Predigt zum 10. Sonntag nach Trinitatis - 9.8.2015

Textlesung: Lk. 19, 41 - 48

Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Aber nun ist's vor deinen Augen verborgen. Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen, und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du heimgesucht worden bist. Und er ging in den Tempel und fing an, die Händler auszutreiben und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jes. 56,7): "Mein Haus soll ein Bethaus sein"; ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht. Und er lehrte täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten und die Angesehensten des Volkes trachteten danach, dass sie ihn umbrächten, und fanden nicht, wie sie es machen sollten; denn das ganze Volk hing ihm an und hörte ihn.

Liebe Gemeinde!

Heute ist Israelsonntag. Und nachdem wir diesen Text gehört haben, möchten wir schon gern etwas zur aktuellen Lage in Israel und in den angrenzenden Palästinensergebieten sagen und zur Politik, die zu dieser Lage geführt hat und sie je länger je mehr zementiert.

Aber mindestens vier Dinge sprechen dagegen, dass wir das tun. Zum einen würde das an der Politik der Regierung in Israel und den Palästinensergebieten nichts ändern, wer erfährt schon dort von einer Predigt, die in .............. gehalten wurde und wenn, wen würde das irgendwie interessieren. Zum andern verbitten sich Menschen jüdischen Glaubens meist jede Einmischung und Kritik am Verhalten sowohl der damaligen als auch der heutigen religiösen Führer - auch noch aufgrund eines Bibeltextes der bald zweitausend Jahre alt ist. Zum dritten bezieht sich die Vorhersage des Untergangs Jerusalems ja zuerst auf die Belagerung und Zerstörung der Stadt und des Tempels im Jahr 70 nach Christus. Und zum vierten sollen ja - wie immer - wir heutigen Predigthörer etwas von dieser Predigt mitnehmen, was uns anspricht, betrifft und vielleicht verändert. Schauen wir also, was uns dieser Bibeltext sagen möchte und da gibt es durchaus einige Gedanken, die uns ansprechen können und die uns betreffen. Ob sie uns auch verändern, wollen wir - jede und jeder von uns - hinterher sehen. Hier sehe ich zwei Verse in diesem Text, die uns wirklich angehen.

Der erste Vers ist dieser: "Und als Jesus nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient!" Ob Jesus wohl auch über uns weinen würde, vielmehr wirklich weint, denn er ist ja nach unserem Glauben immer bei uns. Tun wir denn immer, was dem Frieden dient?

Geht es in unserem Privatleben immer friedlich zu, also ohne Auseinandersetzungen, wer zu Hause der Chef ist, wer die letzte Entscheidung trifft, wer stets keine Lust zum Spaziergang hat oder zu einer anderen Unternehmung oder umgekehrt, wem es immer zu langweilig ist, einmal für einen gemütlichen Fernsehabend zu Hause zu bleiben... Und es gibt noch 100 weitere Anlässe für Streit in der Ehe, der Familie. Das kann ja manchmal auch sinnvoll sein. Auf der anderen Seite aber kommen - wenn wir ehrlich sind - die Fragen zu kurz, die zum Beispiel unseren Glauben betreffen und was wir einmal nach dem Tod erwarten. Das aber wäre wirklich wichtig und eines - gemäßigten! - Streitens wert!

Und wie sieht es dort aus, wo wir mit anderen Menschen zusammentreffen, die nicht zu unserer Familie gehören? Wenn wir noch arbeiten müssen, in der Firma oder im Betrieb? In der Nachbarschaft und im Verein, dem wir angehören. Halten wir da immer Frieden oder anders: Tragen wir dazu bei, dass es friedlich zugeht? Am Arbeitsplatz sind es oft die Konkurrenzgedanken, die das friedliche Miteinander stören. "Warum ist der Abteilungsleiter und nicht ich?" - "Wieso ist die mir vorgesetzt und verdient auch noch mehr Geld als ich?" So oder ähnlich fragt man sicher immer einmal. Aber man sollte es eben nur "einmal" tun! Wenn wir solche Fragen ständig im Hinterkopf haben, dann wird es das Betriebsklima nachhaltig vergiften und der Frieden ist dahin.

Ja und schließlich soll es so etwas wie Unfrieden sogar in Kirchengemeinden geben. Vielleicht ist man bei der letzten Kirchenvorstandswahl nur auf Platz ... gekommen, also nicht in den KV gewählt worden. Oder man wurde erst gar nicht gefragt, ob man sich als KandidatIn aufstellen lassen will. Vielleicht auch erregt uns immer aufs Neue die frömmlerische Art der Frau oder des Herrn Soundso? Und wir wissen doch oder meinen zu wissen, dass sie oder er in seinem Alltag gar nicht lebt, was er immer so großspurig auf den Lippen führt. Auch die Art des Pfarrers oder der Pfarrerin erregt bei manchen Anstoß und manchmal ist es schon das Geschlecht der Amtsperson, was uns nicht gefällt und höchst unfriedliche Wünsche bei uns weckt.

Über die Anlässe, an denen der Frieden in der Nachbarschaft und im Verein oft scheitert, muss ich konkret nicht reden. Da gibt es dauerhafte Unstimmigkeiten und immer wieder einmal auftretende unterschiedliche Meinungen, die für Schweigen, für den Einsatz kleiner Nadelstiche bis hin zu cholerischen Anfällen bei den Beteiligten sorgen.

Etwas haben diese Störungen des Friedens alle gemeinsam: Sie sind nicht wesentlich! Sie gehören eigentlich nicht zu den Dingen, die uns in Rage bringen sollten oder uns gar für längere Zeit unsere gute Laune oder den Glauben an die Friedfertigkeit und den guten Willen unserer Mitmenschen rauben sollten. Und um die Frage des Anfangs wieder aufzunehmen: Ja, ich glaube schon, dass Jesus auch über uns manchmal weinen muss - und wirklich weint.

Der zweite Vers, der uns zu denken geben soll - und da bitte ich Sie jetzt, zuvor tief durchzuatmen - ist dieser: (kleine Pause) "Mein Haus soll ein Bethaus sein; ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht." Sie fragen sich jetzt gewiss, was denn das mit uns zu tun hat? Unsere Kirche hat doch nichts von einer "Räuberhöhle"! Da gebe ich Ihnen Recht. Damals bei den Juden von Jerusalem war der Tempel besonders für das Gebet bestimmt. Aber es war immer mehr weltliche Betriebsamkeit eingezogen: Wechsler, die das Geld, das außerhalb des Tempels galt, in die Tempelwährung tauschten. Händler, die Opfertiere oder andere Dinge verkauften. So war die Bestimmung des Tempels, ein Bethaus zu sein, lange nicht mehr allein gültig, ja, bei vielen Menschen war sie in Vergessenheit geraten. Und das eben, liebe Gemeinde, gilt leider auch heute, für die Kirche - in einer Gemeinde mehr, in einer anderen weniger.

Was ist denn die Bestimmung unserer Kirchen heute? In erster Linie doch, dass wir dort das Wort Gottes hören, für unsere Zeit, für unser Leben, als Hilfe, Ansporn oder Trost. Gewiss beten wir auch in der Kirche und wir loben und danken Gott, aber das können wir auch an anderen Orten und zu Hause. Das Wort Gottes wird aber heute meist in der Kirche gepredigt. Darum ist das die erste Bestimmung eines Gotteshauses.

Wenn wir jetzt aber fragen, warum Menschen in die Kirche gehen, dann entdecken wir dafür auch ganz andere Gründe und nicht besonders den Wunsch, Gottes Wort zu hören:

Manche besuchen ihre Kirche, weil man da von Jugend an jede Woche oder alle 14 Tag hingeht. Andere sind in ihrer Kirche nur dann zu sehen, wenn ein Mensch, den sie kannten, zu Grabe getragen wird, also weil es sich halt so gehört. Wieder andere nutzen die Kirche nur für ihre Ehejubiläen oder für die Taufe oder Konfirmation - das ist so schön feierlich. Manchmal geht man auch zum Gottesdienst, weil man sich beim Pfarrer, der Pfarrerin oder sonst einem Menschen aus der Gemeindeleitung bedanken will, dass sie einem zum runden Geburtstag besucht haben. Und es gibt durchaus noch viele andere Gründe, warum Menschen in die Kirche kommen - aber nicht zuerst im Sinn haben, sich die Worte Gottes sagen zu lassen und mit in ihren Alltag zu nehmen.

Ich finde es übrigens gar nicht schlimm, wenn ein Mensch auch einmal aus einem Grund zur Kirche geht, der nicht aus dem Bedürfnis herrührt, das Wort Gottes zu hören. Also zur Goldenen Hochzeit, zu einer Taufe oder zu einer Beerdigung. Aber die Betonung liegt auf "einmal" oder vielleicht hin und wieder. Wenn das aber immer geschieht, dann hat die Kirche für den betroffenen Menschen ihre vornehmste Bestimmung verloren.

Da kommt uns jetzt sicher die Frage in den Sinn: Kann man da etwas daran ändern? - Ich glaube schon! Vielleicht nehmen wir die Frage, was bei uns eigentlich das Wichtigste, warum wir sonntags in die Kirche gehen, von heute mit nach Hause. Vielleicht denken wir am Nachmittag oder in den nächsten Tagen einmal darüber nach. Und wenn wir dann bekennen müssen: Ja, es gibt viele andere Gründe bei mir, warum ich die Kirche besuche als den, dass mir das Wort Gottes gesagt wird, dann fragen wir uns, ob wir das nicht ändern wollen. Denn wenn wir bedenken, was unser Herr uns heute in seinem Wort von der Friedfertigkeit und dem Haus Gottes und seiner Bestimmung sagen wollte, dann macht uns das vielleicht Lust darauf, häufiger auf sein Wort zu anderen Themen zu hören, die unser Leben christlicher machen. Und dazu ist unsere Kirche wie kein anderer Ort geeignet. AMEN