Predigtalternative zum Sonntag "Estomihi" - 26.2.2006

Hinweis: Diese Predigt will zur Fastenaktion der Ev. Kirche "7 Wochen ohne ..." (2006) einladen bzw. zu einer sinnvollen Gestaltung der Passionszeit.

Liebe Gemeinde!

In drei Tagen ist Aschermittwoch. Die Passionszeit beginnt. Während manche sich noch ganz dem Treiben der "tollen Tage" hingeben, sind andere schon in ihren Gedanken vorausgeeilt: Wie werde ich die Passionszeit gestalten? Wie kann ich in diesem Jahr einmal bewusst den Leidensweg Jesu mitgehen. Sollte ich für mich nicht auch einmal den Verzicht und das Fasten üben?
Manche Menschen in unseren Gemeinden haben sich ja wieder durch die Aktion "7 Wochen ohne..." ansprechen lassen. Leider aber noch viel zu wenige! Sie wollen von Aschermittwoch bis Ostern auf Alkohol, Zigaretten oder Süßigkeiten verzichten, einige auf ganz andere Dinge. In jedem Fall aber geht es darum, dass wir wieder einmal erkennen, wie frei oder wie abhängig wir schon von diesem oder jenem sind. Außerdem wollen wir in einer Welt, die Verzicht und Fasten nur noch aus der Bibel kennt, ein Zeichen setzen: Es macht uns nicht, ärmer, wenn wir uns nicht immer alles gewähren, es bereichert! Wir verlieren nicht, wenn wir zu dem, was wir doch haben könnten, nein sagen, wir gewinnen!

Ich weiß schon, das ist schwer zu begreifen! Zumal in einer Zeit, in denen ja selbst Menschen, die die Nachkriegsjahre miterlebt haben, der Überfluss normal erscheint. Von unseren Kindern ganz zu schweigen. Ich erschrecke immer wieder neu, was LehrerInnen erzählen, wenn ihr Blick nach der Schulpause in den Papierkorb fällt ... In Bogotha oder Kairo durchwühlen Kinder 14 Stunden täglich die Müllhalden, um etwas Ess- oder Verwertbares zu finden.

Aber so traurig auch ein solcher Vergleich ist, ich möchte heute einer anderen Sache nachgehen: Wir fürchten immer, wenn wir verzichten, zurückstehen, loslassen oder etwas aufgeben, wir würden arm und unfrei, unser Leben würde weniger bunt, schön oder sinnvoll. Gewiss: Hin und wieder nehmen wir selbst auch solche Worte in den Mund: "Geben ist seliger denn nehmen" oder "Geteilte Freude ist doppelte Freude" ... Aber sind das - wenn wir ganz ehrlich sind - denn mehr als Sprüche? Unser Verhalten straft diese Worte oft genug Lügen! Zu tief sitzt in uns die Angst, zu kurz zu kommen, etwas zu verpassen, Möglichkeiten zu verspielen, Chancen auszulassen - Chancen wozu? Reicher zu werden, Sicherheit zu gewinnen, andere auszustechen, zu überflügeln ...

Aber was gibt uns das wirklich? Liegt da Glück drin? Ist Sinn und Fülle garantiert, wenn ich statt dem Notwendigen Luxus genieße und mein gutes Auskommen zum Überfluss steigere? An dieser Stelle schalten viele Menschen immer ab: "Das ist wieder diese Platte!", sagen sie. "Alles wird uns madig gemacht: Unser Wohlstand, unser Lebensstandard, unsere Lebensfreude, was wir uns leisten können, weil wir immerhin hart arbeiten ... Das hängt uns Predigern des Evangeliums seit Jahrhunderten an, dass wir den Leuten eigentlich nur den Spaß verderben wollen. Und das wird heutzutage sogar auf die Bibel selbst übertragen: Da stehen nur so Dinge drin, die uns maßregeln, uns der Fehler, unserer Maßlosigkeit, des Saufens und Prassens überführen wollen.

Ist das so? - Ehrlich gesagt: Ja! Aber doch nicht, um uns dann mit einem schlechten Gewissen oder dem Bewusstsein von Schuld zu entlassen, sondern um uns weiterzubringen! Einem Lehrer, einer Lehrerin nehmen wir es ab, dass sie den Kindern nicht nur sagen wollen: Was seid ihr so dumm!, sondern dass sie möchten, dass sie sich gut entwickeln und etwas lernen. Der Bibel und den Verkündigern ihrer Botschaft aber weisen wir die Rolle der Spielverderber zu. Seltsam, nicht wahr?

Zwei Geschichten mögen erläutern, worum es eigentlich geht:
Ein junger Mann hatte schon früh ganz klare Vorstellungen vom Sinn und dem Ziel seines Lebens: Schnelles Geld verdienen, ohne große Schufterei, sich alles leisten können und ein großes, starkes Auto fahren. Das mag sich ein bisschen platt anhören, aber so war das bei ihm. Alle möglichen Leute haben auf ihn eingeredet: Die Freiheit liegt doch nicht in diesen äußeren Dingen! Frei sind wir in unserem Inneren - oder wir sind es nicht! So wirst du niemals glücklich! - Es war alles umsonst. Zum einen Ohr rein, zum anderen raus. Wie dem Ochsen ins Horn gepetzt. Aber, stellen sie sich vor, der junge Mann hat es wirklich geschafft! Er hat das dicke Einkommen - ohne viel Mühe. Er fährt das starke Auto mit 180 PS. Er ist frei - wie er es sich wünschte. - Aber nein, das Happyend gibt es nicht zu berichten. Der junge Mann ist noch keineswegs satt von all dem Kram, der ihn umgibt. Er hat auch nicht vor, sein Auto zu verkaufen und den Erlös den Armen zu geben oder dergleichen. Er macht vielmehr immer so weiter und wird - wenn nicht ein Wunder geschieht - daran zugrunde gehen! Denn das ist es: Er wird nicht mehr herauskommen aus diesem Sog! Er meint noch, er hätte die Dinge in der Hand, aber längst haben sie ihn! Er bildet sich noch ein, die Freiheit gefunden zu haben und liegt doch längst in Ketten! Nach menschlichem Ermessen ist sein Lebensweg vorgezeichnet. Da wird es keine Überraschungen mehr geben: Immer mehr wird er vom Leben fordern, immer mehr Sachen zum Kaufen und Vorzeigen. Und nichts wird ihn zufrieden stellen können! Wie gesagt: Das ist ein Sog, ein Strudel, in den wir geraten, aus dem es kein Entrinnen gibt. Selbst sein Verhältnis zur Liebe und die Beziehungen zu anderen Menschen überhaupt sind schon vorgezeichnet: Er kennt ja im Grunde nur sich. Er kreist nur um sich selbst. Die Mitte seiner Gedanken - ist er. Was kann er denn anderes in seinen Mitmenschen und seinen Partnerinnen sehen, als das, was sie ihm "bringen", wie weit sie sein Ichgefühl steigern oder ihm von Nutzen sind? - Liebe Gemeinde, wie viele sind wie dieser junge Mann? Meinen frei zu sein und sind doch Sklaven ihrer Bedürfnisse, ihrer Triebe, ihrer Gier, ihrer unersättlichen Wünsche nach mehr und mehr und immer mehr ... Glauben sie nicht auch, dass Menschen, die wirkliche Freiheit erfahren haben, viel dafür geben würden, solchen Leuten zu wahrem Sinn und echtem Lebensglück zu verhelfen? Glauben sie nicht, dass es einem manchmal schier das Herz abdrückt, wenn man sieht, wie diese Menschen ihr Leben verfehlen, den Götzen nachlaufen und zuletzt verkommen? Was bedeutet es da, wenn sie einen "Spielverderber" oder "armer Irrer" schimpfen?

Die zweite Geschichte handelt nicht - wie sie es von einem, der auf der Kanzel predigt, erwarten - von Jesus, sondern von einem anderen Menschen aus unserer Gemeinde, einer Frau in mittleren Jahren. Vielleicht ist ja schon das bezeichnend, das es sich um eine Frau handelt! Frauen - das muss man auch einmal sagen - sind dem Geheimnis der Freiheit Christi meist viel näher als die Männer. 90 % der Gemeindeglieder, die bei Passionsaktionen der Gemeinden mitmachen, sind weiblich! Aber zurück zur zweiten Geschichte: Sie ist wie der junge Mann in guten Verhältnissen groß geworden. Die Versuchung des Geldes, des Habens und des Behaltens, hat sie genauso blenden wollen. Aber irgendwann vor vielen Jahren ist ihr das aufgegangen: Teilen macht reicher! Sie hatte dann zwar nur noch die Hälfte in der Hand - aber das Doppelte im Herzen! Der Mensch, dem sie etwas geschenkt hatte, war so glücklich gewesen; seine Augen habe so gestrahlt und innen war's ihr so warm geworden ... Seitdem hat sie Ähnliches immer wieder erlebt. Ihr Beruf gibt ihr zwar nicht viele Möglichkeiten, für andere Menschen da zu sein, aber in ihrer Freizeit macht sie das nach Kräften wett: Ein alter Mensch in der Nachbarschaft wird von ihr betreut. Ihre Ehe ist nicht immer ohne Schwierigkeiten - aber doch glücklich. Ihre Kinder haben ihr abgesehen, was ihr eigenes Leben so reich und froh macht: Auch sie können geben, herschenken, teilen, verzichten. Und das beglückt nun wieder sie selbst. Sie ist eine Frau, die - ohne viel davon zu reden - ein Leben in den Fußstapfen Christi führt. Sie hat keine besondere Bildung, würde sich niemals weise oder auch nur besonders klug nennen - und hat doch viele Geheimnisse Gottes verstanden und für sich fruchtbar gemacht: Dass Gott erst da so richtig wirken will, wo wir uns loslassen. Dass er immer - seit den Tagen der Schöpfung! - das Kleine und Geringe ausgewählt hat, um sich daran zu verherrlichen. Dass er die Schwachen liebt und durch die Schwäche zu seinem Ziel kommt. Ja, und dass er die frei macht, die verzichten, zurücktreten, den anderen den Vortritt lassen und sich - um Gottes Willen - aufgeben. Bei ihr wird man offene Ohren finden, wenn man ihr sagt, was uns die diesjährige Losung der Fastenaktion "Sieben Wochen ohne ..." unserer Evangelischen Kirche zuruft:"Liebesbriefe - Merken, worauf es ankommt". Sie begreift das sofort: Es kommt darauf an, die Liebe zu den Mitmenschen höher zu stellen, als die zu mir selbst. So werde ich frei von mir selbst. So kann es auch gelingen, dass ich froh und manches los werde und lassen kann, was mich im Grunde versklavt: Ein Laster, eine böse Angewohnheit, eine falsche Lebensweise, eine Sucht ... Und ich finde Leben dabei: Ich erkenne, wie begrenzt ich bisher war und wie viel weiter Raum sich jetzt für mich auftut. Wie reich macht das doch, wenn ich mit Gottes Hilfe Herr werde über mich selbst, meine Gier, meinen schlechten Willen ... Und schließlich gibt das auch Hoffnung: Allen denen nämlich, die vielleicht wirklich ganz und gar abhängig und versklavt sind von dem, was ich bei mir noch abstellen und aufgeben kann. Wie viel ermutigendes Vorbild können wir vielleicht geben?
Liebe Gemeinde, ich habe vorhin gesagt: Der junge Mann, von dem ich erzählt habe, wird sein "Leben verfehlen". Aber ich habe hinzugefügt: "nach menschlichem Ermessen". Ich glaube allerdings fest, dass Gott noch Wege hat, ihn wahrhaft frei zu machen. Vielleicht können wir ihm - mit unserem Vorbild - dazu dienen? - Noch ist Zeit, bei der diesjährigen Fastenaktion "7 Wochen ohne ...", wie sie in vielen Gemeinden angeboten wird, mitzutun! Noch ist Zeit, für jede und jeden von uns, zu "merken, worauf es ankommt". Eine gesegnete Passionszeit wünsche ich ihnen!