Predigt zum Vorl. So. i. Kirchenjahr - 18.11.2007

[Alternative Predigt zu dieser hier] [Predigten, Texte, Gedichte...] [Heiter verreimter Ertrag aus 25 Jahren] [Mein Klingelbeutel] [Liturgieentwurf zur akt. Predigt]

Mein besonderes Angebot: die aktuellen Predigten auf meinen Seiten zwei, drei oder gar mehr Wochen im Voraus! 
Für jede aktuelle Predigt bitte ich Sie um eine Klingelbeutelspende von 0,50 €! Für die Liturgie, die in der aktuellen Woche spätestens Mittwoch erscheint, bitte ich um 0,30 €. Alle weiteren Tarife hier.

Textlesung: Jer. 8, 4 - 7

Sprich zu ihnen: So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren wollen. Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt. Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.

Liebe Gemeinde!

Ich gebe zu, dass ich schon lange auf diesen Text gewartet habe! Nicht in dem Sinn wohlgemerkt, dass ich hier gern einmal wettern und sie, meine Hörer, klein machen möchte. Nein, mir ist etwas in der Vergangenheit - und in der letzten Zeit gehäuft! - immer wieder begegnet. Und davon ist hier ganz deutlich die Rede: „Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme?" Und natürlich gefällt es mir besonders, dass ich diese Worte des Propheten für heute gar nicht habe aussuchen müssen. Sie sind uns wirklich für diesen Sonntag verordnet, dem Volkstrauertag, an dem uns auch die bürgerliche Gemeinde zu Besinnung, echter Trauer, zu Friedensbereitschaft und Neuanfang einlädt.

Aber was meine ich, wenn ich davon spreche, was mir „immer wieder begegnet" ist?

Jeremia sagt es damals so: „Sie wollen nicht umkehren. Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan!" Ich würde gern noch etwas hinzufügen. Das hörte sich, wenn ich es nach der Art des Propheten ausdrücken wollte, so an: „Ich sehe und höre, dass sie auch die Wahrheit nicht hören wollen!" Aber ich will ihnen drei Beispiel aus dem Leben geben:

Der Dopingskandal im Radsport zeigt es deutlich, dass wenige bereit sind, die Wahrheit zu sagen, wenn nur viel Geld und die Karriere auf dem Spiel steht. Und wenn sie dann endlich reden, dann haben sie ihr Schäfchen schon im Trockenen, die Sache ist verjährt oder man hat sich eh aus dem Sport zurückgezogen. Und dass es niemandem wirklich leid ist, was er getan hat - trotz aller öffentlichen Krokodilstränen! - das sehen wir daran, dass es immer weiter geht und weiter gehen wird, so lange es neue Mittel gibt, die (noch) nicht nachzuweisen sind.

Aber schauen wir in die Politik: Haben sie schon einmal gehört, dass ein Minister, ein Staatssekretär oder auch nur ein Abgeordneter im Land- oder Bundestag gesagt hätte: Was ich neulich in meiner Rede geäußert habe, entsprach nicht der Wahrheit!? Oder ist es je vorgekommen, dass ein Parteivorsitzender öffentlich bekannt hat: Wir haben in den letzten vier Jahren der Legislaturperiode unser eigenes Parteiprogramm verraten. Und hat er sich dann gar dafür entschuldigt?

Aber wir wollen auch nach dem fragen, was in der Kirche geschieht und geredet wird. Ich denke nicht, dass hier überall gelogen wird, keiner umkehren will und niemandem je leid tut, was er vielleicht falsch dargestellt hat. Aber es ist in der Kirche auch nicht alles die Wahrheit, was wir dafür halten: Wenn in einer Zeit, in der auch die Besucherzahlen im Gottesdienst oder den Gemeindekreisen eine immer größere Rolle für die Bemessung einer Pfarrstelle spielen, das Gemeindefest oder 10 Taufen bewusst auf den Zählsonntag gelegt werden oder der 14-täglich stattfindende Bibelkreis auf einmal gezählt wird, als tagte er in jeder Woche, dann ist das nicht die Wahrheit! Dann nämlich verdoppelt sich die Teilnehmerzahl der Bibelstunde und am entscheidenden Sonntag, dessen Kirchenbesucherzahl der Kirchenverwaltung gemeldet wird, kommt ein Zählergebnis heraus, das mit dem zehn- oder gar zwanzigfachen eines „normalen" Gottesdienstes glänzt.

Wie wir es in unserem persönlichen Leben mit der Wahrheit halten, will ich hier nicht ausbreiten. Darum weiß jeder selbst am besten! Sicher bin ich allerdings, dass wir alle vielfach vor dem 8. Gebot versagt haben, wenn wir uns nur an seiner Erklärung durch Martin Luther prüfen:

Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht aus Falschheit belügen, verraten, verleumden oder hinter seinem Rücken reden, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren. Dabei blieb wohl besonders oft auf der Strecke, dass wir von unserem Mitmenschen Gutes gesagt, nicht hinter seinem Rücken geredet und alles zum Besten gekehrt hätten!

Überall aber gilt auch noch dies - in der Gesellschaft, in der Politik, in der Kirche und in unserem privaten Leben: Keiner will die Wahrheit hören! Und immer wieder und überall ist die Reaktion gleich, wenn einer die Wahrheit gesagt bekommt:

Der Sportler, der gedopt hat, wird darauf angesprochen antworten: Wer hat das von mir behauptet? - Warum sagt er nicht: Ja, das stimmt! Dann hätte man sich ein langes Verfahren - möglicherweise vor Gericht - erspart.

Der Politiker, wenn ein Journalist ihn mit Recht auf ein gebrochenes Wahlversprechen und damit auf ein unwahrhaftiges Verhalten hinweist, sagt nicht: Da haben sie Recht. Mir tut das leid und ich werde zurücktreten. Nein, er sagt: Von wem haben sie das? Oder: Was sie da ansprechen, ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen und eine Fehlinterpretation.

Und wenn in der Kirche etwas gesagt oder getan wird, was den Anspruch der Wahrheit nicht erfüllt, dann wird das so schnell auch keiner zugeben. Und im Notfall finden sich immer sehr gute und sogar christliche Gründe, warum man „um der Gemeinde" oder um „der Menschen" willen, ein bisschen an der Realität gedreht hat.

Und schließlich kennen wir das doch auch bei uns selbst: Da fragt uns einer, ob wir wirklich hinter dieser oder jener Gemeinheit stehen oder ob wir es waren, der ein böses Gerücht in Umlauf gesetzt hat? Nehmen wir an, es ist so gewesen ist, sagen wir dann: Ja, ich will ehrlich sein, ich habe das getan, von mir ging das aus!? Wird es nicht eher so sein, dass wir uns dann ein wenig künstlich aufregen und so sprechen: Wer hat das gesagt? Wo hast du das denn her? - Als wäre eine Gegenfrage eine Antwort. Aber wieder waren wir beteiligt daran, dass die Worte des Propheten Recht behalten haben: „Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan!"

Liebe Gemeinde, noch einmal: Ich will nicht wettern und sie nicht beschuldigen oder mich gar über sie erheben. Aber das ist nun einmal die Wahrheit: So geht es zu in unserer Welt, in unserer Gesellschaft und auch bei und unter uns! Und darum ist es gut und wichtig, das einmal anzusprechen und sich das einmal anzuhören. Denn es ist nicht richtig so. Gott will etwas anderes von uns. Seit Jesus Christus diesen Gott unseren Vater genannt hat, ist es nur um so schändlicher, nicht die Wahrheit zu sagen und ihr nicht immer und überall zu dienen und sie zur Geltung zu bringen. - Nur: wie macht man das. Wir bringt man das fertig, denn leicht ist es sicher nicht.

Es hat gewiss keinen Wert, wenn wir uns jetzt - möglicherweise noch mit erhobenem Zeigefinger - ein Standpauke anhören. Besser wär's, wir bekämen vielleicht noch ein paar Gedanken mit, die uns Freude an der Wahrheit machten ...

Mir ist da ein Wörtchen ins Auge gesprungen, das steht ganz am Ende der Rede des Jeremia. Ich glaube, da könnte unser Ausgangspunkt für eine Besinnung und einen neuen Anfang sein. Ich meine diesen Satz: „Mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen." Und ich meine dieses Wort: „Volk". Die Juden sind das Volk Gottes, seit Gott sie erwählt und mit ihnen einen Bund geschlossen hat. Wir Christen sind auch Gottes Volk, seit Jesus Christus in der Welt war und für uns gelebt hat, uns geliebt hat und für uns gestorben ist. Er hat uns Gott als unseren Vater bekannt gemacht. Er hat uns durch sein Opfer am Kreuz das Leben verdient - auch das Leben in der Ewigkeit Gottes.

Wenn wir davon ausgehen, von daher glauben und denken, dann gibt es wirklich keinen Grund mehr, sich irgendwelcher Unwahrheiten zu bedienen, zu lügen oder unredliche Wege einzuschlagen. Wir sind durch unseren Herrn dazu befreit, immer und überall die Wahrheit zu sagen.

Wenn wir das wissen, dass wir zu Gottes Volk gehören, seine Kinder sind und Jesu Geschwister, dann haben wir nie und nirgends irgendeine Trickserei oder Täuschung unserer Mitmenschen nötig. Gott nämlich steht immer auf der Seite der Wahrheit und ihm gefällt, wenn wir sie sagen und nach ihr handeln und er vergisst uns das Tun und Reden in ihrem Sinn nicht.

Und wer Gott zum Vater hat und Jesus Christus zum Bruder, der kann auch dazu stehen, wenn ihm eine Unwahrheit unterlaufen ist. Und das wird immer wieder einmal geschehen. Wir sind keine Heiligen. Wir müssen uns dann aber nicht herausreden. Wir können vielmehr so sprechen: Ja, das war nicht richtig, was ich getan oder gesagt habe. Das tut mir leid, bitte, verzeih' mir! - Auch der Schuldschein für unsere Unwahrhaftigkeit hängt am Kreuz von Golgatha.

Liebe Gemeinde, ich will es noch einmal so sagen: Es hat Verheißung - nicht nur im Blick auf die Wahrheit - nie zu vergessen, dass wir zu Gottes Volk gehören, durch Jesus Christus, unseren Herrn, schon von allem erlöst sind, was uns in dieser Welt knechtet (- erlöst eben auch von der Unwahrheit!) und frei gemacht sind zur Wahrheit gegenüber allen Menschen und in jeder Situation, in die wir kommen.

Und noch eins: Es tut uns einfach auch gut, wahrhaftig zu sein und zu leben. Es schenkt Freude, in einer Welt, in der die Lüge sich überall in unserer Gesellschaft immer breiter macht. Durch die Wahrheit wird das Leben schöner und menschlicher auch. AMEN