Predigt zum Sonntag "Estomihi" - 15.2.2015

Textlesung: Mk. 8, 31 - 38

Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Liebe Gemeinde!

Es gibt schon so einiges über Jesus in den Evangelien zu lesen, da können wir nur den Kopf schütteln und uns fragen: Wie konnte er nur so sein? Und: Wie passt das denn zu unserem Herrn, der doch sonst so sanft gewesen ist und so freundlich zu den Menschen? Die Geschichte von der Tempelreinigung (Lk.19,45ff) gehört dazu, in der Jesus doch ziemlich aggressiv und handgreiflich gegenüber den Geldwechslern und Taubenverkäufern wird. Und das Zwiegespräch unseres Herrn mit der kanaanäischen Frau (Mt.15,22ff) zählt dazu, der er ziemlich harsche Worte sagt und nicht helfen will, weil sie nicht zum Haus Israel gehört. Und der Abschnitt, den wir eben gelesen haben, zeigt uns auch einen Jesus, der ziemlich heftig auf eine doch gut gemeinte Bemerkung des Petrus reagiert: Der Jünger hatte nur nicht hinnehmen wollen, dass Jesus wirklich den Weg in Leiden und Sterben gehen will und er muss von seinem Meister das hören: "Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist." Das sind schon harte Worte zu einem Jünger, der seinen Herrn, den er doch liebhat, nur vor Leid und Tod bewahren möchte. - Aber warum hat Jesus hier so scharf reagiert?

Ich kann mir das nur so erklären, dass von den Worten des Petrus die Mitte des Auftrags Jesu berührt worden ist. Das war etwa so, als würde man einer Krankenschwester sagen: Du sollst aber nichts mit kranken Menschen zu tun haben. Oder als verlangte einer von einem Rechtsanwalt, er solle bloß keinen Angeklagten verteidigen.

Noch verständlicher wird die Härte, mit der Jesus seinen Jünger behandelt, wenn wir uns einmal die Gefühle Jesu verdeutlichen, die er angesichts des schweren Schicksals, das ihm bevorstand, empfunden haben muss: Wir ahnen, dass Jesus die Aussicht auf den schändlichen Tod am Kreuz schon lange Zeit beschäftigt hat und dass sicher kein Tag verging, an dem er nicht in seinen Gedanken schon den furchtbaren Weg hinauf nach Golgatha gegangen ist. Wir wissen, wie die Angst, die er jetzt schon empfindet, ihn am Ende im Garten Gethsemane Blut, Schweiß und Tränen kostet. Und wir wissen, wie er dort mit der Angst ringen wird, dass er aber schließlich trotz aller Angst, den Weg in Leiden und Sterben geht: "Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!" (Mt.26,39) Das alles ahnen und wissen wir...und da nimmt Petrus jetzt den Herrn, der dieses Schicksal vor Augen hat, beiseite, um ihm auszureden, was er doch schon als seinen zwar schrecklichen, aber notwendigen Auftrag angenommen hat. Wirklich: Das konnte Jesus nur gegen den Jünger aufbringen! Der hatte es zwar sicher gut gemeint, aber andererseits wusste Petrus doch, wer sein Herr war und wozu er in die Welt gekommen ist. - Petrus hätte schweigen sollen!

Wir wollen aber auch das sehen, was uns mehr im Hintergrund der heftigen Reaktion Jesu auf die Worte des Petrus deutlich werden kann: Nicht was Jesus in seinen Reden gelehrt hat, nicht was seine Gleichnisse uns über Gottes Reich sagen wollten, steht in der Mitte seiner kurzen Wirkungszeit in unserer Welt. Es ist vielmehr sein Leiden und Sterben für uns und alle Menschen, es ist sein Tod als Opfer für die Schuld, die wir auf uns geladen haben und täglich neu auf uns laden, die seinen Auftrag ausmachen. Dafür zuallererst hat sein und unser himmlischer Vater ihn in die Welt gesandt und jeder, der ihn davon hätte abbringen wollen, hätte seinen Zorn und seine Abwehr ertragen müssen:"Geh weg von mir, Satan!"

Aber es gibt noch weitere Worte Jesu in den Zeilen, die wir heute bedenken sollen, die uns nicht so leicht eingehen: "Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." Wir haben heute ja schon Probleme damit, überhaupt zu verstehen, was "sich selbst verleugnen" bedeutet. Was es heißt, einen anderen zu verleugnen, das wissen wir schon: Wenn die Sekretärin dem Chef einen fragenden Blick zuwirft, wenn ein unangenehmer Kunde in der Leitung ist und wenn der Chef dann den Kopf schüttelt und die Sekretärin in den Hörer sagt: "Der Chef ist leider nicht da!", dann hat sie ihren Chef verleugnet. Aber "sich selbst verleugnen"? Ich habe dazu eine Erklärung gelesen, die mir einleuchtet: "Sich selbst verleugnen" heißt, "sich und seine Wünsche aufgeben". Gut, werden Sie sagen. Nur: Wie geht das? Und: Können wir das?

Wie das geht, kann ich mir noch vorstellen: Ganz von sich selbst absehen. Nur für Jesu Sache und für die Mitmenschen leben. Nichts für sich selbst haben wollen, sondern nur das suchen und tun, was das Wohl der anderen Menschen fördert. Wenn wir allerdings fragen, ob wir das können, dann antworte ich: Nein, wir können es nicht. - Aber warum fordert es Jesus dann von uns?

Mir fiel dazu der Satz aus der Bergpredigt Jesu ein: "Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist." (Mt.5,48) Welcher Mensch könnte denn vollkommen sein? Trotzdem verlangt Jesus von seinen Leuten Vollkommenheit? Warum? Ich glaube, wir sollen erkennen, dass wir aus uns selbst heraus immer unvollkommen bleiben und darum ihn, den Heiland Jesus Christus brauchen, dass er unsere Sache mit Gott in Ordnung bringt.

Genauso können wir uns auch nicht selbst verleugnen. Auch hier erkennen wir, dass wir Jesus nötig haben, dass er für uns einspringt und das, was wir nicht leisten können, ans Kreuz bringt und uns damit vor Gott erlöst und von allem frei macht, was wir eigentlich schuldig wären. Jetzt, aber erst jetzt können wir auch das tun, was Jesus weiter von uns haben will: Der "nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." Wenn ich weiß, dass Jesus Christus mich von allem befreit hat, was vor Gott gegen mich spricht, dann kann ich mein "Kreuz", das Glück aber eben auch das Leid meines Lebens auf meine eigenen Schultern nehmen. So Jesus nachzufolgen wird ins Ewige Leben führen!

Aber es gibt noch ein drittes Wort in dem Bibelabschnitt, den wir vor dieser Predigt gehört haben, das uns zu verstehen Schwierigkeiten macht: "Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten." Gibt es denn Menschen und gibt es denn Christen, die nicht ihr Leben erhalten wollen? Gewiss, wir hören immer wieder von Schwerkranken, die ihrem Leiden gern ein Ende machen würden. Und wenn wir die Not sehen, die hinter diesem Wunsch steht, können wir das auch nicht einfach als gegen Gottes Willen abtun und als Sünde verurteilen. Aber was ist, wenn unser Leben schön ist und wir es lieben und Freude daran haben? Dann - und ich glaube so ist es gemeint - sollen wir nicht vergessen, dass wir nicht nur in dieser Welt sind, um ein schönes Leben zu haben!

"Wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren!" Ich verstehe das so: Wer nur dem nachläuft, was seine Zeit in dieser Welt noch reicher, bunter und schöner macht, der wird das Leben in seiner Fülle verlieren. Denn zu einem erfüllten Leben gehört auch manches, was schwer ist und leidvoll. Und wie wir nicht erkennen könnten, was Licht ist, wenn wir nicht auch die Dunkelheit erfahren haben, so wäre unser Leben auch nicht vollständig, wenn es nur leicht, froh und schön wäre. Vor allem - und darauf macht uns der zweite Teil dieses Wortes aufmerksam - sollen wir nicht vergessen, dass wir Christinnen und Christen sind, die einen Herrn haben, der für jede und jeden von uns eine Aufgabe an den Mitmenschen hat und der uns durch die Höhen und Tiefen unserer Lebenszeit in Gottes Ewigkeit führen will.

Er sagt uns das: "Wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten." Und vielleicht können wir das als einen Hinweis nehmen, dass wir IHM und seinem Wort in unserem Leben zum ersten Mal oder wieder einen größeren Raum geben: Es klingt paradox: Wenn wir zuerst danach fragen, was ER von uns haben möchte, was sein Wille wäre und wie ER in dieser oder jener Situation handeln würde, dann werden wir gewiss einiges an Freude und Vergnügen, an Schönem oder leichtem Glück einbüßen. Aber wir werden dabei ein Leben finden, das rund ist, voll und so, dass es uns wirklich glücklich und zufrieden macht. AMEN