Predigt zum 3. Sonntag n. Trinitatis - 8.6.2008

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Textlesung: Hes. 18,1-4.21-24.30-32

Und des HERRN Wort geschah zu mir: Was habt ihr unter euch im Lande Israels für ein Sprichwort: »Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden«? So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: dies Sprichwort soll nicht mehr unter euch umgehen in Israel. Denn siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne; jeder, der sündigt, soll sterben. Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und nicht sterben. Es soll an alle seine Übertretungen, die er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern er soll am Leben bleiben um der Gerechtigkeit willen, die er getan hat. Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht Gott der HERR, und nicht viel- mehr daran, dass er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt? Und wenn sich der Gerechte abkehrt von seiner Gerechtigkeit und tut Unrecht und lebt nach allen Gräueln, die der Gottlose tut, sollte der am Leben bleiben? An alle seine Gerechtigkeit, die er getan hat, soll nicht gedacht werden, sondern in seiner Übertretung und Sünde, die er getan hat, soll er sterben. Darum will ich euch richten, ihr vom Hause Israel, einen jeden nach seinem Weg, spricht Gott der HERR. Kehrt um und kehrt euch ab von allen euren Übertretungen, damit ihr nicht durch sie in Schuld fallt. Werft von euch alle eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Denn warum wollt ihr sterben, ihr vom Haus Israel? Denn ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht Gott der HERR. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben.

Liebe Gemeinde!

Die Verse, die sich erst so hart und unerbittlich anhören, sind bei näherem Hinhören eigentlich gute, freundliche und - natürlich in Gänsefüßchen - fast neutestamentliche Worte! Aber eins nach dem anderen:

Da ist zunächst dieses schlimme und wenn man es genau nimmt, fast gotteslästerliche Sprichwort von den Vätern, die saure Trauben gegessen haben und den Kindern, denen die Zähne davon stumpf werden - was ja nichts anderes sagen will, als dass Gott ungerecht ist und den Kindern die Schuld für die Taten aufbürdet, die ihre Väter (und Mütter) getan haben.

Dieses Sprichwort gibt genau die Gefühle der Menschen wieder, an die Gott sich hier durch den Mund des Propheten wendet. Es sind die Verbannten, die von Nebukadnezar im Jahr 587 v.Chr. nach Babylon deportiert worden waren. Sie empfanden diese Verbannung als Unrecht - weniger des babylonischen Königs als Gottes - gegen sein auserwähltes Volk! Und dabei dachten sie eben, sie müssten die Strafe für das tragen, was ihre Väter in früheren Jahren - vielleicht als sie selbst noch gar nicht auf der Welt waren - an Unrecht und Gottlosigkeit getan hatten.

Wenn wir es einmal juristisch betrachten, ist es also die Frage nach der Haftung für böse Taten, die hier aufgeworfen und so beantwortet wird: Gott zieht die Nachkommen zur Rechenschaft für das, was die Vorfahren getan haben. Er macht deren Sünde sozusagen zur Kollektivschuld des ganzen Volkes, auch derer, die damit überhaupt nichts zu tun hatten.

Vielleicht haben sie etwas ähnliches ja in ihrer Schulzeit erleben müssen: Ein Lehrer hat, nachdem sich der Dieb, der etwas aus einer fremden Mappe gestohlen oder der Übeltäter, der ihm die Sitzfläche des Stuhls mit Klebstoff eingeschmiert hatte, nicht melden wollte, die ganze Klasse nachsitzen lassen. Wenn wir an derlei denken, dann würden wir sicher auch von Ungerechtigkeit sprechen!

Aber ist Gott so, dass er die vor sein Gericht zieht, die nichts, aber auch gar nichts mit der Schuld zu tun haben, die er strafen will? Hesekiel sagt ein klares Nein: „So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: dies Sprichwort soll nicht mehr unter euch umgehen in Israel." Was die Menschen damals in der Verbannung wahrscheinlich nicht gleich glauben konnten, hören wir mit Genugtuung und Dankbarkeit: Wie gut, so ist Gott nicht! Er straft nicht die Falschen für die Schuld anderer!

Aber gleich kriegen wir wieder etwas zu hören, was den Menschen damals sicher gut gefiel, uns aber nicht gefallen kann: „Denn siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne; jeder, der sündigt, soll sterben." Hier müssen wir uns ein wenig in die Zeit des Hesekiel hineindenken: Es war recht und richtig, dass der Sünder, der Frevler gegen Gott und das Gesetz auch Strafe leiden musste! Es war nur eben dieser Gedanke, der den Menschen nicht gefiel, dass einer für etwas zur Rechenschaft gezogen wurde, was er nicht begangen hatte!

Aber auch der Gedanke der gerechten Strafe, die vom Sünder gelitten werden muss, lässt Gott nicht mehr gelten, sein Prophet richtet den Menschen aus: „Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und nicht sterben." Das war damals ganz und gar unerwartet und neu! Und das war es auch, warum ich davon gesprochen habe, diese Verse hätten fast neutestamentliche Züge! Hier kommt so etwas wie die Gnade Gottes hinein, die wir erst in Jesus Christus in ihrer Tiefe kennen gelernt haben. Und zu diesem Gedanken, dass Gott gnädig und barmherzig ist, passen auch die nächsten Verse ganz wunderbar: „Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und nicht sterben. Es soll an alle seine Übertretungen, die er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern er soll am Leben bleiben um der Gerechtigkeit willen, die er getan hat."

Vielleicht ist das für uns ja fast selbstverständlich, solche Worte zu hören, aber für die Ohren der Verbannten an den Wassern Babylons war das doch ungeheuerlich und vielleicht gar unglaublich: Es gibt bei Gott einen neuen Anfang! Der Übertreter des Gesetzes ist nicht ein für allemal verdammt und aus der Gemeinschaft mit Gott ausgeschlossen. Das Verhängnis der Strafe und des Todes gilt nicht mehr: Es gibt ein Leben nach der Schuld, es gibt Umkehr, es gibt Vergebung ...

Wie gesagt: Uns mag das alles vertraut und eingängig sein. Uns macht es keine Schwierigkeiten, das zu glauben. Aber es war anders damals, ganz anders.

Vielleicht kann uns die Schwierigkeit der in Babylon Verbannten, Gottes Gnade auch nur zu denken, ja heute dazu dienen, dass wir neu erkennen und uns daran freuen, wie wunderbar und eben eigentlich ganz unglaublich es ist, dass wir einen gnädigen Gott haben, ja, sogar einen Vater, der unser Leben will und nicht unseren Tod - trotz aller Schuld und Bosheit, die auch wir auf uns geladen haben. Und auch das - besser: sogar das - ist schon enthalten in den uralten Worten des Propheten: „Denn ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht Gott der HERR. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben."

Wir heute dürfen dankbar auf das Kreuz Jesu Christi blicken und uns sagen lassen: Dort hängt dein Schuldschein, hier kannst du es mit deinen Augen sehen, was Gott mit deiner Schuld getan hat: Er selbst hat sie in diesem unschuldig Gekreuzigten auf sich genommen und getragen.

Liebe Gemeinde, wir wissen nicht, wie die Worte des Hesekiel damals angekommen sind, ob die Menschen in der Gefangenschaft in Babel sie verstanden und als eine Verheißung begriffen haben, dass in der Verbannung eben nicht nur ein Verhängnis und eine Strafe gelegen hat, sondern auch die Chance zum Neuanfang und zur persönlichen Umkehr.

Wir aber wollen über den Versen des Propheten dies neu begreifen: Es gibt keine kollektive Bestrafung durch Gottes Willen und Arm! Er lässt niemanden dafür leiden oder legt ihm für das Lasten auf die Schulter, was seine Eltern oder sonst irgendwelche andere Menschen an Bösem getan haben. Allerdings - und das war wohl schon zur Zeit des Propheten die andere Seite dieses Gedankens - Gott rechnet uns auch nicht als Verdienste an, wie unsere fromme Großmutter oder unser gottesfürchtiger Vater vor ihm lebt! Jeder ist für sein eigenes Handeln verantwortlich. Jede muss für das Rechenschaft ablegen, was sie getan oder unterlassen hat. Aber unser himmlischer Vater sieht durchaus auch das Gute, das von uns herkommt, die Freude, die wir anderen Menschen machen, die Lebensmöglichkeiten, die wir denen schenken, denen es nicht so gut geht wie uns und wo wir für die eintreten, die sich selbst nicht helfen können.

Einen Lohn gibt es allerdings nicht dafür! Dieser Lohn gebührt allein unserem Herrn Jesus Christus, der mit seinem Opfer am Kreuz den Zusammenhang von Schuld und der Folge von Schuld durchbrochen und uns so die Gerechtigkeit bei Gott und das Leben verdient hat.

Vielleicht müsste das alte Sprichwort heute so heißen: Unsere Väter und wir selbst haben saure Trauben gegessen, aber weder uns noch ihnen werden davon die Zähne stumpf um unseres Herrn Jesus Christus willen. - Ihm sei Lob und Ehre in Ewigkeit. AMEN