Predigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis - 16.8.2015

Textlesung: Lk. 18, 9 - 14

Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Liebe Gemeinde!

Das ist seltsam mit diesem Gleichnis. Spontan meinen wir doch: Diese Geschichte hat nun wirklich nichts mit uns zu tun! Gleichzeitig aber denken wir: Was ist dieser Pharisäer doch so hochmütig! Und wir könnten vielleicht beten: "Ich danke dir Gott, dass ich nicht bin wie dieser Pharisäer!" Aber damit haben wir uns dann eben doch von dieser Geschichte ansprechen lassen und es entsteht die Frage: Warum nur kommt uns nicht in den Sinn, über den Zöllner nachzudenken und wie er betet? "Gott, sei mir Sünder gnädig!" Immerhin wird er doch als gerechtfertigt angesprochen und das wünschen wir uns doch auch. - Noch einmal: Warum beschäftigt uns der Pharisäer mehr?

Auf jeden Fall steht eines fest: Der Pharisäer hat wirklich einige religiöse Leistungen und damit einige Verdienste vorzuweisen. Im Fasten und Almosengeben zum Beispiel war er uns ganz sicher weit überlegen. Aber es missfällt uns, dass er damit prahlt und auf andere herabsieht, die nicht so viele gute Werke tun wie er. Außerdem wissen wir - als evangelische Christinnen und Christen -, dass es auch Gott nicht gefällt, wenn wir uns guter Werke und religiöser Leistungen rühmen... Aber wir tun das ja auch nicht...oder? - Ich möchte dazu zwei kleine Geschichten erzählen und dabei zwei Zeitgenossen zu Wort kommen bzw. ihre Gedanken laut werden lassen:

Eine Frau fällt mir ein, nennen wir sie Waltraud. Um die 50. Gute Kirchgängerin. Ein paar Jahre lang war sie sogar im Kirchenvorstand. Sie hat sich in der Gemeindearbeit immer eingebracht. Im Frauenkreis hat sie über ein Jahrzehnt den Vorsitz gehabt, die Abende vorbereitet, Referenten eingeladen, die Tagesfahrten organisiert. Waltraud hat sich wirklich eingesetzt und sich nicht geschont. Und sie hat das auch getan, weil sie eine gute Christin sein will und dagegen ist auch nichts zu sagen.

Neulich stand die Wahl der Vorsitzenden im Frauenkreis an. Die Wiederwahl wie Waltraud dachte. Da haben sie ihr doch wirklich eine andere vor die Nase gesetzt. Eine, die noch gar nicht so lang überhaupt in den Frauenkreis kommt. Und in der Kirche sieht man sie sowieso nicht. Das hat sie unglaublich gekränkt. Jetzt überlegt Waltraud, ob sie den Frauenkreis verlassen soll. "So etwas geht doch nicht! Wer hat denn mehr für die Frauen und die Sache getan, sie oder die andere?" Ja und dem lieben Gott ist sie jetzt auch böse, wenn sie ehrlich ist.

Ein junger Mann fällt mir ein, sein Name soll hier "Markus" sein. Seit seiner Konfirmation hält er sich zu Jesus Christus. Ihn nennt er seinen Herrn. In seiner Spur möchte er gehen und wie er gelebt hat, möchte er leben. Seine Freunde finden seine Art stark übertrieben. Seine "Frömmelei" wäre nicht mehr zu ertragen, sagen sie. Aber eigentlich sind sie gar nicht mehr seine Freunde. Markus hält sie für gottlos und für untreu. In ganz kurzer Zeit haben sie alles vergessen, was sie in der Konfirmandenstunde gelernt haben. Da ist er doch ganz anders!

Vor Tagen hat er sich um eine Lehrstelle bei einer Bank beworben. Er hat seitdem viel gebetet, dass er die Stelle bekommt. Gestern nun hat er eine Absage bekommen. Einer aus seiner Konfirmandengruppe hat ihm erzählt, er wäre bei der Bank genommen worden. "Ausgerechnet der! Für den war immer nur das Geld wichtig, das man bei der Konfirmation bekommt. Interesse - Fehlanzeige! Glauben - nicht vorhanden." Markus ist am Boden. Wie konnte Jesus ihm das antun!?

Noch viele andere Menschen fallen mir ein. Sie alle sind getaufte Christen. Sie haben in der Schule und im Konfirmandenunterricht gehört, dass Gott Jesus Christus in die Welt gesandt hat, dass er die Sünde der Menschen getragen und dass er sie am Kreuz erlöst und frei gemacht hat von aller Schuld. Sie haben gehört, dass seitdem kein Mensch, der an diesen Jesus Christus glaubt und auf seinen Namen getauft ist, die Strafe für seine Sünden selbst tragen muss. Auch wissen sie, dass es darum nicht möglich ist, durch eigene Verdienste und gute Werke, so zahlreich sie auch sein mögen, bei Gott irgendetwas zu bewirken oder zu gewinnen, was er ihnen durch Jesus Christus nicht schon geschenkt hat. Und doch sind ihre Gedanken oft genug denen des Pharisäers aus dem Gleichnis ähnlich. Sie denken: Wie gut von mir, dass ich häufig für Brot für die Welt spende, dass ich alle zwei Wochen in die Kirche gehe, dass ich mir manches auferlege, um Gott zu gefallen, dass ich nicht so leichtlebig, so weltlich eingestellt und so vergnügungssüchtig bin wie viele andere... Und was sie noch so alles denken in dieser Art.

Zugegeben: Das ist eine massiv christliche, vielleicht auch fromme Sicht auf das Leben, über die ich hier rede. Eine solche Sicht haben sicher nicht mehr allzuviele Christinnen und Christen in unseren Tagen. Aber auch denen, die weniger deutlich Christen sind und sein wollen, gehen immer wieder solche Gedanken durch den Kopf: Eigentlich kann Gott mit mir doch ganz zufrieden sein. Ich bemühe mich um ein anständiges Leben. Ich achte meine Mitmenschen. Ich halte Frieden mit allen (- bis auf den Nachbarn zur Linken, aber mit dem haben andere auch ein Problem!). Da gibt es wirklich einige in meiner Umgebung, die das nicht von sich sagen können. Richtige Querköpfe sind das, ewige Nörgler und Streithammel. Gegen die hebe ich mich doch eigentlich ganz positiv ab! Auch als Christenmensch muss ich mich nicht verstecken, wenn ich auch nicht so oft in die Kirche gehe und nicht so gut Freund mit dem Herrn Pfarrer bin wie andere!

Es ist also noch tief verwurzelt in unserem Kopf, in unserem Herzen und unserer Seele: Wir müssen uns nur bemühen. Wir müssen nach Kräften gute Werke tun und uns ein bisschen anstrengen. Dann werden wir Gott schon gefallen und er wird uns vergeben und uns liebhaben.

Ich glaube, wir spüren das jetzt alle: Da fehlt doch etwas. Oder sagen wir, da fehlt doch einer. Oder noch etwas anders ausgedrückt: Da wissen wir doch gar nicht mehr zu sagen, warum dieser Jesus Christus in die Welt gekommen ist. Wenn wir alles im Grunde doch selbst machen können, dass wir Gott wohlgefallen, dann brauchen wir IHN doch nicht mehr! Und da könnte uns jetzt auch das aufgehen: Das ist ja wie bei dem Pharisäer, von dem wir heute gehört haben! Der hat doch auch keinen Christus gebraucht und eigentlich auch keinen Gott. Alles, was zu seiner Gerechtigkeit dient, hat er selbst machen können: "Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme." Er hätte noch hinzufügen können: Dann ist doch bei mir alles in Ordnung! Dann muss mich Gott doch lieben!

Schauen und hören wir jetzt einmal auf den anderen Beter: "Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!" Er hätte wohl hinzufügen können: Gott, ich komme allein nicht heraus aus meinem Leben, das dir gewiss nicht gefällt. Ich brauche einen, der für mich eintritt. Ich brauche, einen, der mir meine Schuld, die so groß ist, abnimmt und mir einen neuen Anfang schenkt. Er weiß es: Ich brauche Jesus Christus, denn ich kann allein nicht herauskommen aus der Verstrickung in die Sünde. Vergebung kann ich mir nicht verdienen, die muss ich mir schenken lassen.

Liebe Gemeinde, aber auch die beiden, von denen ich vorhin erzählt habe, die doch sicher richtig und Gott wohlgefällig leben (soweit wir das wissen!), auch diese beiden sollen von sich nicht höher denken als von denen, die ihnen vorgezogen wurden, wie sie meinen. Waltraud braucht genau wie die Frau, die statt ihrer als neue Vorsitzende gewählt wurde, das Geschenk der Gnade Gottes und der Vergebung, für die Jesus Christus ans Kreuz gegangen ist. Und auch der ehemalige Mitkonfirmand, der Markus den Ausbildungsplatz weggeschnappt hat, ist nicht mehr der Güte Gottes bedürftig und der Erlösung, die Jesus Christus am Kreuz vollbracht hat, als er.

Und so geht es uns allen, die an Gott und seinen Sohn glauben. Es mag sein, dass wir uns nicht an die Brust schlagen müssen, wenn wir im Gottesdienst vor Gott treten oder in unserem Gebet zu ihm kommen, aber wir sollen das in der angemessenen Demut tun, die mit Paulus bekennt: Es ist kein Unterschied: Wir sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten. (Röm.3,22f) Von solchen Menschen, wie der Zöllner im Gleichnis einer war, sagt Jesus: "Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus." Dass wir alle heute auch so nach Hause gehen können: In Demut und gerechtfertigt vor Gott, das wünsche ich uns. AMEN