Predigt zum Totensonntag    -    23.11.2008

Textlesung: 2. Petr. 3, (3 - 7) 8 - 13

Eins aber sei euch nicht verborgen, ihr Lieben, dass ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag. Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine Verzögerung halten; sondern er hat Geduld mit euch und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass jedermann zur Buße finde.

Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden ihr Urteil finden.

Wenn nun das alles so zergehen wird, wie müsst ihr dann dastehen in heiligem Wandel und frommem Wesen, die ihr das Kommen des Tages Gottes erwartet und erstrebt, an dem die Himmel vom Feuer zergehen und die Elemente vor Hitze zerschmelzen werden.

Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.

Liebe Gemeinde am Totensonntag!

Es gibt in der Bibel gewiss noch härtere Worte über den jüngsten Tag, aber auch mit diesen kann man den Menschen schon so recht Angst vor dem Tod machen: ... der Tag des Gerichts kommt, die Himmel zergehen mit Krachen, die Elemente zerschmelzen vor Hitze, die Gottlosen finden ihr Gericht ... Immer wieder konnten und können die Prediger des Wortes Gottes der Versuchung solcher Texte auch nicht widerstehen: Einmal so richtig einschüchtern, Angst machen, die Flammen der Hölle entfachen und in den Ohren der Hörer laut knistern lassen.

Wenn es aber etwas gibt, was nun gar nicht zu diesem Totensonntag passt, dann ist es eben dies: Die Furcht anstacheln, die Herzen schrecken und mit der Hölle drohen. Angst und Ängstigen passt nicht zu diesem Tag - und das gleich aus mehreren Gründen: Die Furcht vor Strafe konnte wohl noch nie einen Menschen abhalten, das Böse zu tun, das er tun wollte. Jeder Richter weiß, dass der Mörder gemordet hätte, gleich ob er dann an den Galgen oder lebenslänglich ins Gefängnis muss. Keiner glaubt ja, wenn er die Tat begeht, dass er je gefasst werden könnte! Und - Sie entschuldigen diesen krassen Vergleich - in der Seelsorge an den lieben Christen erfährt man dasselbe: Wen interessiert denn - zumal als junger Mensch - was ihn einmal nach dem Tod erwartet? Und der Tod ist ja immer noch weit, wie nicht nur die Jungen, sondern auch die Älteren glauben.

Aber noch etwas spricht gegen das Angstmachen - heute: Gerade an diesem Tag gehen unsere Gedanken ja gar nicht auf unseren Tod hin - wir denken vielmehr an die Menschen, deren Tod wir betrauern mussten und der uns jetzt wieder so schmerzlich vor Augen steht. Das ist doch heute unsere Frage: Wo sind sie jetzt, von denen wir Abschied nehmen mussten und wie können wir weiterleben ohne sie.

Und noch ein dritter Grund spricht gegen das Drohen und Ängstigen, vielleicht der wichtigste von allen: Gott hat uns eine frohe Botschaft auszurichten, die beste Botschaft dieser Welt. Und wir, denen die Verkündigung aufgetragen ist, sind PredigerInnen dieser guten Botschaft, denn dazu hat uns Gott zuerst bestellt! Und gerade an solch einem trost-losen Tag, will Gott uns trösten. Und gerade weil uns heute die Hoffnung ausgehen kann, soll hier die Hoffnung laut werden! Und „Trost" und „Hoffnung" sind ja auch in diesen Petrusworten enthalten: Wir hören von der „Verheißung seines Kommens", dass „Gott Geduld mit uns hat und nicht will, dass jemand verloren gehe", dass „jedermann zur Buße finden soll" und „ein neuer Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt, auf uns wartet."

Das sind so gute Worte, eine so frohe Botschaft! - Was ist mit unseren Toten, fragen wir. Und Gott antwortet uns: Diese Welt ist nicht sich selbst überlassen. Ich werde kommen und ihrem Lauf ein Ende setzen. Sie hat ihre Zeit und ihr Ende. Dann wird für alle das Gericht sein - für die noch Lebendigen und die schon Gestorbenen. Dann wird es ganz gleichgültig sein, wer noch am Leben ist oder schon abgeschieden war. Aber niemand ist verloren! Der neue Himmel und die neue Erde, die dann kommen, werden jedem Gerechtigkeit zuteil werden lassen. Dafür stehe ich, euer Gott, selbst ein. Halten wir das fest: Gott will keinen Menschen verlieren. Er liebt uns ja alle. Sie, die schon gegangen sind und wir, die noch leben und zu leben haben, warten alle auf sein Kommen, auf seinen Tag und den neuen Himmel und die neue Erde voll Gerechtigkeit.

Aber dennoch fragen wir: „Warum musste dann mein Kind, mein Partner, mein Vater oder meine Mutter so früh und auf diese Weise sterben?"

Liebe Gemeinde, es gab Zeiten, in denen man von dieser Welt als einem Jammertal sprach. Da war die Sehnsucht nach Gottes neuer Welt noch lebendig. Wir - auch die Christen - haben uns angewöhnt, die Zeit und diese Welt zu vergötzen: Je mehr die Hoffnung auf ein Danach, auf den neuen Himmel und die neue Erde Gottes verblasste, um so wichtiger haben wir das Leben hier genommen: Was wir erreichen in unseren Jahren, was wir besitzen und wie wir unsere Tage verbringen. Vor dem herrlichen Hintergrund der neuen Welt Gottes aber bleibt unser Leben hier immer arm und vorläufig. Seine Dauer ist unbedeutend und noch das beste Leben auf dieser Erde gibt nicht einmal eine Ahnung dessen, was uns bei Gott erwartet.

Und auch die Art, wie einem Menschen zuletzt das Sterben entgegentritt, ob einer im Schlaf hinübergehen darf oder lange leiden muss - es wird gering angesichts der überwältigenden Herrlichkeit, die uns hinter der Todesschwelle empfängt. Liebe Gemeinde, ich weiß wohl, was ich hier predige! Ich weiß und spüre auch, wie fremd und schwierig gerade Trauernden diese Gedanken sind. Aber es ist nun einmal wahr und der Kern unseres Glaubens als Christen, dass noch etwas kommt, ja, dass einer kommt und mit ihm der neue Himmel, die neue Erde und die Gerechtigkeit, das Land ohne Leid und Tränen, ohne Angst und Krieg, ohne Schmerzen und Geschrei, ohne Ende. So sprechen wir es auch aus - Sonntag für Sonntag - vielleicht allerdings, ohne noch recht darüber nachzudenken: „Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten!"

Ich wage heute auch das noch auszusprechen: Wie würde wohl mancher, um den wir heute traurig sind und dessen Leben für uns „viel zu kurz" war, über seine Jahre in dieser Welt urteilen? Er hat ja schon erfahren, was wir noch glauben und hoffen müssen! Er sieht ja schon hinüber in Gottes Himmel. Vor ihm ausgebreitet liegt schon dieses Land, in dem endlich Frieden, Gerechtigkeit und Liebe herrscht und Gott selbst den Menschen nah ist. Was würde er antworten, um den wir heute trauern, wenn wir ihn selbst fragten: War dein Leben hier nicht zu kurz? Hätte es nicht noch dauern sollen?

Und schließlich fragen wir - heute noch und heute wieder: Was wird aus uns, ohne diesen geliebten Menschen? Wie kann ich weiterleben ohne ihn, ohne sie? Auch hierzu finden wir Antwort und Trost. Keiner soll verloren werden. Unsere Toten sind bei Gott bewahrt und für seinen Tag aufgehoben - und genauso wir. Auch unsere Angst vor dem hiesigen Leben, wenn wir es eine Weile allein, ohne den lieben Menschen verbringen müssen, rührt wohl von daher, dass wir der Spanne Zeit in dieser Welt einen zu hohen Wert beimessen. Denken wir doch von dem aus, was uns von Gott verheißen ist: Ein neuer Himmel, eine neue Erde, Gottes Nähe, ewige Freude und Fülle, Ziel aller Träume, Wiedersehen mit all unseren Lieben ... Was sind da die Jahre, die uns hier noch zu leben beschieden sind? Was bedeuten auch die einsamen Tage, selbst die Tränen, die wir weinen und die Sehnsucht, die uns das Herz schwer macht? - Ja, ich weiß, auch das sind uns eher fremde Gedanken. Aber ich bin gewiss, dass die Erfüllung unserer Hoffnung und unseres Sehnens in Gottes Zukunft jeden Schmerz klein und jedes Leid winzig erscheinen lassen wird. Wer in die Sonne sieht, der kann keine Schatten mehr erkennen. Ja, wem sich Gottes neue Welt öffnet, der wird sich nicht einmal mehr an dies alles, an dem wir hier noch tragen und leiden, erinnern!

Aber, nein: Fliehen wollen wir deshalb nicht aus diesem Leben und vor dem, was es uns zu tragen auferlegt. Es wird nicht ohne Leid abgehen und nicht ohne Trauer, sicher nicht! Und wir dürfen auch weinen, wenn wir Abschied nehmen müssen, wenn uns die Pläne und Wünsche zerschlagen werden und es ganz anders kommt, als wir es gedacht hatten. Auch heute wollen wir die Tränen nicht unterdrücken und uns nicht schämen, wenn wir weinen müssen, nachher, beim Verlesen des Namens oder wenn wir zu seinem, ihrem Grab gehen ... Aber wir wollen dann auch wieder zur Hoffnung finden und zum eigenen Leben. Und wir wollen getrost sein und unserem Gott das glauben: Unsere Verstorbenen sind geborgen bei ihm. Einmal wird sein Tag kommen, an dem er sie und uns ruft. Keiner soll ihm bis dahin verlorengehen. Dann wird diese Welt vergehen und er wird einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, in denen Gerechtigkeit wohnt.

Nein, Angst machen, wollen wir nicht und uns ängstigen wollen wir auch nicht. Nicht um unsere Toten und nicht um uns selbst. Trost und Hoffnung heißt Gottes gute Botschaft für uns. So wollen wir uns auch trösten lassen von ihm: Keiner, der schon gegangen ist, ist Gott verloren. Keiner ging zu früh - Gottes guter Wille war es, auch wenn wir ihn nicht verstehen. Keiner musste zu viel leiden - die Freude, die auf uns wartet, ist so groß, dass alles vor ihr zu nichts wird. Keiner ist allein jetzt - wie unsere Toten bewahrt sind in Gottes Hand, so auch wir, solange unsere Zeit hier noch währen soll. Keinem müssen die Tage - ohne den geliebten Menschen - nun zu lang werden. Jeder hat Aufgaben - wir müssen sie nur sehen und anpacken. Jeder kann noch Ziele finden, für die es sich zu leben lohnt. Und sogar Grund zur Freude wird es noch geben - und nicht nur zur Freude über das erwartete Reich der Vollendung bei Gott.

Aber geben wir dieser Verheißung Gottes doch ein wenig mehr Raum bei uns: Denken wir täglich - wenigstens einmal - an Gottes neuen Himmel und seine neue Erde. So manches, was uns quält und beugt, wird in einem anderen Licht erscheinen! Die Kürze eines Lebens, die wir beklagen, die Art eines Abschieds, die Einsamkeit unserer Tage - jetzt allein zu sein ... Unsere Trauer kann sich vor Gottes herrlicher Verheißung verwandeln: In ein getrostes, zuversichtliches Leben voller Freude und Hoffnung: Wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt! AMEN