gebote Gottes achten! Tun wir es nicht, dann fallen wir in Schuld - aber es gibt "um unseres Herzens Härte willen", einen Weg, die Schuld hinter uns zu lassen. Dieser Weg heißt "Gottes Vergebung". Diese Vergebung erlangen wir durch Einsicht und Reue und wir verdanken sie der Liebe Gottes.

Aber das Wort Jesu über die Ehescheidung geht ja noch weiter: "...von Beginn der Schöpfung an hat Gott den Menschen geschaffen als Mann und Frau." Und auch dieser Gedanke, dass Mann und Frau zusammengehören und zusammen erst den ganzen Menschen bilden, ist nicht nur für die Frage nach der Ehescheidung wichtig. Zur Zeit Jesu war das eine äußerst anstößige Vorstellung, dass nicht der Mann allein schon der Mensch ist, dass vielmehr die Frau neben ihm steht und nicht unter ihm, gleich geliebt und gleich berechtigt bei Gott. Die Pharisäer damals, die Jesus nach der Ehescheidung gefragt haben, werden den Kopf geschüttelt haben, ja, entsetzt gewesen sein, wenn sie hören mussten, dass Jesus gar keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern macht: "Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Wer sich scheidet von seiner Frau und heiratet eine andere, der bricht ihr gegenüber die Ehe; und wenn sich eine Frau scheidet von ihrem Mann und heiratet einen andern, bricht sie ihre Ehe." Eine solche Gleichmacherei hatten sie nicht erwartet und sie konnten sie auch gewiss nicht akzeptieren.

Wir wollen jetzt nicht sagen, dass wir in unserer Zeit über die Haltung, wie sie die Pharisäer der Frau gegenüber hatten, nicht hinausgekommen sind. Das wäre nicht richtig. Aber was die Gleichstellung und Gleichberechtigung der Frau angeht, sind wir noch lange nicht am Ziel und bleiben hinter den Worten Jesu weit zurück. In muslimisch geprägten Gesellschaften zum Beispiel gelten Frauen immer noch weit weniger als die Männer. Aber auch in unserem weitgehend christlich geprägten Land fehlt noch viel dazu, dass wir davon sprechen könnten: Frauen und Männer sind gleich. Schauen wir nur einmal danach, wie unterschiedlich Frauen und Männer bezahlt werden, auch wenn sie die gleiche Arbeit tun. Und schauen wir dann noch nach den Aufsichtsräten und dem Management großer Konzerne und wie da die Posten unter den Geschlechtern verteilt sind.

Vielleicht werden wir jetzt sagen: Aber wenigstens vor Gott gestehen wir den Frauen doch gleiche Stellung und gleiche Rechte zu! Aber wenn wir ehrlich sind, verurteilen wir Gewalt, wenn sie von Frauen ausgeht, viel schärfer und wir verzeihen einem Mann einen Ehebruch viel eher als einer Frau! Und wir müssen doch sagen: Vor Gott ist, was die Schuld angeht, die eine Frau oder ein Mann durch Gewalt oder Ehebruch auf sich lädt, kein Unterschied. Beide sind der Vergebung Gottes gleichermaßen bedürftig.

Vorhin habe ich gesagt: Wir kommen, wenn wir über die Ehescheidung nachdenken, sowohl der Gottesliebe als auch der Nächstenliebe auf die Spur. Und wir haben gesehen, dass es so ist: Die Liebe Gottes will unsere Schuld, jede Schuld vergeben, wenn sie uns ehrlich leid ist und wir ihn darum bitten. Das macht uns frei zur Nächstenliebe. Schuld die Gott vergeben hat, kann uns ein Mitmensch nicht behalten und wir nicht ihm.

Auch die Gleichheit von Mann und Frau vor Gott kann und will der Nächstenliebe dienen: Wenn Frau und Mann vor Gott gleich gelten, dann muss das auch unter uns Menschen so sein. AMEN